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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang des alten Bcamtenstaats

eine den Untertanen auferlegte Ordnung, ein System von Einrichtungen zur
Beherrschung der Menschen, an dem die Untertanen keinen Anteil hatten. Die
Gehilfen des Herrschers waren aber die Beamten und die Armee, und deren
Bedeutung besteht darin, daß sie überall da, wo es galt, den Staatsgedanken,
namentlich den staatlichen Machtgedanken, zu verwirklichen und die daraus
erwachsenden Aufgaben zu erfüllen, im innern und nach außen, auf
politischem, wirtschaftlichem, gesellschaftlichen und militärischem Gebiet, die
alleinige und unbestrittene Führung behaupteten. Beamtenstaat und Militär¬
staat besagen also nichts anderes, als die Führung des Volksganzen durch
Beamtentum und Heer. Am wichtigsten war dabei offenbar das Beamtentum.
Zwar war das Heer ebenso durchdrungen von einem lebhaften und kraftvollen
preußischen Staatsgedanken wie das Beamtentum, und zur Durchführung dieses
Gedankens nach außen hat es sogar das Meiste beigetragen. Aber es ist klar,
daß ohne die vorhergehenden politischen, wirtschaftlichen und vor allem finan¬
ziellen Leistungen des Beamtentums Heer und Militärstaat niemals hätten
geschaffen werden können.

Der Patrimonialstaat wurde später überwunden, zuerst von Haroenberg,
der nach dem Ausdruck eines jüngeren Historikers den Staat als Gesamtpersön¬
lichkeit vom Herrscher gelöst hat, später und vollständiger durch die Ereignisse
von 1848. Unser heutiger Staat beruht nicht mehr auf dem Gegensatz zwischen
Herrscher und Untertanen. Er ist vielmehr eine große Gesamtpersönlichkeit, eine
die ganze Bevölkerung umfassende einheitlich organisierte Gesamtheit, deren
einzelne Angehörigen in immer weiteren Umfang und immer stärker vom Staats¬
bewußtsein, vom Gedanken der staatlichen Zusammengehörigkeit durchdrungen
wurden und Anteil am staatlichen Leben verlangen. Aber es war offenbar
weder begrifflich noch praktisch nötig, daß mit dem alten Patrimonialstaat auch
der Beamtenstaat und der Militärstaat oder, anders ausgedrückt, die führende
Stellung des Beamtentums und des Heers verschwanden. Auch im neuen
Staat sind Führer unentbehrlich, die sich immer und unter allen Umständen bei
ihrer Tätigkeit für den Staat nur vom Staatsgedanken, von der Sorge für
das Wohl der Gesamtheit, leiten lassen. Ja, man kann behaupten, daß das
Bedürfnis nach solchen Führern jetzt größer ist als früher, da jetzt durch die
Erweiterung des Kreises der Staatsträger und deren Rechte, namentlich aber
durch die in dieser Tatsache begründete Vermehrung des Einflusses der gesell¬
schaftlichen Bestrebungen auf den Staat die Gefahr, daß nach einem Wort
Rudolf v. Greises die Gesellschaft den Staat überwindet, bedeutend gewachsen
ist. Die Wandlungen im Wesen unseres Staats hätten also die Stellung und
die Bedeutung des Beamtentums und des Heeres im Staat eher heben und
verstärken als vernichten müssen. In der Tat hat sich auch der Militärstaat
zum Heil unseres Volks bis in unsere Tage hinein erhalten. Daß es mit dem
Beamtentum nicht ebenso gekommen ist, daß dieses vielmehr seine Führerstellung
verloren hat, haben eben Stümpertun: und Günstlingswirtschaft verschuldet,


Der Untergang des alten Bcamtenstaats

eine den Untertanen auferlegte Ordnung, ein System von Einrichtungen zur
Beherrschung der Menschen, an dem die Untertanen keinen Anteil hatten. Die
Gehilfen des Herrschers waren aber die Beamten und die Armee, und deren
Bedeutung besteht darin, daß sie überall da, wo es galt, den Staatsgedanken,
namentlich den staatlichen Machtgedanken, zu verwirklichen und die daraus
erwachsenden Aufgaben zu erfüllen, im innern und nach außen, auf
politischem, wirtschaftlichem, gesellschaftlichen und militärischem Gebiet, die
alleinige und unbestrittene Führung behaupteten. Beamtenstaat und Militär¬
staat besagen also nichts anderes, als die Führung des Volksganzen durch
Beamtentum und Heer. Am wichtigsten war dabei offenbar das Beamtentum.
Zwar war das Heer ebenso durchdrungen von einem lebhaften und kraftvollen
preußischen Staatsgedanken wie das Beamtentum, und zur Durchführung dieses
Gedankens nach außen hat es sogar das Meiste beigetragen. Aber es ist klar,
daß ohne die vorhergehenden politischen, wirtschaftlichen und vor allem finan¬
ziellen Leistungen des Beamtentums Heer und Militärstaat niemals hätten
geschaffen werden können.

Der Patrimonialstaat wurde später überwunden, zuerst von Haroenberg,
der nach dem Ausdruck eines jüngeren Historikers den Staat als Gesamtpersön¬
lichkeit vom Herrscher gelöst hat, später und vollständiger durch die Ereignisse
von 1848. Unser heutiger Staat beruht nicht mehr auf dem Gegensatz zwischen
Herrscher und Untertanen. Er ist vielmehr eine große Gesamtpersönlichkeit, eine
die ganze Bevölkerung umfassende einheitlich organisierte Gesamtheit, deren
einzelne Angehörigen in immer weiteren Umfang und immer stärker vom Staats¬
bewußtsein, vom Gedanken der staatlichen Zusammengehörigkeit durchdrungen
wurden und Anteil am staatlichen Leben verlangen. Aber es war offenbar
weder begrifflich noch praktisch nötig, daß mit dem alten Patrimonialstaat auch
der Beamtenstaat und der Militärstaat oder, anders ausgedrückt, die führende
Stellung des Beamtentums und des Heers verschwanden. Auch im neuen
Staat sind Führer unentbehrlich, die sich immer und unter allen Umständen bei
ihrer Tätigkeit für den Staat nur vom Staatsgedanken, von der Sorge für
das Wohl der Gesamtheit, leiten lassen. Ja, man kann behaupten, daß das
Bedürfnis nach solchen Führern jetzt größer ist als früher, da jetzt durch die
Erweiterung des Kreises der Staatsträger und deren Rechte, namentlich aber
durch die in dieser Tatsache begründete Vermehrung des Einflusses der gesell¬
schaftlichen Bestrebungen auf den Staat die Gefahr, daß nach einem Wort
Rudolf v. Greises die Gesellschaft den Staat überwindet, bedeutend gewachsen
ist. Die Wandlungen im Wesen unseres Staats hätten also die Stellung und
die Bedeutung des Beamtentums und des Heeres im Staat eher heben und
verstärken als vernichten müssen. In der Tat hat sich auch der Militärstaat
zum Heil unseres Volks bis in unsere Tage hinein erhalten. Daß es mit dem
Beamtentum nicht ebenso gekommen ist, daß dieses vielmehr seine Führerstellung
verloren hat, haben eben Stümpertun: und Günstlingswirtschaft verschuldet,


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[0328] Der Untergang des alten Bcamtenstaats eine den Untertanen auferlegte Ordnung, ein System von Einrichtungen zur Beherrschung der Menschen, an dem die Untertanen keinen Anteil hatten. Die Gehilfen des Herrschers waren aber die Beamten und die Armee, und deren Bedeutung besteht darin, daß sie überall da, wo es galt, den Staatsgedanken, namentlich den staatlichen Machtgedanken, zu verwirklichen und die daraus erwachsenden Aufgaben zu erfüllen, im innern und nach außen, auf politischem, wirtschaftlichem, gesellschaftlichen und militärischem Gebiet, die alleinige und unbestrittene Führung behaupteten. Beamtenstaat und Militär¬ staat besagen also nichts anderes, als die Führung des Volksganzen durch Beamtentum und Heer. Am wichtigsten war dabei offenbar das Beamtentum. Zwar war das Heer ebenso durchdrungen von einem lebhaften und kraftvollen preußischen Staatsgedanken wie das Beamtentum, und zur Durchführung dieses Gedankens nach außen hat es sogar das Meiste beigetragen. Aber es ist klar, daß ohne die vorhergehenden politischen, wirtschaftlichen und vor allem finan¬ ziellen Leistungen des Beamtentums Heer und Militärstaat niemals hätten geschaffen werden können. Der Patrimonialstaat wurde später überwunden, zuerst von Haroenberg, der nach dem Ausdruck eines jüngeren Historikers den Staat als Gesamtpersön¬ lichkeit vom Herrscher gelöst hat, später und vollständiger durch die Ereignisse von 1848. Unser heutiger Staat beruht nicht mehr auf dem Gegensatz zwischen Herrscher und Untertanen. Er ist vielmehr eine große Gesamtpersönlichkeit, eine die ganze Bevölkerung umfassende einheitlich organisierte Gesamtheit, deren einzelne Angehörigen in immer weiteren Umfang und immer stärker vom Staats¬ bewußtsein, vom Gedanken der staatlichen Zusammengehörigkeit durchdrungen wurden und Anteil am staatlichen Leben verlangen. Aber es war offenbar weder begrifflich noch praktisch nötig, daß mit dem alten Patrimonialstaat auch der Beamtenstaat und der Militärstaat oder, anders ausgedrückt, die führende Stellung des Beamtentums und des Heers verschwanden. Auch im neuen Staat sind Führer unentbehrlich, die sich immer und unter allen Umständen bei ihrer Tätigkeit für den Staat nur vom Staatsgedanken, von der Sorge für das Wohl der Gesamtheit, leiten lassen. Ja, man kann behaupten, daß das Bedürfnis nach solchen Führern jetzt größer ist als früher, da jetzt durch die Erweiterung des Kreises der Staatsträger und deren Rechte, namentlich aber durch die in dieser Tatsache begründete Vermehrung des Einflusses der gesell¬ schaftlichen Bestrebungen auf den Staat die Gefahr, daß nach einem Wort Rudolf v. Greises die Gesellschaft den Staat überwindet, bedeutend gewachsen ist. Die Wandlungen im Wesen unseres Staats hätten also die Stellung und die Bedeutung des Beamtentums und des Heeres im Staat eher heben und verstärken als vernichten müssen. In der Tat hat sich auch der Militärstaat zum Heil unseres Volks bis in unsere Tage hinein erhalten. Daß es mit dem Beamtentum nicht ebenso gekommen ist, daß dieses vielmehr seine Führerstellung verloren hat, haben eben Stümpertun: und Günstlingswirtschaft verschuldet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/328>, abgerufen am 23.07.2024.