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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Aleist und Luise U)ieland

nicht übertrieben, er fand wirklich mehr Liebe, als die ganze Welt zusammen
aufbringen konnte, und er wußte, daß er dieser Liebe entfliehen müsse.

Ein Brief Luisens an ihre Schwester Charlotte, die Kleist im Verkehr mit
ihrem Gatten Geßner in der Schweiz gesehen hatte, berichtet ehrlich von ihren
Gefühlen. AIs fast Zweiundzwanzigjährige, ein halb Jahr vor Kleists Tod,
hat sie ihn geschrieben, gereift durch das Erlebnis, das abgeschlossen, aber
nicht verwunden hinter ihr lag. Ich glaube mich nicht zu täuschen in der
Vermutung, daß ihres Vaters Herz gerade um dieses Erlebnisses willen das Kind
näher an sich herangezogen hatte. Seinen aufmerksamen Scharfblick verrät die
Novelle "Menander und Glycerion", die er während Kleists Besuch niederschrieb:
er zeichnete Porträtzüge Kleists und Luisens hinein. Ohne Groll; er hatte selbst
Dichterliebe gekostet und schätzte die jugendseligen Gefühle als währenden Genuß
und Gewinn für sich und die Geliebten; er hatte dann doch reines Eheglück
gefunden und schenkte auch seiner Glycerion für den untreuen Menander einen
zuverlässigen Gatten, gewiß mit dem Wunschgedanken gleichen Loses für Luise
und ihr zur zarten Mahnung, am Glück nicht irre zu werden. Sie war nun
seine Lieblingstochter geworden.

Das alles ist Voraussetzung sür die Selbstcharakteristik, mit der Luise in
dem Briefe das Geständnis der Liebe zu Kleist erklärend umrahmt. Es ist nichts
Gemachtes dabei, sie hatte vom seelenkundigen Vater gelernt, sich zu beobachten.
Gerade darum ist es von Wert, den Brief, aus dem bisher nur einzelne Stellen
veröffentlicht sind, kennen zu lernen, soweit er erhalten ist. Erst am Ganzen
wird sichtbar, was in dem Mädchen steckte, das Kleist seine Liebe entgegentrug.
Luise schreibt:

Weimar den 19ten April 1811.

Geliebte Schwester! Innigen Danck für Deinen theuren Brief von:
17 März -- wie glückselich machten mich die vielen Beweiße Deiner Liebe
und Deines herzlichen Antheils für mein gegenwärtiges und zukünfftiges Wohl
und Wedel -- wie gut, ausnehmend gut und vortheilhaft berathe Du von
mir, und wie unendlich viel bleibt mir noch zu thun und zu arbeiten übrig
um Deine Liebe und das Lob zu verdienen daß Du mir giebst. -- O thue
Deiner Einbildungskraft Einhalt die fo beschäftigt zu seyen scheint Dir Deine
Luise so liebenswürdig vorzustellen; wie sehr stehe ich gegen Dein Ideal im
Schatten -- und wie muß ich bei dieser guten Meinung verlieren, wenn
einst unsere Wünsche erfüllt werden uns wieder zu sehen und nach so langer
Zeit unserer Trennung zu besitzen. Hast Du niemahls daran gedacht daß
ich bedeutende Fehler haben toute die nicht nur mir schaden, auch denen die
mit mir leben müssen, und die mit welchen ich Einst leben werde unerfreulich
sind und seyen werden? Erst seit zwey Jahren habe ich recht mit Ernst an
mir gearbeitet zwey unter ihnen zu beherschen: der eine ist ein Erbtheil der
Wielandischen Familie! -- der zweyte eine zu große Empfindlichkeit, die mir
meine gütigen Eltern nachgesehen haben, weil das zärtliche Kindchen einen


Aleist und Luise U)ieland

nicht übertrieben, er fand wirklich mehr Liebe, als die ganze Welt zusammen
aufbringen konnte, und er wußte, daß er dieser Liebe entfliehen müsse.

Ein Brief Luisens an ihre Schwester Charlotte, die Kleist im Verkehr mit
ihrem Gatten Geßner in der Schweiz gesehen hatte, berichtet ehrlich von ihren
Gefühlen. AIs fast Zweiundzwanzigjährige, ein halb Jahr vor Kleists Tod,
hat sie ihn geschrieben, gereift durch das Erlebnis, das abgeschlossen, aber
nicht verwunden hinter ihr lag. Ich glaube mich nicht zu täuschen in der
Vermutung, daß ihres Vaters Herz gerade um dieses Erlebnisses willen das Kind
näher an sich herangezogen hatte. Seinen aufmerksamen Scharfblick verrät die
Novelle „Menander und Glycerion", die er während Kleists Besuch niederschrieb:
er zeichnete Porträtzüge Kleists und Luisens hinein. Ohne Groll; er hatte selbst
Dichterliebe gekostet und schätzte die jugendseligen Gefühle als währenden Genuß
und Gewinn für sich und die Geliebten; er hatte dann doch reines Eheglück
gefunden und schenkte auch seiner Glycerion für den untreuen Menander einen
zuverlässigen Gatten, gewiß mit dem Wunschgedanken gleichen Loses für Luise
und ihr zur zarten Mahnung, am Glück nicht irre zu werden. Sie war nun
seine Lieblingstochter geworden.

Das alles ist Voraussetzung sür die Selbstcharakteristik, mit der Luise in
dem Briefe das Geständnis der Liebe zu Kleist erklärend umrahmt. Es ist nichts
Gemachtes dabei, sie hatte vom seelenkundigen Vater gelernt, sich zu beobachten.
Gerade darum ist es von Wert, den Brief, aus dem bisher nur einzelne Stellen
veröffentlicht sind, kennen zu lernen, soweit er erhalten ist. Erst am Ganzen
wird sichtbar, was in dem Mädchen steckte, das Kleist seine Liebe entgegentrug.
Luise schreibt:

Weimar den 19ten April 1811.

Geliebte Schwester! Innigen Danck für Deinen theuren Brief von:
17 März — wie glückselich machten mich die vielen Beweiße Deiner Liebe
und Deines herzlichen Antheils für mein gegenwärtiges und zukünfftiges Wohl
und Wedel — wie gut, ausnehmend gut und vortheilhaft berathe Du von
mir, und wie unendlich viel bleibt mir noch zu thun und zu arbeiten übrig
um Deine Liebe und das Lob zu verdienen daß Du mir giebst. — O thue
Deiner Einbildungskraft Einhalt die fo beschäftigt zu seyen scheint Dir Deine
Luise so liebenswürdig vorzustellen; wie sehr stehe ich gegen Dein Ideal im
Schatten — und wie muß ich bei dieser guten Meinung verlieren, wenn
einst unsere Wünsche erfüllt werden uns wieder zu sehen und nach so langer
Zeit unserer Trennung zu besitzen. Hast Du niemahls daran gedacht daß
ich bedeutende Fehler haben toute die nicht nur mir schaden, auch denen die
mit mir leben müssen, und die mit welchen ich Einst leben werde unerfreulich
sind und seyen werden? Erst seit zwey Jahren habe ich recht mit Ernst an
mir gearbeitet zwey unter ihnen zu beherschen: der eine ist ein Erbtheil der
Wielandischen Familie! — der zweyte eine zu große Empfindlichkeit, die mir
meine gütigen Eltern nachgesehen haben, weil das zärtliche Kindchen einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/322>, abgerufen am 23.07.2024.