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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Goethes Wilhelm Meister

Kein Fleckchen Land, das ertragfähig ist, bleibt unbenutzt, und auf bergigen
Terrain legen sie terrassierte Äcker an, um auf diese Weise die Ackerfläche zu
vergrößern. Wie hoch steht doch der chinesische Bauer z. B. über dem russischen!
Hier ist Kultur, eine alte, stehengebliebene Kultur, aber immerhin eine solche,
vor der man den Hut ziehen kann. Und diese ihre Kultur verdanken die
Chinesen sich selbst allein und ihrer eigenen Kraft und Intelligenz.

Wenn Du Zeit und Lust hast, etwas über China zu lesen, so kann ich
Dir zwei gute Bücher empfehlen: Arthur Smith, "Chinese Characteristics"
und Holcombe, "The Real Chinaman". Beide Verfasser sind Amerikaner und
gute Kenner Chinas.

Was hätte aus China werden können, wenn man die Jesuiten, die so
unendlich viel für die Hebung der Kultur und für die Einführung der abend¬
ländischen Kultur in China getan haben, bei der Arbeit gelassen hätte und wenn
die humanen und bibelfesten Engländer nicht das Volk, wenigstens die höheren
Stände, durch das Opium physisch, intellektuell und sittlich zu Grunde gerichtet
hätten I (Weitere Briefe folgen)




Goethes Wilhelm Meister
V. Fleischhauer von

IMvelde lebt im Urteil vieler sogenannten Gebildeten nur als der
Olympier, der Geheimrat und Staatsminister von Weimar, der
formgewandte Hofmann und Aristokrat, der in seinem Verkehr sich
ausschließlich auf die vornehmen Kreise beschränkt habe*). Nichts
ist schiefer als dieses Urteil. Vielleicht gilt es noch am ersten
Goethe der letzten Lebensjahre, doch auch da nur mit der Ein-
daß dem Alter überhaupt der Zug nach Abschließung eigen ist.
Aber von jeneni Goethe, der auf seinen Wanderungen sich mit Vorliebe in ein
Gespräch mit Handwerksburschen und Landarbeitern einließ, der bei dem Se.
Rochusfest zu Bingen noch im Jahre 1814 mitten unter dem fröhlich feiernden
und pokulierenden Volk saß, von dem Goethe, dem das Leben in seiner kleinsten
und einfachsten Gestalt bedeutend und der Erkenntnis wert war, gilt es höchstens
in sehr bedingtem Sinne, durchaus aber nicht, wenn man es fällen wollte vom
Standpunkt einer politischen Partei aus und in feindseliger und verurteilender
Absicht.M
von dem
schränkung,



*) Auf einen im "Logos", Jahrgang 1910, Heft 2 (Verlag von I. C. B. Mohr in Tübingen)
erschienenen Aufsatz von I. Cohn über "Wilhelm Meisters Wandcrjnhre" sei noch hingewiesen.
Goethes Wilhelm Meister

Kein Fleckchen Land, das ertragfähig ist, bleibt unbenutzt, und auf bergigen
Terrain legen sie terrassierte Äcker an, um auf diese Weise die Ackerfläche zu
vergrößern. Wie hoch steht doch der chinesische Bauer z. B. über dem russischen!
Hier ist Kultur, eine alte, stehengebliebene Kultur, aber immerhin eine solche,
vor der man den Hut ziehen kann. Und diese ihre Kultur verdanken die
Chinesen sich selbst allein und ihrer eigenen Kraft und Intelligenz.

Wenn Du Zeit und Lust hast, etwas über China zu lesen, so kann ich
Dir zwei gute Bücher empfehlen: Arthur Smith, „Chinese Characteristics"
und Holcombe, „The Real Chinaman". Beide Verfasser sind Amerikaner und
gute Kenner Chinas.

Was hätte aus China werden können, wenn man die Jesuiten, die so
unendlich viel für die Hebung der Kultur und für die Einführung der abend¬
ländischen Kultur in China getan haben, bei der Arbeit gelassen hätte und wenn
die humanen und bibelfesten Engländer nicht das Volk, wenigstens die höheren
Stände, durch das Opium physisch, intellektuell und sittlich zu Grunde gerichtet
hätten I (Weitere Briefe folgen)




Goethes Wilhelm Meister
V. Fleischhauer von

IMvelde lebt im Urteil vieler sogenannten Gebildeten nur als der
Olympier, der Geheimrat und Staatsminister von Weimar, der
formgewandte Hofmann und Aristokrat, der in seinem Verkehr sich
ausschließlich auf die vornehmen Kreise beschränkt habe*). Nichts
ist schiefer als dieses Urteil. Vielleicht gilt es noch am ersten
Goethe der letzten Lebensjahre, doch auch da nur mit der Ein-
daß dem Alter überhaupt der Zug nach Abschließung eigen ist.
Aber von jeneni Goethe, der auf seinen Wanderungen sich mit Vorliebe in ein
Gespräch mit Handwerksburschen und Landarbeitern einließ, der bei dem Se.
Rochusfest zu Bingen noch im Jahre 1814 mitten unter dem fröhlich feiernden
und pokulierenden Volk saß, von dem Goethe, dem das Leben in seiner kleinsten
und einfachsten Gestalt bedeutend und der Erkenntnis wert war, gilt es höchstens
in sehr bedingtem Sinne, durchaus aber nicht, wenn man es fällen wollte vom
Standpunkt einer politischen Partei aus und in feindseliger und verurteilender
Absicht.M
von dem
schränkung,



*) Auf einen im „Logos", Jahrgang 1910, Heft 2 (Verlag von I. C. B. Mohr in Tübingen)
erschienenen Aufsatz von I. Cohn über „Wilhelm Meisters Wandcrjnhre" sei noch hingewiesen.
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[0282] Goethes Wilhelm Meister Kein Fleckchen Land, das ertragfähig ist, bleibt unbenutzt, und auf bergigen Terrain legen sie terrassierte Äcker an, um auf diese Weise die Ackerfläche zu vergrößern. Wie hoch steht doch der chinesische Bauer z. B. über dem russischen! Hier ist Kultur, eine alte, stehengebliebene Kultur, aber immerhin eine solche, vor der man den Hut ziehen kann. Und diese ihre Kultur verdanken die Chinesen sich selbst allein und ihrer eigenen Kraft und Intelligenz. Wenn Du Zeit und Lust hast, etwas über China zu lesen, so kann ich Dir zwei gute Bücher empfehlen: Arthur Smith, „Chinese Characteristics" und Holcombe, „The Real Chinaman". Beide Verfasser sind Amerikaner und gute Kenner Chinas. Was hätte aus China werden können, wenn man die Jesuiten, die so unendlich viel für die Hebung der Kultur und für die Einführung der abend¬ ländischen Kultur in China getan haben, bei der Arbeit gelassen hätte und wenn die humanen und bibelfesten Engländer nicht das Volk, wenigstens die höheren Stände, durch das Opium physisch, intellektuell und sittlich zu Grunde gerichtet hätten I (Weitere Briefe folgen) Goethes Wilhelm Meister V. Fleischhauer von IMvelde lebt im Urteil vieler sogenannten Gebildeten nur als der Olympier, der Geheimrat und Staatsminister von Weimar, der formgewandte Hofmann und Aristokrat, der in seinem Verkehr sich ausschließlich auf die vornehmen Kreise beschränkt habe*). Nichts ist schiefer als dieses Urteil. Vielleicht gilt es noch am ersten Goethe der letzten Lebensjahre, doch auch da nur mit der Ein- daß dem Alter überhaupt der Zug nach Abschließung eigen ist. Aber von jeneni Goethe, der auf seinen Wanderungen sich mit Vorliebe in ein Gespräch mit Handwerksburschen und Landarbeitern einließ, der bei dem Se. Rochusfest zu Bingen noch im Jahre 1814 mitten unter dem fröhlich feiernden und pokulierenden Volk saß, von dem Goethe, dem das Leben in seiner kleinsten und einfachsten Gestalt bedeutend und der Erkenntnis wert war, gilt es höchstens in sehr bedingtem Sinne, durchaus aber nicht, wenn man es fällen wollte vom Standpunkt einer politischen Partei aus und in feindseliger und verurteilender Absicht.M von dem schränkung, *) Auf einen im „Logos", Jahrgang 1910, Heft 2 (Verlag von I. C. B. Mohr in Tübingen) erschienenen Aufsatz von I. Cohn über „Wilhelm Meisters Wandcrjnhre" sei noch hingewiesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/282>, abgerufen am 03.07.2024.