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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Kleist und Luise wieland

Geschlechtern voraus. So genoß Kleist den stolzesten Augenblick seines Lebens
bei Wielands Beifall, wie er noch nach einem Lustrum bekannte; so gewann
er, "ungewöhnlich hoffnungsreich", das Vertrauen, daß sein Schicksal sich glücklich
entscheiden werde.

Wer nicht nur der warmsinnige Zuspruch des Kenners hat seine sich wund
ringende Seele geheilt. Es waren drei Töchter in Wielands Haus, zwei Frauen,
ein Madchen. Dieses, Luise, fand er so hübsch, daß er um ihretwillen fast
Bedenken trug, aus dem häufigen Tagesgast der Mitbewohner Osmanstätts zu
werden. Er folgte aber doch der Einladung des Vaters, und schreibt dann an
seine Schwester Ulrike: Ich habe mehr Liebe gefunden, als recht ist, und muß
über kurz oder lang wieder fort. Und später: Ich habe Osmanstätt wieder
verlassen ... ich mußte fort und kann Dir nicht sagen, warum? Ich habe das
Haus mit Tränen verlassen, wo ich mehr Liebe gefunden habe, als die ganze
Welt zusammen aufbringen kann, außer Dir! -- ! Aber ich mußte fort! -- Die
Worte lösen die Erinnerung an Goethes Beichte über Friederike aus: Sie hatte
mich ehmals geliebt schöner als ich's verdiente; ich mußte sie. . . verlassen.
Und doch wie anders hat der frohsinnige Student das Erlebnis gekostet! Es
fiel mir nicht ein, klagt er zurückblickend sich an, daß ich gekommen sein könnte,
diese Ruhe zu stören: denn eine aufkeimende Leidenschaft hat das Schöne, daß
sie keinen Gedanken eines Endes haben und nicht ahnen kann, daß sie wohl
auch Unheil stiften dürfte. Kleist aber, der Selbstpeiniger, entschließt sich, nach
Osmanstätt zu ziehen "trotz einer sehr hübschen Tochter Wielands", und war
sich klar, als er Liebe gewann, daß er fort müsse.

Luise war das jüngste von Wielands Kindern. Im Alter am nächsten
stand ihr die sieben Jahre ältere Julie, damals als Stichlings Gattin in Weimar
lebend. Ihre Hausgenossinnen Karoline und Amalie waren neunzehn und
sechzehn Jahre älter. Beim Tode der Mutter zählte sie zwölf Jahre. So
begreift sich das Gefühl der Vereinsamung. Als Kleist zum Vater kam, maß
ihr Leben dreizehn einhalb Jahre. Das in der Familie wenig beachtete Kind
mag doppelt empfänglich gewesen sein für den Blick, den der seltsame Gast auf
ihr liebliches Antlitz heftete.

Sein Herz war frei; vor einen: halben Jahre hatte er die Braut von sich
gestoßen in einer Verzweiflung, die keinen anderen Wunsch hatte als bald zu
sterben. Jetzt fielen wieder Sonnenstrahlen in sein Leben, beleuchteten die
gesuchte Bahn zum Ruhm; der Vater verhieß die Siegespalme, die Tochter gab
bewundernd sich hin. War sie das Weib, das der Mann sich zubilden konnte,
wie Kleist sich's forderte? Er hat wohl nie an ein dauerndes Band gedacht,
die liebe Gegenwart befing ihn; die Wintermonate auf dem Lande bei dem
weisen Patriarchen und seinen guten Kindern waren reichere Idylle als die
Wochen auf der Aar-Insel. Er empfing mehr als er gab. Er genoß den
Frieden, der ihn heilte. Daß er dabei Wünsche aufregte, die er nicht aufregen
wollte, sah er und wollte es doch nicht sehen. Er hat seiner Schwester gegenüber


GrenzSoten IV 1911 40
Kleist und Luise wieland

Geschlechtern voraus. So genoß Kleist den stolzesten Augenblick seines Lebens
bei Wielands Beifall, wie er noch nach einem Lustrum bekannte; so gewann
er, „ungewöhnlich hoffnungsreich", das Vertrauen, daß sein Schicksal sich glücklich
entscheiden werde.

Wer nicht nur der warmsinnige Zuspruch des Kenners hat seine sich wund
ringende Seele geheilt. Es waren drei Töchter in Wielands Haus, zwei Frauen,
ein Madchen. Dieses, Luise, fand er so hübsch, daß er um ihretwillen fast
Bedenken trug, aus dem häufigen Tagesgast der Mitbewohner Osmanstätts zu
werden. Er folgte aber doch der Einladung des Vaters, und schreibt dann an
seine Schwester Ulrike: Ich habe mehr Liebe gefunden, als recht ist, und muß
über kurz oder lang wieder fort. Und später: Ich habe Osmanstätt wieder
verlassen ... ich mußte fort und kann Dir nicht sagen, warum? Ich habe das
Haus mit Tränen verlassen, wo ich mehr Liebe gefunden habe, als die ganze
Welt zusammen aufbringen kann, außer Dir! — ! Aber ich mußte fort! — Die
Worte lösen die Erinnerung an Goethes Beichte über Friederike aus: Sie hatte
mich ehmals geliebt schöner als ich's verdiente; ich mußte sie. . . verlassen.
Und doch wie anders hat der frohsinnige Student das Erlebnis gekostet! Es
fiel mir nicht ein, klagt er zurückblickend sich an, daß ich gekommen sein könnte,
diese Ruhe zu stören: denn eine aufkeimende Leidenschaft hat das Schöne, daß
sie keinen Gedanken eines Endes haben und nicht ahnen kann, daß sie wohl
auch Unheil stiften dürfte. Kleist aber, der Selbstpeiniger, entschließt sich, nach
Osmanstätt zu ziehen „trotz einer sehr hübschen Tochter Wielands", und war
sich klar, als er Liebe gewann, daß er fort müsse.

Luise war das jüngste von Wielands Kindern. Im Alter am nächsten
stand ihr die sieben Jahre ältere Julie, damals als Stichlings Gattin in Weimar
lebend. Ihre Hausgenossinnen Karoline und Amalie waren neunzehn und
sechzehn Jahre älter. Beim Tode der Mutter zählte sie zwölf Jahre. So
begreift sich das Gefühl der Vereinsamung. Als Kleist zum Vater kam, maß
ihr Leben dreizehn einhalb Jahre. Das in der Familie wenig beachtete Kind
mag doppelt empfänglich gewesen sein für den Blick, den der seltsame Gast auf
ihr liebliches Antlitz heftete.

Sein Herz war frei; vor einen: halben Jahre hatte er die Braut von sich
gestoßen in einer Verzweiflung, die keinen anderen Wunsch hatte als bald zu
sterben. Jetzt fielen wieder Sonnenstrahlen in sein Leben, beleuchteten die
gesuchte Bahn zum Ruhm; der Vater verhieß die Siegespalme, die Tochter gab
bewundernd sich hin. War sie das Weib, das der Mann sich zubilden konnte,
wie Kleist sich's forderte? Er hat wohl nie an ein dauerndes Band gedacht,
die liebe Gegenwart befing ihn; die Wintermonate auf dem Lande bei dem
weisen Patriarchen und seinen guten Kindern waren reichere Idylle als die
Wochen auf der Aar-Insel. Er empfing mehr als er gab. Er genoß den
Frieden, der ihn heilte. Daß er dabei Wünsche aufregte, die er nicht aufregen
wollte, sah er und wollte es doch nicht sehen. Er hat seiner Schwester gegenüber


GrenzSoten IV 1911 40
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[0321] Kleist und Luise wieland Geschlechtern voraus. So genoß Kleist den stolzesten Augenblick seines Lebens bei Wielands Beifall, wie er noch nach einem Lustrum bekannte; so gewann er, „ungewöhnlich hoffnungsreich", das Vertrauen, daß sein Schicksal sich glücklich entscheiden werde. Wer nicht nur der warmsinnige Zuspruch des Kenners hat seine sich wund ringende Seele geheilt. Es waren drei Töchter in Wielands Haus, zwei Frauen, ein Madchen. Dieses, Luise, fand er so hübsch, daß er um ihretwillen fast Bedenken trug, aus dem häufigen Tagesgast der Mitbewohner Osmanstätts zu werden. Er folgte aber doch der Einladung des Vaters, und schreibt dann an seine Schwester Ulrike: Ich habe mehr Liebe gefunden, als recht ist, und muß über kurz oder lang wieder fort. Und später: Ich habe Osmanstätt wieder verlassen ... ich mußte fort und kann Dir nicht sagen, warum? Ich habe das Haus mit Tränen verlassen, wo ich mehr Liebe gefunden habe, als die ganze Welt zusammen aufbringen kann, außer Dir! — ! Aber ich mußte fort! — Die Worte lösen die Erinnerung an Goethes Beichte über Friederike aus: Sie hatte mich ehmals geliebt schöner als ich's verdiente; ich mußte sie. . . verlassen. Und doch wie anders hat der frohsinnige Student das Erlebnis gekostet! Es fiel mir nicht ein, klagt er zurückblickend sich an, daß ich gekommen sein könnte, diese Ruhe zu stören: denn eine aufkeimende Leidenschaft hat das Schöne, daß sie keinen Gedanken eines Endes haben und nicht ahnen kann, daß sie wohl auch Unheil stiften dürfte. Kleist aber, der Selbstpeiniger, entschließt sich, nach Osmanstätt zu ziehen „trotz einer sehr hübschen Tochter Wielands", und war sich klar, als er Liebe gewann, daß er fort müsse. Luise war das jüngste von Wielands Kindern. Im Alter am nächsten stand ihr die sieben Jahre ältere Julie, damals als Stichlings Gattin in Weimar lebend. Ihre Hausgenossinnen Karoline und Amalie waren neunzehn und sechzehn Jahre älter. Beim Tode der Mutter zählte sie zwölf Jahre. So begreift sich das Gefühl der Vereinsamung. Als Kleist zum Vater kam, maß ihr Leben dreizehn einhalb Jahre. Das in der Familie wenig beachtete Kind mag doppelt empfänglich gewesen sein für den Blick, den der seltsame Gast auf ihr liebliches Antlitz heftete. Sein Herz war frei; vor einen: halben Jahre hatte er die Braut von sich gestoßen in einer Verzweiflung, die keinen anderen Wunsch hatte als bald zu sterben. Jetzt fielen wieder Sonnenstrahlen in sein Leben, beleuchteten die gesuchte Bahn zum Ruhm; der Vater verhieß die Siegespalme, die Tochter gab bewundernd sich hin. War sie das Weib, das der Mann sich zubilden konnte, wie Kleist sich's forderte? Er hat wohl nie an ein dauerndes Band gedacht, die liebe Gegenwart befing ihn; die Wintermonate auf dem Lande bei dem weisen Patriarchen und seinen guten Kindern waren reichere Idylle als die Wochen auf der Aar-Insel. Er empfing mehr als er gab. Er genoß den Frieden, der ihn heilte. Daß er dabei Wünsche aufregte, die er nicht aufregen wollte, sah er und wollte es doch nicht sehen. Er hat seiner Schwester gegenüber GrenzSoten IV 1911 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/321>, abgerufen am 23.07.2024.