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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang des alten Leamtenstaats

Enttäuschungen, den schwersten Kränkungen, den größten Schädigungen aller
Art ausgesetzt ist.

Es konnte nicht ausbleiben, daß infolge der geschilderten Entwicklung im
Lauf der Jahre auch der persönliche Zusammenhalt unter den Beamten immer
mehr gelockert und schließlich fast ganz gelöst wurde. So spürt man von dem
Gefühl der Zusammengehörigkeit und dem damit verbundenen lebhaften Standes¬
bewußtsein und Standesgeist, die unsere Vorfahren beherrscht haben, nichts mehr.
Man weiß sich jetzt längst nicht mehr, wie jene, eins im Dienst für den Staat.

Das tritt schon im persönlichen Verkehr, in den geselligen und gesellschaft¬
lichen Beziehungen deutlich hervor; von einem Zusammenhalten ist hier nicht
mehr die Rede. Selbstverständlich müssen sich in einem größeren Kreis, je nach
den verschiedenen Interessen oder den sonstigen persönlichen Beziehungen kleinere
Kreise herausbilden, innerhalb derer ein engerer Verkehr stattfindet als in dem
großen Kreis. Auch verliert mancher durch eigene Schuld den Zusammenhang
mit seinen Amtsgenossen; es kann nicht geleugnet werden, daß sich auch hier die
Günstlingswirtschaft gelegentlich unerfreulich geltend macht. Aber alles dies erklärt
das, was ich meine, nicht ausreichend. Es handelt sich hier vielmehr um die bewußte
Absonderung eines kleinen Kreises von den anderen, darauf gegründet, daß
man sich für vornehmer und besser hält. Man kann diesen Beweggrund nament¬
lich daraus erkennen, daß diese Absonderung nicht bloß gegen Untergebene
und Gleichgestellte gerichtet ist, sondern auch gegen Vorgesetzte, die man nicht
für voll ansieht. Außerdem fällt diese gesellschaftliche Scheidung fast genau
zusammen mit der Scheidung der Beamten in solche erster und zweiter Klasse
und hat demnach ihren Hauptgrund in dieser.

Bezeichnend für die Lockerung der persönlichen Beziehungen und für das
Verblassen des Standesgefühls unter den Verwaltungsbeamten ist ein kleiner
Zug. Noch vor einem halben Menschenalter war es selbstverständlich, daß sich
ein neu ernanntes Regierungsmitglied im Anschluß an die Meldung bei den
Vorgesetzten den anderen Mitgliedern vorstellte, um mit ihnen möglichst bald
persönlich bekannt zu werden. Jetzt verfahren so nur noch wenige Leute aus
der alten Schule, die meisten schicken durch einen Boten Karten herum und über¬
lassen die persönliche Bekanntschaft dem Zufall. Schon die Herren Referendare
machen es so. Die Folge ist dann nicht selten, daß man Wochen, Monate
oder, wie es mir mit einem Referendar vorgekommen ist, jahrelang fremd an¬
einander vorübergeht. Warum sollte man sich auch die mit der persönlichen
Vorstellung verbundene Mühe machen? Man ist ja jetzt nicht mehr der Ver¬
waltungsbeamte, der Angehörige eines großen Organismus mit ausgesprochenem
Standesbewußtsein, sondern schlechthin der Baron X oder der Sohn des millionen¬
schweren Kommerzienrath 3) oder der Träger gewichtiger Korpsbeziehungen und hat
also nicht den geringsten Anlaß, sich mit den vielen unerfreulichen Kerlen, denen
man in der Verwaltung leider begegnet, näher abzugeben. Die Ablehnung
der Gemeinschaft mit den Berufsgenossen geht bei dem einen oder dem anderen


Der Untergang des alten Leamtenstaats

Enttäuschungen, den schwersten Kränkungen, den größten Schädigungen aller
Art ausgesetzt ist.

Es konnte nicht ausbleiben, daß infolge der geschilderten Entwicklung im
Lauf der Jahre auch der persönliche Zusammenhalt unter den Beamten immer
mehr gelockert und schließlich fast ganz gelöst wurde. So spürt man von dem
Gefühl der Zusammengehörigkeit und dem damit verbundenen lebhaften Standes¬
bewußtsein und Standesgeist, die unsere Vorfahren beherrscht haben, nichts mehr.
Man weiß sich jetzt längst nicht mehr, wie jene, eins im Dienst für den Staat.

Das tritt schon im persönlichen Verkehr, in den geselligen und gesellschaft¬
lichen Beziehungen deutlich hervor; von einem Zusammenhalten ist hier nicht
mehr die Rede. Selbstverständlich müssen sich in einem größeren Kreis, je nach
den verschiedenen Interessen oder den sonstigen persönlichen Beziehungen kleinere
Kreise herausbilden, innerhalb derer ein engerer Verkehr stattfindet als in dem
großen Kreis. Auch verliert mancher durch eigene Schuld den Zusammenhang
mit seinen Amtsgenossen; es kann nicht geleugnet werden, daß sich auch hier die
Günstlingswirtschaft gelegentlich unerfreulich geltend macht. Aber alles dies erklärt
das, was ich meine, nicht ausreichend. Es handelt sich hier vielmehr um die bewußte
Absonderung eines kleinen Kreises von den anderen, darauf gegründet, daß
man sich für vornehmer und besser hält. Man kann diesen Beweggrund nament¬
lich daraus erkennen, daß diese Absonderung nicht bloß gegen Untergebene
und Gleichgestellte gerichtet ist, sondern auch gegen Vorgesetzte, die man nicht
für voll ansieht. Außerdem fällt diese gesellschaftliche Scheidung fast genau
zusammen mit der Scheidung der Beamten in solche erster und zweiter Klasse
und hat demnach ihren Hauptgrund in dieser.

Bezeichnend für die Lockerung der persönlichen Beziehungen und für das
Verblassen des Standesgefühls unter den Verwaltungsbeamten ist ein kleiner
Zug. Noch vor einem halben Menschenalter war es selbstverständlich, daß sich
ein neu ernanntes Regierungsmitglied im Anschluß an die Meldung bei den
Vorgesetzten den anderen Mitgliedern vorstellte, um mit ihnen möglichst bald
persönlich bekannt zu werden. Jetzt verfahren so nur noch wenige Leute aus
der alten Schule, die meisten schicken durch einen Boten Karten herum und über¬
lassen die persönliche Bekanntschaft dem Zufall. Schon die Herren Referendare
machen es so. Die Folge ist dann nicht selten, daß man Wochen, Monate
oder, wie es mir mit einem Referendar vorgekommen ist, jahrelang fremd an¬
einander vorübergeht. Warum sollte man sich auch die mit der persönlichen
Vorstellung verbundene Mühe machen? Man ist ja jetzt nicht mehr der Ver¬
waltungsbeamte, der Angehörige eines großen Organismus mit ausgesprochenem
Standesbewußtsein, sondern schlechthin der Baron X oder der Sohn des millionen¬
schweren Kommerzienrath 3) oder der Träger gewichtiger Korpsbeziehungen und hat
also nicht den geringsten Anlaß, sich mit den vielen unerfreulichen Kerlen, denen
man in der Verwaltung leider begegnet, näher abzugeben. Die Ablehnung
der Gemeinschaft mit den Berufsgenossen geht bei dem einen oder dem anderen


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[0332] Der Untergang des alten Leamtenstaats Enttäuschungen, den schwersten Kränkungen, den größten Schädigungen aller Art ausgesetzt ist. Es konnte nicht ausbleiben, daß infolge der geschilderten Entwicklung im Lauf der Jahre auch der persönliche Zusammenhalt unter den Beamten immer mehr gelockert und schließlich fast ganz gelöst wurde. So spürt man von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und dem damit verbundenen lebhaften Standes¬ bewußtsein und Standesgeist, die unsere Vorfahren beherrscht haben, nichts mehr. Man weiß sich jetzt längst nicht mehr, wie jene, eins im Dienst für den Staat. Das tritt schon im persönlichen Verkehr, in den geselligen und gesellschaft¬ lichen Beziehungen deutlich hervor; von einem Zusammenhalten ist hier nicht mehr die Rede. Selbstverständlich müssen sich in einem größeren Kreis, je nach den verschiedenen Interessen oder den sonstigen persönlichen Beziehungen kleinere Kreise herausbilden, innerhalb derer ein engerer Verkehr stattfindet als in dem großen Kreis. Auch verliert mancher durch eigene Schuld den Zusammenhang mit seinen Amtsgenossen; es kann nicht geleugnet werden, daß sich auch hier die Günstlingswirtschaft gelegentlich unerfreulich geltend macht. Aber alles dies erklärt das, was ich meine, nicht ausreichend. Es handelt sich hier vielmehr um die bewußte Absonderung eines kleinen Kreises von den anderen, darauf gegründet, daß man sich für vornehmer und besser hält. Man kann diesen Beweggrund nament¬ lich daraus erkennen, daß diese Absonderung nicht bloß gegen Untergebene und Gleichgestellte gerichtet ist, sondern auch gegen Vorgesetzte, die man nicht für voll ansieht. Außerdem fällt diese gesellschaftliche Scheidung fast genau zusammen mit der Scheidung der Beamten in solche erster und zweiter Klasse und hat demnach ihren Hauptgrund in dieser. Bezeichnend für die Lockerung der persönlichen Beziehungen und für das Verblassen des Standesgefühls unter den Verwaltungsbeamten ist ein kleiner Zug. Noch vor einem halben Menschenalter war es selbstverständlich, daß sich ein neu ernanntes Regierungsmitglied im Anschluß an die Meldung bei den Vorgesetzten den anderen Mitgliedern vorstellte, um mit ihnen möglichst bald persönlich bekannt zu werden. Jetzt verfahren so nur noch wenige Leute aus der alten Schule, die meisten schicken durch einen Boten Karten herum und über¬ lassen die persönliche Bekanntschaft dem Zufall. Schon die Herren Referendare machen es so. Die Folge ist dann nicht selten, daß man Wochen, Monate oder, wie es mir mit einem Referendar vorgekommen ist, jahrelang fremd an¬ einander vorübergeht. Warum sollte man sich auch die mit der persönlichen Vorstellung verbundene Mühe machen? Man ist ja jetzt nicht mehr der Ver¬ waltungsbeamte, der Angehörige eines großen Organismus mit ausgesprochenem Standesbewußtsein, sondern schlechthin der Baron X oder der Sohn des millionen¬ schweren Kommerzienrath 3) oder der Träger gewichtiger Korpsbeziehungen und hat also nicht den geringsten Anlaß, sich mit den vielen unerfreulichen Kerlen, denen man in der Verwaltung leider begegnet, näher abzugeben. Die Ablehnung der Gemeinschaft mit den Berufsgenossen geht bei dem einen oder dem anderen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/332>, abgerufen am 23.07.2024.