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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Kleist und Luise Wieland

war, fing ernstlich an zu tränkten, ich nahte mich auch auf diesen neuen
Verlust gefast machen den wir alle voraushaben. Die Erwartung der Rein¬
holdischen Familie*), die Freude des Wiedersehens mit dem Schmerz über
meine Julie würkten vereinigt zu gewaltsamen auf mich und sie fanden mich
deswegen schwächer als ich sonst war. Durch Reinholds Hierseyn machte
ich die Bekantschaft von der Schiller, Griesbachs**) und ihresn^ Haus¬
freundinnen alle so vorzügliche und liebenswürdige Menschen zu denen ich
mich sogleich hingezogen fühlte --. So wurde mir ein neuer Genuß des
Lebens aufgeschlossen, über den ich leichter die erlebten Leiden verschmerzen
konte. Schon früher hatte ich meinst angebohrne Schüchternheit durch die
zärtlichste Liebe für Dich überwunden und schrieb Dir: -- Dein Herzliches
ermuntemtes Entgegenkommen brach mit einen mahl die Schrancken die zwischen
Dir und mir lagen***), und ich fühlte mich in Deinen Besitz ganz
glücklich! -- Gern möchte ich Dir einen klaren anschaulichen Begriff von
meiner gegenwärtigen Lage in den Verhältnissen worin ich mit Vater und
den wenigen im Haus stehe, geben: mündlich würde es mir eben so leicht
werden als es mir schriftlich schwer ist. Wir viere leben ganz verträglich
und vergnügt zusammen wie wohl wir mit den einen und andern sehr wenig
Berührungspunkte haben, also im Ganzen wenig Einheit und Harmonie
herschen kann. Eine jede besitzt ihre Eigenthümlichkeit die zusamen einen
wunderlichen Contrast bilden der aber den Einzeln mehr nüzlich als schädlich
ist. Ein Mittelpunkt ist es immer worinn wir völlig zusammen treffen --
er ist die Liebe und der Genuß vereinnigt mit unseren Vater leben zu können,
und vieleicht, mehr oder weniger von Einfluß für ihm zu seyn. Aber das
beneidenswürdigfteLoß hat auch schlimmen Seiten und auch unser gewöhnlich
heiterer Himmel hat trübe Wolken die sehr nah an uns vorüberziehen und
zuweilen nicht unsanft s^lies: sanft^ berühren --! Diese Seite ist so zart
daß ich über sie nichts weiter zu sagen nöthig habe Du wirst Dich dennoch
leicht an unsere Stelle versetzen können. Ich freue mich mit Dir daß ich
wie Du vermögend bin den ganzen hohen Werth unseres Vaters zu fühlen
und zu erkennen.

Vielleicht schließt hier ein undatiertes Brieffragment an, das zunächst von
Luisens Verhältnis zu Schillers Witwe spricht (gedruckt Euphorion 12, 451),
dann anknüpfend an die Bemerkung, daß die adelige Gesellschaft sich über den
herzlichen Umgang Lottens mit ihr wundere, also fortfährt:

Es liegt etwas ungemein komisches in der Verlegenheit in die die Menschen
kommen, wenn sie ihre Meinung, die sie für unbetrüglich halten, anderen





") Den Sommer 1809 verbrachte Reinhold, Professor in Kiel, mit seiner Fr-in Sophie
Luisens ältester Schwester, in Weimar.
*") Der Kirchenrat und seine Frau in Jena.
Charlotte war ihrem Gatten Geßner 1795 nach Zürich gefolgt, also zu einer Zeit,
da Luise sechs Jahre alt war.
Kleist und Luise Wieland

war, fing ernstlich an zu tränkten, ich nahte mich auch auf diesen neuen
Verlust gefast machen den wir alle voraushaben. Die Erwartung der Rein¬
holdischen Familie*), die Freude des Wiedersehens mit dem Schmerz über
meine Julie würkten vereinigt zu gewaltsamen auf mich und sie fanden mich
deswegen schwächer als ich sonst war. Durch Reinholds Hierseyn machte
ich die Bekantschaft von der Schiller, Griesbachs**) und ihresn^ Haus¬
freundinnen alle so vorzügliche und liebenswürdige Menschen zu denen ich
mich sogleich hingezogen fühlte —. So wurde mir ein neuer Genuß des
Lebens aufgeschlossen, über den ich leichter die erlebten Leiden verschmerzen
konte. Schon früher hatte ich meinst angebohrne Schüchternheit durch die
zärtlichste Liebe für Dich überwunden und schrieb Dir: — Dein Herzliches
ermuntemtes Entgegenkommen brach mit einen mahl die Schrancken die zwischen
Dir und mir lagen***), und ich fühlte mich in Deinen Besitz ganz
glücklich! — Gern möchte ich Dir einen klaren anschaulichen Begriff von
meiner gegenwärtigen Lage in den Verhältnissen worin ich mit Vater und
den wenigen im Haus stehe, geben: mündlich würde es mir eben so leicht
werden als es mir schriftlich schwer ist. Wir viere leben ganz verträglich
und vergnügt zusammen wie wohl wir mit den einen und andern sehr wenig
Berührungspunkte haben, also im Ganzen wenig Einheit und Harmonie
herschen kann. Eine jede besitzt ihre Eigenthümlichkeit die zusamen einen
wunderlichen Contrast bilden der aber den Einzeln mehr nüzlich als schädlich
ist. Ein Mittelpunkt ist es immer worinn wir völlig zusammen treffen —
er ist die Liebe und der Genuß vereinnigt mit unseren Vater leben zu können,
und vieleicht, mehr oder weniger von Einfluß für ihm zu seyn. Aber das
beneidenswürdigfteLoß hat auch schlimmen Seiten und auch unser gewöhnlich
heiterer Himmel hat trübe Wolken die sehr nah an uns vorüberziehen und
zuweilen nicht unsanft s^lies: sanft^ berühren —! Diese Seite ist so zart
daß ich über sie nichts weiter zu sagen nöthig habe Du wirst Dich dennoch
leicht an unsere Stelle versetzen können. Ich freue mich mit Dir daß ich
wie Du vermögend bin den ganzen hohen Werth unseres Vaters zu fühlen
und zu erkennen.

Vielleicht schließt hier ein undatiertes Brieffragment an, das zunächst von
Luisens Verhältnis zu Schillers Witwe spricht (gedruckt Euphorion 12, 451),
dann anknüpfend an die Bemerkung, daß die adelige Gesellschaft sich über den
herzlichen Umgang Lottens mit ihr wundere, also fortfährt:

Es liegt etwas ungemein komisches in der Verlegenheit in die die Menschen
kommen, wenn sie ihre Meinung, die sie für unbetrüglich halten, anderen





") Den Sommer 1809 verbrachte Reinhold, Professor in Kiel, mit seiner Fr-in Sophie
Luisens ältester Schwester, in Weimar.
*") Der Kirchenrat und seine Frau in Jena.
Charlotte war ihrem Gatten Geßner 1795 nach Zürich gefolgt, also zu einer Zeit,
da Luise sechs Jahre alt war.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/325>, abgerufen am 23.07.2024.