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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang des alten Beamtenstaats

Verwaltungsbeamten so weit, daß er auf seine Besuchskarten nur seinen Namen
schreibt und jeden Hinweis auf seine Beamtenstellung unterläßt.

Diese persönliche und gesellschaftliche Scheidung unter den Beamten greift
indessen auch auf das dienstliche Gebiet über und stört oder hemmt dort das
einheitliche dienstliche Zusammenarbeiten. Hierher gehört beispielsweise der
früher erwähnte, vom Herrn Regierungspräsidenten Kruse in Düsseldorf in einer
Besprechung der ersten Abschnitte meiner jetzigen Artikelreihe (Preuß. Verwaltungs¬
blatt 1910 S. 385) bestätigte Dezernatsfanatismus, der jede Berührung mit
den Nachbar dezern ater von sich weist. Vor allem aber stecken hier die Wurzeln
des unerquicklichen Verhältnisses zwischen den Landräten und den Regierungs¬
dezernenten, namentlich den Regierungsräten, das weit verbreitet ist und nach¬
gerade zu einer schweren Schädigung der Verwaltung und des Staats führen
muß. Den Landrat trennt heute eine ganze Welt vom Regierungsrat. Das
kann auch nicht anders sein. Wer Landrat geworden ist, wird, wie sich die
Sachlage bei uns unter der Herrschaft der Günstlingswirtschaft einmal entwickelt
hat, schon dadurch allein aus den übrigen Verwaltungsbeamten heraus- und
über sie emporgehoben. Außerdem hat man den Landräten so oft und so lange
vorerzählt, daß sie allein etwas von der Verwaltung verstünden, daß sie es
schließlich glauben mußten. Dazu kommt endlich, daß ein Regierungsdezernent
in einer ernstlichen Meinungsverschiedenheit mit einem Landrat von den Vor¬
gesetzten niemals gestützt wird. Sind diese selbst Landräte gewesen, was immer
mehr der Fall ist, dann stehen ihnen natürlich die Landräte näher als die
Negierungsdezernenten. Sonst aber scheuen sie sich, es mit diesen einflußreichen
Untergebenen, die so häufig höchst nützliche und ernst zu nehmende Beziehungen
nach oben haben, zu verderben. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen. Sachliche
Meinungsverschiedenheiten werden und müssen immer vorkommen. Hier handelt
es sich aber in unzähligen Fällen nicht! um solche, sondern um den Aus¬
druck einer nur zu deutlich erkennbaren Geringschätzung der Person des
Gegners.

Gefördert wird die geschilderte Auflösung der Beamtenschaft der Verwaltung
dadurch, daß die Vorteile und Annehmlichkeiten der Verwaltungslaufbahn jetzt
fast ausnahmslos den Angehörigen zweier bestimmter Bevölkerungskreise zugute
kommen, die an sich schon geneigt sind, sich von anderen Kreisen fernzuhalten,
sich untereinander aber schnell und innig zusammenfinden. Die Zufälligkeiten
und Beziehungen, durch die man heutzutage die Vorteile und Annehmlichkeiten
der Verwaltungslaufvahu erlangt, sind mannigfaltig, wie wir früher gesehen
haben. Mer zwei bestimmte Beziehungen, die auf derselben Grundlage, dem
Zufall der Geburt, erwachsen, wirken doch besonders kräftig, nämlich die Zu¬
gehörigkeit zum Adel, namentlich zum östlichen Grundadel, und zu den mit
dieseni durch dieselben wirtschaftlichen Bestrebungen und parteipolitischer An¬
schauungen oder sonst persönlich verbundenen Kreisen des bürgerlichen Gro߬
grundbesitzes, und sodann die Herkunft aus den Kreisen des Großgewerbes, des


Der Untergang des alten Beamtenstaats

Verwaltungsbeamten so weit, daß er auf seine Besuchskarten nur seinen Namen
schreibt und jeden Hinweis auf seine Beamtenstellung unterläßt.

Diese persönliche und gesellschaftliche Scheidung unter den Beamten greift
indessen auch auf das dienstliche Gebiet über und stört oder hemmt dort das
einheitliche dienstliche Zusammenarbeiten. Hierher gehört beispielsweise der
früher erwähnte, vom Herrn Regierungspräsidenten Kruse in Düsseldorf in einer
Besprechung der ersten Abschnitte meiner jetzigen Artikelreihe (Preuß. Verwaltungs¬
blatt 1910 S. 385) bestätigte Dezernatsfanatismus, der jede Berührung mit
den Nachbar dezern ater von sich weist. Vor allem aber stecken hier die Wurzeln
des unerquicklichen Verhältnisses zwischen den Landräten und den Regierungs¬
dezernenten, namentlich den Regierungsräten, das weit verbreitet ist und nach¬
gerade zu einer schweren Schädigung der Verwaltung und des Staats führen
muß. Den Landrat trennt heute eine ganze Welt vom Regierungsrat. Das
kann auch nicht anders sein. Wer Landrat geworden ist, wird, wie sich die
Sachlage bei uns unter der Herrschaft der Günstlingswirtschaft einmal entwickelt
hat, schon dadurch allein aus den übrigen Verwaltungsbeamten heraus- und
über sie emporgehoben. Außerdem hat man den Landräten so oft und so lange
vorerzählt, daß sie allein etwas von der Verwaltung verstünden, daß sie es
schließlich glauben mußten. Dazu kommt endlich, daß ein Regierungsdezernent
in einer ernstlichen Meinungsverschiedenheit mit einem Landrat von den Vor¬
gesetzten niemals gestützt wird. Sind diese selbst Landräte gewesen, was immer
mehr der Fall ist, dann stehen ihnen natürlich die Landräte näher als die
Negierungsdezernenten. Sonst aber scheuen sie sich, es mit diesen einflußreichen
Untergebenen, die so häufig höchst nützliche und ernst zu nehmende Beziehungen
nach oben haben, zu verderben. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen. Sachliche
Meinungsverschiedenheiten werden und müssen immer vorkommen. Hier handelt
es sich aber in unzähligen Fällen nicht! um solche, sondern um den Aus¬
druck einer nur zu deutlich erkennbaren Geringschätzung der Person des
Gegners.

Gefördert wird die geschilderte Auflösung der Beamtenschaft der Verwaltung
dadurch, daß die Vorteile und Annehmlichkeiten der Verwaltungslaufbahn jetzt
fast ausnahmslos den Angehörigen zweier bestimmter Bevölkerungskreise zugute
kommen, die an sich schon geneigt sind, sich von anderen Kreisen fernzuhalten,
sich untereinander aber schnell und innig zusammenfinden. Die Zufälligkeiten
und Beziehungen, durch die man heutzutage die Vorteile und Annehmlichkeiten
der Verwaltungslaufvahu erlangt, sind mannigfaltig, wie wir früher gesehen
haben. Mer zwei bestimmte Beziehungen, die auf derselben Grundlage, dem
Zufall der Geburt, erwachsen, wirken doch besonders kräftig, nämlich die Zu¬
gehörigkeit zum Adel, namentlich zum östlichen Grundadel, und zu den mit
dieseni durch dieselben wirtschaftlichen Bestrebungen und parteipolitischer An¬
schauungen oder sonst persönlich verbundenen Kreisen des bürgerlichen Gro߬
grundbesitzes, und sodann die Herkunft aus den Kreisen des Großgewerbes, des


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[0333] Der Untergang des alten Beamtenstaats Verwaltungsbeamten so weit, daß er auf seine Besuchskarten nur seinen Namen schreibt und jeden Hinweis auf seine Beamtenstellung unterläßt. Diese persönliche und gesellschaftliche Scheidung unter den Beamten greift indessen auch auf das dienstliche Gebiet über und stört oder hemmt dort das einheitliche dienstliche Zusammenarbeiten. Hierher gehört beispielsweise der früher erwähnte, vom Herrn Regierungspräsidenten Kruse in Düsseldorf in einer Besprechung der ersten Abschnitte meiner jetzigen Artikelreihe (Preuß. Verwaltungs¬ blatt 1910 S. 385) bestätigte Dezernatsfanatismus, der jede Berührung mit den Nachbar dezern ater von sich weist. Vor allem aber stecken hier die Wurzeln des unerquicklichen Verhältnisses zwischen den Landräten und den Regierungs¬ dezernenten, namentlich den Regierungsräten, das weit verbreitet ist und nach¬ gerade zu einer schweren Schädigung der Verwaltung und des Staats führen muß. Den Landrat trennt heute eine ganze Welt vom Regierungsrat. Das kann auch nicht anders sein. Wer Landrat geworden ist, wird, wie sich die Sachlage bei uns unter der Herrschaft der Günstlingswirtschaft einmal entwickelt hat, schon dadurch allein aus den übrigen Verwaltungsbeamten heraus- und über sie emporgehoben. Außerdem hat man den Landräten so oft und so lange vorerzählt, daß sie allein etwas von der Verwaltung verstünden, daß sie es schließlich glauben mußten. Dazu kommt endlich, daß ein Regierungsdezernent in einer ernstlichen Meinungsverschiedenheit mit einem Landrat von den Vor¬ gesetzten niemals gestützt wird. Sind diese selbst Landräte gewesen, was immer mehr der Fall ist, dann stehen ihnen natürlich die Landräte näher als die Negierungsdezernenten. Sonst aber scheuen sie sich, es mit diesen einflußreichen Untergebenen, die so häufig höchst nützliche und ernst zu nehmende Beziehungen nach oben haben, zu verderben. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen. Sachliche Meinungsverschiedenheiten werden und müssen immer vorkommen. Hier handelt es sich aber in unzähligen Fällen nicht! um solche, sondern um den Aus¬ druck einer nur zu deutlich erkennbaren Geringschätzung der Person des Gegners. Gefördert wird die geschilderte Auflösung der Beamtenschaft der Verwaltung dadurch, daß die Vorteile und Annehmlichkeiten der Verwaltungslaufbahn jetzt fast ausnahmslos den Angehörigen zweier bestimmter Bevölkerungskreise zugute kommen, die an sich schon geneigt sind, sich von anderen Kreisen fernzuhalten, sich untereinander aber schnell und innig zusammenfinden. Die Zufälligkeiten und Beziehungen, durch die man heutzutage die Vorteile und Annehmlichkeiten der Verwaltungslaufvahu erlangt, sind mannigfaltig, wie wir früher gesehen haben. Mer zwei bestimmte Beziehungen, die auf derselben Grundlage, dem Zufall der Geburt, erwachsen, wirken doch besonders kräftig, nämlich die Zu¬ gehörigkeit zum Adel, namentlich zum östlichen Grundadel, und zu den mit dieseni durch dieselben wirtschaftlichen Bestrebungen und parteipolitischer An¬ schauungen oder sonst persönlich verbundenen Kreisen des bürgerlichen Gro߬ grundbesitzes, und sodann die Herkunft aus den Kreisen des Großgewerbes, des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/333>, abgerufen am 23.07.2024.