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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang des alten Beamtenstaats

niemals gezögert, über solche Beziehungen ohne weiteres hinwegzugehen, wenn es
darauf ankam, unerwünschte Bewerber um Landratsämter zu beseitigen. Man
kann daher ruhig annehmen, daß hier ganz andere Beziehungen den Aus¬
schlag gegeben haben. Jedenfalls haben in dem erstaunlichsten dieser drei
Fälle nach meinen Nachrichten auch besondere persönliche Beziehungen zu einem
hohen Staatsbeamten bestanden, die sicherlich einen größeren Einfluß auf die
Entscheidung gehabt haben als etwaiger Grundbesitz oder Wohnsitz im Kreis.
Daß endlich auch entgegenstehende gesetzliche Bestimmungen kein Hindernis bilden,
sobald es sich darum handelt, einen Beamten mit guten Beziehungen zu fördern,
hat der in meinem zweiten Artikel schon erwähnte Fall gezeigt, wo ein
Konsistorialrat Oberregierungsrat einer Schulabteilung wurde, obwohl er die
gesetzlich für dieses Amt vorgeschriebene Befähigung nicht hatte.

Ganz anders ergeht es den Beamten der zweiten Gruppe. Für sie ist
schon die Aufnahme in die Verwaltung schwierig zu erreichen; sie hängt davon
ab, daß sich zufällig nicht genug gut empfohlene Anwärter finden. Ihr späteres
Schicksal ist ebenso unsicher. Sie können jetzt nur damit rechnen, daß sie
nicht weggejagt werden, solange sie ein gewisses, übrigens geringes Maß
von Arbeit leisten, keine silbernen Löffel stehlen und nicht Sozialdemokraten
werden. Alles andere steht dahin. Beispielsweise können sie nicht erwarten,
daß ihnen ganz bescheidene persönliche Anliegen erfüllt werden, etwa der Wunsch,
nach jahrzehntelanger Tätigkeit in kleinen Orten einmal Gelegenheit zu erhalten,
die Annehmlichkeiten und die geistigen Anregungen einer großen Stadt zu
genießen. Sind sie aber doch zufällig einmal in angenehme Verhältnisse gekommen,
dann müssen sie sich gefallen lassen, plötzlich herausgerissen zu werden, wobei für
sie nicht die Möglichkeit besteht, eine solche Versetzung rückgängig zu machen.
Ähnlich verhält es sich mit ihrer dienstlichen Laufbahn. Es ist nur ein Zufall,
daß sie bei der Zuweisung an die einzelnen Behörden oder bei der Verteilung
der Dezernate einmal weniger schlecht abschneiden. Gewöhnlich drücken sie
sich in kleinen, unerfreulichen Nestern, womöglich in "Grenzgarnisonen" Heruni
und müssen sie sich mit den Dezernaten begnügen, die von den bevorzugten
Beamten gemieden werden. Werden diese Beamten überhaupt etwas, dann
erreichen sie höchstens die erste Stufe, die Stelle des Oberregierungsrats einer
der beiden Kollegialabteilungen der Regierungen oder des Verwaltungsgerichts¬
direktors, und außerdem ist gewöhnlich bei einer solchen Beförderung ein Haken,
indem sie sich etwa verpflichten müssen, auf immer oder doch auf lange Jahre
in ein kleines Nest zu gehen oder in einem solchen zu bleiben. Dazu
kommen noch manche andere Gelegenheiten, wo sie hinter der begünstigten
Minderheit zurücktreten müssen: Verleihung von Auszeichnungen, Nebenämtern,
sogenannten Kommissorien u. tgi. Man kann also die geschilderte Entwicklung
kurz dahin zusammenfassen, daß alle Annehmlichkeiten und Vorteile der Ver¬
waltungslaufbahn einer verhältnismäßig kleinen Minderheit der Verwaltungs¬
beamten zufallen, während die Mehrheit auf Schritt und Tritt den bittersten


Der Untergang des alten Beamtenstaats

niemals gezögert, über solche Beziehungen ohne weiteres hinwegzugehen, wenn es
darauf ankam, unerwünschte Bewerber um Landratsämter zu beseitigen. Man
kann daher ruhig annehmen, daß hier ganz andere Beziehungen den Aus¬
schlag gegeben haben. Jedenfalls haben in dem erstaunlichsten dieser drei
Fälle nach meinen Nachrichten auch besondere persönliche Beziehungen zu einem
hohen Staatsbeamten bestanden, die sicherlich einen größeren Einfluß auf die
Entscheidung gehabt haben als etwaiger Grundbesitz oder Wohnsitz im Kreis.
Daß endlich auch entgegenstehende gesetzliche Bestimmungen kein Hindernis bilden,
sobald es sich darum handelt, einen Beamten mit guten Beziehungen zu fördern,
hat der in meinem zweiten Artikel schon erwähnte Fall gezeigt, wo ein
Konsistorialrat Oberregierungsrat einer Schulabteilung wurde, obwohl er die
gesetzlich für dieses Amt vorgeschriebene Befähigung nicht hatte.

Ganz anders ergeht es den Beamten der zweiten Gruppe. Für sie ist
schon die Aufnahme in die Verwaltung schwierig zu erreichen; sie hängt davon
ab, daß sich zufällig nicht genug gut empfohlene Anwärter finden. Ihr späteres
Schicksal ist ebenso unsicher. Sie können jetzt nur damit rechnen, daß sie
nicht weggejagt werden, solange sie ein gewisses, übrigens geringes Maß
von Arbeit leisten, keine silbernen Löffel stehlen und nicht Sozialdemokraten
werden. Alles andere steht dahin. Beispielsweise können sie nicht erwarten,
daß ihnen ganz bescheidene persönliche Anliegen erfüllt werden, etwa der Wunsch,
nach jahrzehntelanger Tätigkeit in kleinen Orten einmal Gelegenheit zu erhalten,
die Annehmlichkeiten und die geistigen Anregungen einer großen Stadt zu
genießen. Sind sie aber doch zufällig einmal in angenehme Verhältnisse gekommen,
dann müssen sie sich gefallen lassen, plötzlich herausgerissen zu werden, wobei für
sie nicht die Möglichkeit besteht, eine solche Versetzung rückgängig zu machen.
Ähnlich verhält es sich mit ihrer dienstlichen Laufbahn. Es ist nur ein Zufall,
daß sie bei der Zuweisung an die einzelnen Behörden oder bei der Verteilung
der Dezernate einmal weniger schlecht abschneiden. Gewöhnlich drücken sie
sich in kleinen, unerfreulichen Nestern, womöglich in „Grenzgarnisonen" Heruni
und müssen sie sich mit den Dezernaten begnügen, die von den bevorzugten
Beamten gemieden werden. Werden diese Beamten überhaupt etwas, dann
erreichen sie höchstens die erste Stufe, die Stelle des Oberregierungsrats einer
der beiden Kollegialabteilungen der Regierungen oder des Verwaltungsgerichts¬
direktors, und außerdem ist gewöhnlich bei einer solchen Beförderung ein Haken,
indem sie sich etwa verpflichten müssen, auf immer oder doch auf lange Jahre
in ein kleines Nest zu gehen oder in einem solchen zu bleiben. Dazu
kommen noch manche andere Gelegenheiten, wo sie hinter der begünstigten
Minderheit zurücktreten müssen: Verleihung von Auszeichnungen, Nebenämtern,
sogenannten Kommissorien u. tgi. Man kann also die geschilderte Entwicklung
kurz dahin zusammenfassen, daß alle Annehmlichkeiten und Vorteile der Ver¬
waltungslaufbahn einer verhältnismäßig kleinen Minderheit der Verwaltungs¬
beamten zufallen, während die Mehrheit auf Schritt und Tritt den bittersten


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[0331] Der Untergang des alten Beamtenstaats niemals gezögert, über solche Beziehungen ohne weiteres hinwegzugehen, wenn es darauf ankam, unerwünschte Bewerber um Landratsämter zu beseitigen. Man kann daher ruhig annehmen, daß hier ganz andere Beziehungen den Aus¬ schlag gegeben haben. Jedenfalls haben in dem erstaunlichsten dieser drei Fälle nach meinen Nachrichten auch besondere persönliche Beziehungen zu einem hohen Staatsbeamten bestanden, die sicherlich einen größeren Einfluß auf die Entscheidung gehabt haben als etwaiger Grundbesitz oder Wohnsitz im Kreis. Daß endlich auch entgegenstehende gesetzliche Bestimmungen kein Hindernis bilden, sobald es sich darum handelt, einen Beamten mit guten Beziehungen zu fördern, hat der in meinem zweiten Artikel schon erwähnte Fall gezeigt, wo ein Konsistorialrat Oberregierungsrat einer Schulabteilung wurde, obwohl er die gesetzlich für dieses Amt vorgeschriebene Befähigung nicht hatte. Ganz anders ergeht es den Beamten der zweiten Gruppe. Für sie ist schon die Aufnahme in die Verwaltung schwierig zu erreichen; sie hängt davon ab, daß sich zufällig nicht genug gut empfohlene Anwärter finden. Ihr späteres Schicksal ist ebenso unsicher. Sie können jetzt nur damit rechnen, daß sie nicht weggejagt werden, solange sie ein gewisses, übrigens geringes Maß von Arbeit leisten, keine silbernen Löffel stehlen und nicht Sozialdemokraten werden. Alles andere steht dahin. Beispielsweise können sie nicht erwarten, daß ihnen ganz bescheidene persönliche Anliegen erfüllt werden, etwa der Wunsch, nach jahrzehntelanger Tätigkeit in kleinen Orten einmal Gelegenheit zu erhalten, die Annehmlichkeiten und die geistigen Anregungen einer großen Stadt zu genießen. Sind sie aber doch zufällig einmal in angenehme Verhältnisse gekommen, dann müssen sie sich gefallen lassen, plötzlich herausgerissen zu werden, wobei für sie nicht die Möglichkeit besteht, eine solche Versetzung rückgängig zu machen. Ähnlich verhält es sich mit ihrer dienstlichen Laufbahn. Es ist nur ein Zufall, daß sie bei der Zuweisung an die einzelnen Behörden oder bei der Verteilung der Dezernate einmal weniger schlecht abschneiden. Gewöhnlich drücken sie sich in kleinen, unerfreulichen Nestern, womöglich in „Grenzgarnisonen" Heruni und müssen sie sich mit den Dezernaten begnügen, die von den bevorzugten Beamten gemieden werden. Werden diese Beamten überhaupt etwas, dann erreichen sie höchstens die erste Stufe, die Stelle des Oberregierungsrats einer der beiden Kollegialabteilungen der Regierungen oder des Verwaltungsgerichts¬ direktors, und außerdem ist gewöhnlich bei einer solchen Beförderung ein Haken, indem sie sich etwa verpflichten müssen, auf immer oder doch auf lange Jahre in ein kleines Nest zu gehen oder in einem solchen zu bleiben. Dazu kommen noch manche andere Gelegenheiten, wo sie hinter der begünstigten Minderheit zurücktreten müssen: Verleihung von Auszeichnungen, Nebenämtern, sogenannten Kommissorien u. tgi. Man kann also die geschilderte Entwicklung kurz dahin zusammenfassen, daß alle Annehmlichkeiten und Vorteile der Ver¬ waltungslaufbahn einer verhältnismäßig kleinen Minderheit der Verwaltungs¬ beamten zufallen, während die Mehrheit auf Schritt und Tritt den bittersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/331>, abgerufen am 23.07.2024.