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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Jüngling und das Weib

Seit jungen Jahren durchzog er auf seinem königlichen Hengste kreuz und quer das
ganze Arabien und hatte da vieler Menschen Art und Weise kennen gelernt.

Unter denen, die den Dichter Abu Nowäs glühend verehrten und sich stets
in seiner Nähe hielten, befand sich auch ein schöner Jüngling, dessen sonnigem
Gemüte des Meisters skeptische Lehren nicht zuzusagen vermochten. Er war im
Gegenteil der Ansicht, alle Menschen seien von Natur aus gut, und versuchte in
sich ständig wiederholenden Gesprächen vergeblich, den reiferen Sänger zu seiner
jugendlichen Ansicht zu bekehren.

In eines dieser Gespräche verloren, waren sie eines Tages vor die Tore
Bagdads hinausgepilgert. Sei es, daß Abu Nowäs des nutzlosen Streites müde
war, oder daß er seine helle Freude am Enthusiasmus des Jüngers hatte, jeden¬
falls hörte er ihm ohne Widerspruch zu, während er sonst alle Gründe mit einem
kühlen und treffenden Witzworte niederzuschlagen wußte. Schon begann der Jüngling
zu hoffen, daß seinem Eifer die Bekehrung gelingen möchte, und seine Worte
warben dringender.

Da kam ein seltsames Paar auf die beiden zu. Ein blinder Mann wurde
durch die Ebene von einem blendend schönen Weibe gleichen Alters an der Hand
geführt. Man sah den beiden an, daß sie verehelicht waren. Als der Jüngling
das schöne Weib erblickte, stockte seine Rede plötzlich, und seine Augen schauten
brennend auf die Frau. Und auch dieser gefiel offenbar der wohlgestaltete
Jüngling aufs beste. Beider Blicke bohrten sich in innigem Verständnisse inein¬
ander, und plötzlich fanden sich ihre Hände in heißem Druck. Dann sagte das
Weib leise:

"An der großen Zisterne morgen mittag!"

Und das seltsame Paar zog weiter, nicht ohne daß das Weib sich noch einmal
umgedreht und dem Jüngling einen verzehrenden Blick zugeworfen hätte. Der
stand eine Minute wie traumverloren. Dann wandte er sich zu dem Meister:

"Wovon sprachen wir doch? -- Ja, richtig -- willst du nach all meinendem
Koran und den Dichtern entnommenen Argumenten noch immer, o Meister, nicht
bekennen, daß die Menschen von Natur aus gut sind?" --

Abu Nowäs antwortete nicht. Er warf einen seltsamen Blick nach dem
Horizont, wo gerade die groteske Gestalt des Blinden verschwand, und dann sah
er seinem Jünger plötzlich ernst und tief in die Augen. Der aber senkte, von tiefer
Scham ergriffen, die Blicke, und eine heiße Röte ergoß sich purpurn über sein
ganzes Antlitz. -- Und er hat es nie wieder versucht, den Nowüs zu bekehren. --




Der Jüngling und das Weib

Seit jungen Jahren durchzog er auf seinem königlichen Hengste kreuz und quer das
ganze Arabien und hatte da vieler Menschen Art und Weise kennen gelernt.

Unter denen, die den Dichter Abu Nowäs glühend verehrten und sich stets
in seiner Nähe hielten, befand sich auch ein schöner Jüngling, dessen sonnigem
Gemüte des Meisters skeptische Lehren nicht zuzusagen vermochten. Er war im
Gegenteil der Ansicht, alle Menschen seien von Natur aus gut, und versuchte in
sich ständig wiederholenden Gesprächen vergeblich, den reiferen Sänger zu seiner
jugendlichen Ansicht zu bekehren.

In eines dieser Gespräche verloren, waren sie eines Tages vor die Tore
Bagdads hinausgepilgert. Sei es, daß Abu Nowäs des nutzlosen Streites müde
war, oder daß er seine helle Freude am Enthusiasmus des Jüngers hatte, jeden¬
falls hörte er ihm ohne Widerspruch zu, während er sonst alle Gründe mit einem
kühlen und treffenden Witzworte niederzuschlagen wußte. Schon begann der Jüngling
zu hoffen, daß seinem Eifer die Bekehrung gelingen möchte, und seine Worte
warben dringender.

Da kam ein seltsames Paar auf die beiden zu. Ein blinder Mann wurde
durch die Ebene von einem blendend schönen Weibe gleichen Alters an der Hand
geführt. Man sah den beiden an, daß sie verehelicht waren. Als der Jüngling
das schöne Weib erblickte, stockte seine Rede plötzlich, und seine Augen schauten
brennend auf die Frau. Und auch dieser gefiel offenbar der wohlgestaltete
Jüngling aufs beste. Beider Blicke bohrten sich in innigem Verständnisse inein¬
ander, und plötzlich fanden sich ihre Hände in heißem Druck. Dann sagte das
Weib leise:

„An der großen Zisterne morgen mittag!"

Und das seltsame Paar zog weiter, nicht ohne daß das Weib sich noch einmal
umgedreht und dem Jüngling einen verzehrenden Blick zugeworfen hätte. Der
stand eine Minute wie traumverloren. Dann wandte er sich zu dem Meister:

„Wovon sprachen wir doch? — Ja, richtig — willst du nach all meinendem
Koran und den Dichtern entnommenen Argumenten noch immer, o Meister, nicht
bekennen, daß die Menschen von Natur aus gut sind?" —

Abu Nowäs antwortete nicht. Er warf einen seltsamen Blick nach dem
Horizont, wo gerade die groteske Gestalt des Blinden verschwand, und dann sah
er seinem Jünger plötzlich ernst und tief in die Augen. Der aber senkte, von tiefer
Scham ergriffen, die Blicke, und eine heiße Röte ergoß sich purpurn über sein
ganzes Antlitz. — Und er hat es nie wieder versucht, den Nowüs zu bekehren. —




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[0297] Der Jüngling und das Weib Seit jungen Jahren durchzog er auf seinem königlichen Hengste kreuz und quer das ganze Arabien und hatte da vieler Menschen Art und Weise kennen gelernt. Unter denen, die den Dichter Abu Nowäs glühend verehrten und sich stets in seiner Nähe hielten, befand sich auch ein schöner Jüngling, dessen sonnigem Gemüte des Meisters skeptische Lehren nicht zuzusagen vermochten. Er war im Gegenteil der Ansicht, alle Menschen seien von Natur aus gut, und versuchte in sich ständig wiederholenden Gesprächen vergeblich, den reiferen Sänger zu seiner jugendlichen Ansicht zu bekehren. In eines dieser Gespräche verloren, waren sie eines Tages vor die Tore Bagdads hinausgepilgert. Sei es, daß Abu Nowäs des nutzlosen Streites müde war, oder daß er seine helle Freude am Enthusiasmus des Jüngers hatte, jeden¬ falls hörte er ihm ohne Widerspruch zu, während er sonst alle Gründe mit einem kühlen und treffenden Witzworte niederzuschlagen wußte. Schon begann der Jüngling zu hoffen, daß seinem Eifer die Bekehrung gelingen möchte, und seine Worte warben dringender. Da kam ein seltsames Paar auf die beiden zu. Ein blinder Mann wurde durch die Ebene von einem blendend schönen Weibe gleichen Alters an der Hand geführt. Man sah den beiden an, daß sie verehelicht waren. Als der Jüngling das schöne Weib erblickte, stockte seine Rede plötzlich, und seine Augen schauten brennend auf die Frau. Und auch dieser gefiel offenbar der wohlgestaltete Jüngling aufs beste. Beider Blicke bohrten sich in innigem Verständnisse inein¬ ander, und plötzlich fanden sich ihre Hände in heißem Druck. Dann sagte das Weib leise: „An der großen Zisterne morgen mittag!" Und das seltsame Paar zog weiter, nicht ohne daß das Weib sich noch einmal umgedreht und dem Jüngling einen verzehrenden Blick zugeworfen hätte. Der stand eine Minute wie traumverloren. Dann wandte er sich zu dem Meister: „Wovon sprachen wir doch? — Ja, richtig — willst du nach all meinendem Koran und den Dichtern entnommenen Argumenten noch immer, o Meister, nicht bekennen, daß die Menschen von Natur aus gut sind?" — Abu Nowäs antwortete nicht. Er warf einen seltsamen Blick nach dem Horizont, wo gerade die groteske Gestalt des Blinden verschwand, und dann sah er seinem Jünger plötzlich ernst und tief in die Augen. Der aber senkte, von tiefer Scham ergriffen, die Blicke, und eine heiße Röte ergoß sich purpurn über sein ganzes Antlitz. — Und er hat es nie wieder versucht, den Nowüs zu bekehren. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/297>, abgerufen am 23.07.2024.