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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus China

verlebte er dort fast zwei volle Jahre -- wohl die glücklichsten seines Lebens.
Bald nach seiner Rückkehr gab er seine Tätigkeit im Museum für Völkerkunde
auf und widmete sich ganz seinen tiefgründigen Studien, seinen Schülern und
einem durchgeistigten Lebensgenuß. Grube war trotz der Fremdartigkeit seines
Wissensgebietes kein einseitiger Gelehrter. Die Kunst, namentlich die Musik
und die Literatur, gehörten zu seinen Lebensbedürfnissen, und wer nur ein
wenig über die Forderungen des Tages hinaus Ausschau zu halten vermochte,
fand sich sicher zu ihm. Er war ein heiterer Genosse, ein warmherziger Freund
und Helfer. Mitten in der Arbeit, auf der Höhe seines Schaffens ereilte ihn
der bittere Tod in seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahre.




Peking, 28. Juli 97.
"

, . ^
An seine Schwester.


Meine liebe Weiuandel

Du sollst, wie sich's gehört, das erste Lebenszeichen aus Peking erhalten ...

Am 26. d. Mes. verließen wir Tientsin, um das letzte Stück unserer Reise
mit der erst ganz kürzlich fertiggestellten Eisenbahn zurückzulegen, eine Strecke,
die man jetzt in sieben Stunden zurücklegt, während man früher drei bis vier
Tage unterwegs war.

Nachdem wir die trostlose Lehmwüste, in der Tientstn liegt, hinter uns
hatten, konnten wir uns wieder an dem langentbehrten Anblick frischen Grüns
laben. Soweit das Auge reichte, sah man allenthalben wohlbestellte Getreide-
(meist Mais) Felder, dazwischen zahllose Erdhügel mitten in den Ackern: das
waren Gräber, die nach dem Gebot der Pietät nicht bebaut werden dürfen,
mithin der Nutzbarmachung entzogen werden -- ein kaum aufzuwiegender Schaden
in einem so dicht bevölkerten Lande wie China.

Unsere Mitreisenden waren natürlich zum überwiegend größten Teile
Chinesen, und obwohl wir ein besonderes Coups hatten, waren wir doch bestänoig
teilnehmender Beobachtung ausgesetzt. Am schlimmsten war es jedoch auf einer
Station, wo wir eineinviertel Stunden Aufenthalt hatten; da wurde unser Wagen
förmlich belagert, und wir wurden kritisch gemustert und angestarrt, als wenn
wir zu den geschätztesten Mitgliedern der Hagenbeckschen Menagerie gehört hätten.
Schließlich sah ich mich genötigt, die Fensterläden zu schließen, um uns den
Blicken dieser schmierigen, halbnackten und schweißduftenden Gesellschaft zu
entziehen.

Die Endstation heißt Ma-chia°pu und ist ungefähr eine halbe Stunde von
Peking entfernt. Hier angelangt wurden wir vom Ma-fu (Kutscher) der deutschen
Gesandtschaft empfangen, der mir einen Brief von Dr. F. überbrachte und
zugleich Sänften für uns bereit hielt. So hielten wir denn unter den sengenden
Strahlen der Julisonne unseren Einzug in Peking. An der Spitze des Zuges
ritt der gravitätische Ma-fu, dann folgte Lillys Sänfte, von vier Tragen
getragen, dann die meine. Flankiert wurde der Zug von weiteren acht Kukis, die


Briefe aus China

verlebte er dort fast zwei volle Jahre — wohl die glücklichsten seines Lebens.
Bald nach seiner Rückkehr gab er seine Tätigkeit im Museum für Völkerkunde
auf und widmete sich ganz seinen tiefgründigen Studien, seinen Schülern und
einem durchgeistigten Lebensgenuß. Grube war trotz der Fremdartigkeit seines
Wissensgebietes kein einseitiger Gelehrter. Die Kunst, namentlich die Musik
und die Literatur, gehörten zu seinen Lebensbedürfnissen, und wer nur ein
wenig über die Forderungen des Tages hinaus Ausschau zu halten vermochte,
fand sich sicher zu ihm. Er war ein heiterer Genosse, ein warmherziger Freund
und Helfer. Mitten in der Arbeit, auf der Höhe seines Schaffens ereilte ihn
der bittere Tod in seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahre.




Peking, 28. Juli 97.
»

, . ^
An seine Schwester.


Meine liebe Weiuandel

Du sollst, wie sich's gehört, das erste Lebenszeichen aus Peking erhalten ...

Am 26. d. Mes. verließen wir Tientsin, um das letzte Stück unserer Reise
mit der erst ganz kürzlich fertiggestellten Eisenbahn zurückzulegen, eine Strecke,
die man jetzt in sieben Stunden zurücklegt, während man früher drei bis vier
Tage unterwegs war.

Nachdem wir die trostlose Lehmwüste, in der Tientstn liegt, hinter uns
hatten, konnten wir uns wieder an dem langentbehrten Anblick frischen Grüns
laben. Soweit das Auge reichte, sah man allenthalben wohlbestellte Getreide-
(meist Mais) Felder, dazwischen zahllose Erdhügel mitten in den Ackern: das
waren Gräber, die nach dem Gebot der Pietät nicht bebaut werden dürfen,
mithin der Nutzbarmachung entzogen werden — ein kaum aufzuwiegender Schaden
in einem so dicht bevölkerten Lande wie China.

Unsere Mitreisenden waren natürlich zum überwiegend größten Teile
Chinesen, und obwohl wir ein besonderes Coups hatten, waren wir doch bestänoig
teilnehmender Beobachtung ausgesetzt. Am schlimmsten war es jedoch auf einer
Station, wo wir eineinviertel Stunden Aufenthalt hatten; da wurde unser Wagen
förmlich belagert, und wir wurden kritisch gemustert und angestarrt, als wenn
wir zu den geschätztesten Mitgliedern der Hagenbeckschen Menagerie gehört hätten.
Schließlich sah ich mich genötigt, die Fensterläden zu schließen, um uns den
Blicken dieser schmierigen, halbnackten und schweißduftenden Gesellschaft zu
entziehen.

Die Endstation heißt Ma-chia°pu und ist ungefähr eine halbe Stunde von
Peking entfernt. Hier angelangt wurden wir vom Ma-fu (Kutscher) der deutschen
Gesandtschaft empfangen, der mir einen Brief von Dr. F. überbrachte und
zugleich Sänften für uns bereit hielt. So hielten wir denn unter den sengenden
Strahlen der Julisonne unseren Einzug in Peking. An der Spitze des Zuges
ritt der gravitätische Ma-fu, dann folgte Lillys Sänfte, von vier Tragen
getragen, dann die meine. Flankiert wurde der Zug von weiteren acht Kukis, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/278>, abgerufen am 23.07.2024.