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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichsbank und Geldumlauf

gelegten Summe in Kasse, Wechseln und Lombardforderungen angelegt hatte",
so daß also volle 63 Prozent auf "feste Anlagen" entfielen. Im Einklang
hiermit habe sich der Barvorrat der Reichsbank von 1897 bis 1906 nur um
1,7 Prozent vermehrt, während in der gleichen Zeit, wie im einzelnen nachzu¬
weisen versucht wird, alle Verkehrsvorgänge eine Steigerung um 60 bis 70 Prozent
erfahren hätten. In diesen Erscheinungen sei die Quelle für die Beunruhigung
des Geldmarktes und die teueren Zinssätze zu suchen.

Bei dieser Argumentation hatte Heiligenstadt offenbar die außergewöhnliche"
Verhältnisse der Hochkonjunktur von 1906/07 vor Augen, und er hat sich ver¬
leiten lassen, aus diesen verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen.

Mit seinem Vorschlag der Bildung einer Barreserve befindet er sich auf
dem richtigen Weg: die Begründung ist unzutreffend und mittlerweile durch die
Tatsachen selbst widerlegt.

Zunächst ist es nicht richtig, daß die Banken einen so hohen Prozentsatz
der fremden Gelder investiert hätten. Man darf für die Berechnung der
Liquidität sich nicht auf die drei von Heiligenstadt in Betracht gezogenen
Kategorien, Kasse, Wechsel und Lombard, beschränken. Zum mindesten gehören
dazu noch die Reports, die bedeutende Summen umfassen, und die Effekten,
soweit sie jederzeit realisierbare Werte, also namentlich Staatspapiere sind.
Die letzteren nur deshalb außer Betracht zu lassen, weil theoretisch der Erwerb
von Staatspapieren flüssiges Betriebskapital in feste Anlage, eine Forderung
an den Staat, verwandelt, ist eine Subtilität. In der Praxis muß diese
Anlageform als eine der liquidesten angesehen werden. Es ist nicht uninteressant
zu konstatieren, daß die Preußische Zentralgenossenschaftskasse unter der Leitung
Heiligenstadts von demselben Gesichtspunkt ausgeht; hat sie doch im Interesse
ihrer Liquidität ihr gesamtes Grundkapital in mündelsicheren Werten angelegt.
Wendet man aber für die Berechnung der Liquidität der Kreditbanken hiernach
modifizierte Grundsätze an, so gelangt man zu stark abweichenden Resultaten.
Es ergibt sich nämlich dann, wie eine Anzahl voneinander unabhängiger Unter¬
suchungen dargetan haben (vgl. darüber die Zusammenstellung in dem von Rießer
der Bankenquetekommission erstatteten Giltachten S. 199 des stenogr. Berichts),
daß mit geringen Schwankungen die Verpflichtungen der deutschen Kreditbanken
zu zwei Dritteln durch liquide Mittel gedeckt sind. Dies ist aber ein durchaus
befriedigendes Ergebnis, angesichts dessen man nicht an der Behauptung
festhalten kann, es sei ein übermäßiger Betrag der fremden Gelder fest
angelegt.

Die Jrrtümlichkeit der Heiligenstadtschen Auffassung ergibt sich ferner aus
der Erwägung, daß selbst, wenn die Banken einen beliebig hohen Betrag der
fremden Gelder, also zwei Drittel oder gar drei Viertel in Wechseln angelegt
hätten, diese so überaus liquide Anlage nicht das geringste an der Inanspruch¬
nahme der Reichsbank an den Terminen zu ändern imstande wäre. Denn diese
kann eben nur durch Barreserven reduziert werden.


Reichsbank und Geldumlauf

gelegten Summe in Kasse, Wechseln und Lombardforderungen angelegt hatte»,
so daß also volle 63 Prozent auf „feste Anlagen" entfielen. Im Einklang
hiermit habe sich der Barvorrat der Reichsbank von 1897 bis 1906 nur um
1,7 Prozent vermehrt, während in der gleichen Zeit, wie im einzelnen nachzu¬
weisen versucht wird, alle Verkehrsvorgänge eine Steigerung um 60 bis 70 Prozent
erfahren hätten. In diesen Erscheinungen sei die Quelle für die Beunruhigung
des Geldmarktes und die teueren Zinssätze zu suchen.

Bei dieser Argumentation hatte Heiligenstadt offenbar die außergewöhnliche»
Verhältnisse der Hochkonjunktur von 1906/07 vor Augen, und er hat sich ver¬
leiten lassen, aus diesen verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen.

Mit seinem Vorschlag der Bildung einer Barreserve befindet er sich auf
dem richtigen Weg: die Begründung ist unzutreffend und mittlerweile durch die
Tatsachen selbst widerlegt.

Zunächst ist es nicht richtig, daß die Banken einen so hohen Prozentsatz
der fremden Gelder investiert hätten. Man darf für die Berechnung der
Liquidität sich nicht auf die drei von Heiligenstadt in Betracht gezogenen
Kategorien, Kasse, Wechsel und Lombard, beschränken. Zum mindesten gehören
dazu noch die Reports, die bedeutende Summen umfassen, und die Effekten,
soweit sie jederzeit realisierbare Werte, also namentlich Staatspapiere sind.
Die letzteren nur deshalb außer Betracht zu lassen, weil theoretisch der Erwerb
von Staatspapieren flüssiges Betriebskapital in feste Anlage, eine Forderung
an den Staat, verwandelt, ist eine Subtilität. In der Praxis muß diese
Anlageform als eine der liquidesten angesehen werden. Es ist nicht uninteressant
zu konstatieren, daß die Preußische Zentralgenossenschaftskasse unter der Leitung
Heiligenstadts von demselben Gesichtspunkt ausgeht; hat sie doch im Interesse
ihrer Liquidität ihr gesamtes Grundkapital in mündelsicheren Werten angelegt.
Wendet man aber für die Berechnung der Liquidität der Kreditbanken hiernach
modifizierte Grundsätze an, so gelangt man zu stark abweichenden Resultaten.
Es ergibt sich nämlich dann, wie eine Anzahl voneinander unabhängiger Unter¬
suchungen dargetan haben (vgl. darüber die Zusammenstellung in dem von Rießer
der Bankenquetekommission erstatteten Giltachten S. 199 des stenogr. Berichts),
daß mit geringen Schwankungen die Verpflichtungen der deutschen Kreditbanken
zu zwei Dritteln durch liquide Mittel gedeckt sind. Dies ist aber ein durchaus
befriedigendes Ergebnis, angesichts dessen man nicht an der Behauptung
festhalten kann, es sei ein übermäßiger Betrag der fremden Gelder fest
angelegt.

Die Jrrtümlichkeit der Heiligenstadtschen Auffassung ergibt sich ferner aus
der Erwägung, daß selbst, wenn die Banken einen beliebig hohen Betrag der
fremden Gelder, also zwei Drittel oder gar drei Viertel in Wechseln angelegt
hätten, diese so überaus liquide Anlage nicht das geringste an der Inanspruch¬
nahme der Reichsbank an den Terminen zu ändern imstande wäre. Denn diese
kann eben nur durch Barreserven reduziert werden.


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[0270] Reichsbank und Geldumlauf gelegten Summe in Kasse, Wechseln und Lombardforderungen angelegt hatte», so daß also volle 63 Prozent auf „feste Anlagen" entfielen. Im Einklang hiermit habe sich der Barvorrat der Reichsbank von 1897 bis 1906 nur um 1,7 Prozent vermehrt, während in der gleichen Zeit, wie im einzelnen nachzu¬ weisen versucht wird, alle Verkehrsvorgänge eine Steigerung um 60 bis 70 Prozent erfahren hätten. In diesen Erscheinungen sei die Quelle für die Beunruhigung des Geldmarktes und die teueren Zinssätze zu suchen. Bei dieser Argumentation hatte Heiligenstadt offenbar die außergewöhnliche» Verhältnisse der Hochkonjunktur von 1906/07 vor Augen, und er hat sich ver¬ leiten lassen, aus diesen verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. Mit seinem Vorschlag der Bildung einer Barreserve befindet er sich auf dem richtigen Weg: die Begründung ist unzutreffend und mittlerweile durch die Tatsachen selbst widerlegt. Zunächst ist es nicht richtig, daß die Banken einen so hohen Prozentsatz der fremden Gelder investiert hätten. Man darf für die Berechnung der Liquidität sich nicht auf die drei von Heiligenstadt in Betracht gezogenen Kategorien, Kasse, Wechsel und Lombard, beschränken. Zum mindesten gehören dazu noch die Reports, die bedeutende Summen umfassen, und die Effekten, soweit sie jederzeit realisierbare Werte, also namentlich Staatspapiere sind. Die letzteren nur deshalb außer Betracht zu lassen, weil theoretisch der Erwerb von Staatspapieren flüssiges Betriebskapital in feste Anlage, eine Forderung an den Staat, verwandelt, ist eine Subtilität. In der Praxis muß diese Anlageform als eine der liquidesten angesehen werden. Es ist nicht uninteressant zu konstatieren, daß die Preußische Zentralgenossenschaftskasse unter der Leitung Heiligenstadts von demselben Gesichtspunkt ausgeht; hat sie doch im Interesse ihrer Liquidität ihr gesamtes Grundkapital in mündelsicheren Werten angelegt. Wendet man aber für die Berechnung der Liquidität der Kreditbanken hiernach modifizierte Grundsätze an, so gelangt man zu stark abweichenden Resultaten. Es ergibt sich nämlich dann, wie eine Anzahl voneinander unabhängiger Unter¬ suchungen dargetan haben (vgl. darüber die Zusammenstellung in dem von Rießer der Bankenquetekommission erstatteten Giltachten S. 199 des stenogr. Berichts), daß mit geringen Schwankungen die Verpflichtungen der deutschen Kreditbanken zu zwei Dritteln durch liquide Mittel gedeckt sind. Dies ist aber ein durchaus befriedigendes Ergebnis, angesichts dessen man nicht an der Behauptung festhalten kann, es sei ein übermäßiger Betrag der fremden Gelder fest angelegt. Die Jrrtümlichkeit der Heiligenstadtschen Auffassung ergibt sich ferner aus der Erwägung, daß selbst, wenn die Banken einen beliebig hohen Betrag der fremden Gelder, also zwei Drittel oder gar drei Viertel in Wechseln angelegt hätten, diese so überaus liquide Anlage nicht das geringste an der Inanspruch¬ nahme der Reichsbank an den Terminen zu ändern imstande wäre. Denn diese kann eben nur durch Barreserven reduziert werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/270>, abgerufen am 03.07.2024.