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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus China

1911 hat Preußen keine ordentliche Professur für Chinesisch besessen. Erst nach
Althoffs Tode wurde der verdienstvolle Holländer de Grooth gewonnen, unsere
Kenntnisse der chinesischen Kultur zu erweitern.

Wenn wir heute mit der Veröffentlichung einer Sammlung von Briefen
beginnen, die Grube, auf einer Studienreise in China begriffen, in den Jahren
1897 und 1898 in die Heimat sandte, so glauben wir unseren Lesern in zwei¬
facher Weise zu dienen: einmal muß es gegenwärtig, da China sich wieder
einmal politisch stark betätigt, besonders wertvoll erscheinen, Momentaufnahmen
aus seinem Leben an sich vorüberziehen zu lassen, um auf diese Weise ein uns
in seiner Eigenart so fremdes Volk besser erfassen und beurteilen zu lernen.
Da diese Skizzen von einem unserer hervorragendsten Kenner Chinas gezeichnet
wurden, verdienen sie in hohem Maße die Beachtung aller, die zu den Chinesen
in irgend welcher Beziehung stehen. Wem aber das Land der aufgehenden
Sonne in seiner Unzugänglichkeit keinerlei Teilnahme abzuringen vermag, dem
mag es Freude bescheren, die durch und durch vornehme, geistvolle und liebens¬
würdige Persönlichkeit des Briefstellers kennen zu lernen.'

Wilhelm Grube wurde als Jüngster einer kinderreichen Familie am 17.August
1855 in Se. Petersburg geboren. Sein Vater war aus Schleswig-Holstein nach
Rußland eingewandert und betätigte sich als Kaufmann. Grubes Kindheit durch¬
zieht ein Hauch tiefer Schwermut. Da ihm die Mutter früh gestorben und sein
Vater schon bejahrt war, lag seine Erziehung ganz in den Händen seiner ein¬
zigen Schwester, deren Fürsorge er sein Leben lang mit rührender Liebe und
Dankbarkeit vergolten hat. Die Brüder wandten sich sämtlich dem Kaufmanns¬
stande zu, und auch Wilhelm wurde für den ihm im Innersten verhaßten Beruf
bestimmt. Der Fürsprache seines Schuldirektors May gelang es, den Vater
umzustimmen, und 1874 durfte er die Universität Petersburg beziehen, um
Philosophie und Sprachwissenschaften zu studieren. Sein Sehnen ging aber
nach Deutschland, und 1878 wurde es ihm möglich, nach Leipzig überzusiedeln,
um den Unterricht des damals bedeutendsten Kenners der chinesischen Sprache,
Sans Georg v. d. Gabelentz, zu genießen. Hier verlebte er glückliche Tage.
1880 promovierte er mit einer Arbeit über einen chinesischen Philosophen glänzend
zum Dr. Mi. und ließ sich schon im nächsten Jahre neben seinem Lehrer als
Privatdozent nieder. Um des Erwerbs willen glaubte er einem Rufe nach
Petersburg als Konservator am Asiatischen Museum der Kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften folgen zu müssen, aber er konnte sich in der alten Heimat,
der er immer als Fremder gegenüber gestanden hatte, nicht einleben, und trotz
glänzender Anerbietungen verließ er schon im folgenden Jahre die Stadt Peters,
um sich dauernd in Deutschland anzusiedeln. Er wurde in Berlin Direktorial¬
assistent am Museum für Völkerkunde und zugleich Privatdozent an der Friedrich-
Wilhelm-Universität, die ihn 1892 zum außerordentlichen Professor ernannte.
Im Frühling 1897 gelang es ihm endlich, seinen heißesten Wunsch, China mit
eigenen Augen zu sehen, zu verwirklichen, und in Begleitung seiner Frau


Grenzboten IV 1911 34
Briefe aus China

1911 hat Preußen keine ordentliche Professur für Chinesisch besessen. Erst nach
Althoffs Tode wurde der verdienstvolle Holländer de Grooth gewonnen, unsere
Kenntnisse der chinesischen Kultur zu erweitern.

Wenn wir heute mit der Veröffentlichung einer Sammlung von Briefen
beginnen, die Grube, auf einer Studienreise in China begriffen, in den Jahren
1897 und 1898 in die Heimat sandte, so glauben wir unseren Lesern in zwei¬
facher Weise zu dienen: einmal muß es gegenwärtig, da China sich wieder
einmal politisch stark betätigt, besonders wertvoll erscheinen, Momentaufnahmen
aus seinem Leben an sich vorüberziehen zu lassen, um auf diese Weise ein uns
in seiner Eigenart so fremdes Volk besser erfassen und beurteilen zu lernen.
Da diese Skizzen von einem unserer hervorragendsten Kenner Chinas gezeichnet
wurden, verdienen sie in hohem Maße die Beachtung aller, die zu den Chinesen
in irgend welcher Beziehung stehen. Wem aber das Land der aufgehenden
Sonne in seiner Unzugänglichkeit keinerlei Teilnahme abzuringen vermag, dem
mag es Freude bescheren, die durch und durch vornehme, geistvolle und liebens¬
würdige Persönlichkeit des Briefstellers kennen zu lernen.'

Wilhelm Grube wurde als Jüngster einer kinderreichen Familie am 17.August
1855 in Se. Petersburg geboren. Sein Vater war aus Schleswig-Holstein nach
Rußland eingewandert und betätigte sich als Kaufmann. Grubes Kindheit durch¬
zieht ein Hauch tiefer Schwermut. Da ihm die Mutter früh gestorben und sein
Vater schon bejahrt war, lag seine Erziehung ganz in den Händen seiner ein¬
zigen Schwester, deren Fürsorge er sein Leben lang mit rührender Liebe und
Dankbarkeit vergolten hat. Die Brüder wandten sich sämtlich dem Kaufmanns¬
stande zu, und auch Wilhelm wurde für den ihm im Innersten verhaßten Beruf
bestimmt. Der Fürsprache seines Schuldirektors May gelang es, den Vater
umzustimmen, und 1874 durfte er die Universität Petersburg beziehen, um
Philosophie und Sprachwissenschaften zu studieren. Sein Sehnen ging aber
nach Deutschland, und 1878 wurde es ihm möglich, nach Leipzig überzusiedeln,
um den Unterricht des damals bedeutendsten Kenners der chinesischen Sprache,
Sans Georg v. d. Gabelentz, zu genießen. Hier verlebte er glückliche Tage.
1880 promovierte er mit einer Arbeit über einen chinesischen Philosophen glänzend
zum Dr. Mi. und ließ sich schon im nächsten Jahre neben seinem Lehrer als
Privatdozent nieder. Um des Erwerbs willen glaubte er einem Rufe nach
Petersburg als Konservator am Asiatischen Museum der Kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften folgen zu müssen, aber er konnte sich in der alten Heimat,
der er immer als Fremder gegenüber gestanden hatte, nicht einleben, und trotz
glänzender Anerbietungen verließ er schon im folgenden Jahre die Stadt Peters,
um sich dauernd in Deutschland anzusiedeln. Er wurde in Berlin Direktorial¬
assistent am Museum für Völkerkunde und zugleich Privatdozent an der Friedrich-
Wilhelm-Universität, die ihn 1892 zum außerordentlichen Professor ernannte.
Im Frühling 1897 gelang es ihm endlich, seinen heißesten Wunsch, China mit
eigenen Augen zu sehen, zu verwirklichen, und in Begleitung seiner Frau


Grenzboten IV 1911 34
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[0277] Briefe aus China 1911 hat Preußen keine ordentliche Professur für Chinesisch besessen. Erst nach Althoffs Tode wurde der verdienstvolle Holländer de Grooth gewonnen, unsere Kenntnisse der chinesischen Kultur zu erweitern. Wenn wir heute mit der Veröffentlichung einer Sammlung von Briefen beginnen, die Grube, auf einer Studienreise in China begriffen, in den Jahren 1897 und 1898 in die Heimat sandte, so glauben wir unseren Lesern in zwei¬ facher Weise zu dienen: einmal muß es gegenwärtig, da China sich wieder einmal politisch stark betätigt, besonders wertvoll erscheinen, Momentaufnahmen aus seinem Leben an sich vorüberziehen zu lassen, um auf diese Weise ein uns in seiner Eigenart so fremdes Volk besser erfassen und beurteilen zu lernen. Da diese Skizzen von einem unserer hervorragendsten Kenner Chinas gezeichnet wurden, verdienen sie in hohem Maße die Beachtung aller, die zu den Chinesen in irgend welcher Beziehung stehen. Wem aber das Land der aufgehenden Sonne in seiner Unzugänglichkeit keinerlei Teilnahme abzuringen vermag, dem mag es Freude bescheren, die durch und durch vornehme, geistvolle und liebens¬ würdige Persönlichkeit des Briefstellers kennen zu lernen.' Wilhelm Grube wurde als Jüngster einer kinderreichen Familie am 17.August 1855 in Se. Petersburg geboren. Sein Vater war aus Schleswig-Holstein nach Rußland eingewandert und betätigte sich als Kaufmann. Grubes Kindheit durch¬ zieht ein Hauch tiefer Schwermut. Da ihm die Mutter früh gestorben und sein Vater schon bejahrt war, lag seine Erziehung ganz in den Händen seiner ein¬ zigen Schwester, deren Fürsorge er sein Leben lang mit rührender Liebe und Dankbarkeit vergolten hat. Die Brüder wandten sich sämtlich dem Kaufmanns¬ stande zu, und auch Wilhelm wurde für den ihm im Innersten verhaßten Beruf bestimmt. Der Fürsprache seines Schuldirektors May gelang es, den Vater umzustimmen, und 1874 durfte er die Universität Petersburg beziehen, um Philosophie und Sprachwissenschaften zu studieren. Sein Sehnen ging aber nach Deutschland, und 1878 wurde es ihm möglich, nach Leipzig überzusiedeln, um den Unterricht des damals bedeutendsten Kenners der chinesischen Sprache, Sans Georg v. d. Gabelentz, zu genießen. Hier verlebte er glückliche Tage. 1880 promovierte er mit einer Arbeit über einen chinesischen Philosophen glänzend zum Dr. Mi. und ließ sich schon im nächsten Jahre neben seinem Lehrer als Privatdozent nieder. Um des Erwerbs willen glaubte er einem Rufe nach Petersburg als Konservator am Asiatischen Museum der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften folgen zu müssen, aber er konnte sich in der alten Heimat, der er immer als Fremder gegenüber gestanden hatte, nicht einleben, und trotz glänzender Anerbietungen verließ er schon im folgenden Jahre die Stadt Peters, um sich dauernd in Deutschland anzusiedeln. Er wurde in Berlin Direktorial¬ assistent am Museum für Völkerkunde und zugleich Privatdozent an der Friedrich- Wilhelm-Universität, die ihn 1892 zum außerordentlichen Professor ernannte. Im Frühling 1897 gelang es ihm endlich, seinen heißesten Wunsch, China mit eigenen Augen zu sehen, zu verwirklichen, und in Begleitung seiner Frau Grenzboten IV 1911 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/277>, abgerufen am 23.07.2024.