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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

pochte Morgens Pate und Vormund, ein vierschrötiger Bauer, der sich unter den
adligen Kavalieren wie ein Sperling in einem Fluge Goldammern vorkam, an
die Tür. Die Mädchen öffneten und Merge trat hinaus: strahlend schön und
frisch wie eine eben erblühte Rose. Die vielen fremden Gesichter, die sie mit mehr
Neugier als Wohlwollen betrachteten, verwirrten sie, und sie blieb einen Augen¬
blick unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte, auf der Schwelle stehen. Da wandelte
sich die Stimmung der adligen Verwandten zu ihren Gunsten, und die meisten
der Männer waren geneigt, Herrn Salentin den "aux-pss", den er zu tun im
Begriffe stand, zu verzeihen. Der junge Herr v. Pallandt nickte ihr vertraulich
zu, sie erwiderte den Gruß jedoch nur durch ein Erröten und reichte ihrem Paten,
dessen Amt es war, sie zur Kirche zu führen, die Hand.

Die Musikanten spielten eine getragene Weise und setzten sich nach dem Hof¬
tore zu in Bewegung, das Vorbräutchen trippelte mit der Brautkerze hinterher,
die Brautleute folgten: Merge an der Seite ihres Paten, der Freiherr von seinem
Neffen geleitet, und die Gäste schlossen sich an.

An der Tür der Holzheimer Kirche, in der die Trauung vor sich gehen sollte,
hatte in Ermangelung heiratsfähiger Burschen eine Schar Knaben Aufstellung
genommen, denen sich die beiden Hagestolzen des Dorfes, der Gemeindehirt und
ein hochbetagter Knecht, zugesellt hatten. Sie wollten nach altem Brauche die
Braut "fangen", hielten ein Band ausgespannt und präsentierten Merge einen
Strauß, wobei sie "den Spruch taten":

Der Freiherr, der darauf vorbereitet war, daß er seine Braut loskaufen
mußte, griff in die mächtige Pattentasche seines Leibrocks und warf eine Handvoll
Münzen nach rechts und nach links, nicht anders wie der Erbschatzmeister des
heiligen Römischen Reichs bei der Kaiserkrönung zu Frankfurt, nur daß dort der
metallene Regen etwas reichlicher und daß die Tropfen silbern, anstatt, wie hier,
kupfern zur Erde zu fallen pflegten. Aber die Wirkung konnte auch auf dem
Römerberg kaum großartiger sein: die wegelagernden Gratulanten drängten, stießen
und wälzten sich als zwei wirre Knäuel zu beiden Seiten der Kirchentür, und
über das zur Erde gefallene Band hielt die Hochzeitsgesellschaft ihren Einzug in
das kleine Gotteshaus.

Dort saßen neben den wenigen Damen, die zu dem Feste erschienen waren,
die Schwestern des Bräutigams in der vordersten Bank und warfen Merge, als
sie vor den Altar trat, kritische Blicke zu. Und sie sagten sich mit einer gewissen
Befriedigung, daß das Mädchen, was das Aussehen anlangte, dem Bruder und
sum gerade keine Schande machte, wenn man ihr natürlich auch anmerkte, wie
wenig wohl sie sich in dem ungewohnten Kleide fühlte.

Die Trauung nahm ihren Verlauf, und wenn die Ansprache, die der Pastor
an das Brautpaar hielt, auch kein oratorisches Meisterwerk war, so verfehlte sie
doch keineswegs ihre Wirkung. Als sich Herr Salentin nach der Einsegnung


Grenzboten IV 1911 29
Das Glück des Hauses Rottland

pochte Morgens Pate und Vormund, ein vierschrötiger Bauer, der sich unter den
adligen Kavalieren wie ein Sperling in einem Fluge Goldammern vorkam, an
die Tür. Die Mädchen öffneten und Merge trat hinaus: strahlend schön und
frisch wie eine eben erblühte Rose. Die vielen fremden Gesichter, die sie mit mehr
Neugier als Wohlwollen betrachteten, verwirrten sie, und sie blieb einen Augen¬
blick unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte, auf der Schwelle stehen. Da wandelte
sich die Stimmung der adligen Verwandten zu ihren Gunsten, und die meisten
der Männer waren geneigt, Herrn Salentin den „aux-pss", den er zu tun im
Begriffe stand, zu verzeihen. Der junge Herr v. Pallandt nickte ihr vertraulich
zu, sie erwiderte den Gruß jedoch nur durch ein Erröten und reichte ihrem Paten,
dessen Amt es war, sie zur Kirche zu führen, die Hand.

Die Musikanten spielten eine getragene Weise und setzten sich nach dem Hof¬
tore zu in Bewegung, das Vorbräutchen trippelte mit der Brautkerze hinterher,
die Brautleute folgten: Merge an der Seite ihres Paten, der Freiherr von seinem
Neffen geleitet, und die Gäste schlossen sich an.

An der Tür der Holzheimer Kirche, in der die Trauung vor sich gehen sollte,
hatte in Ermangelung heiratsfähiger Burschen eine Schar Knaben Aufstellung
genommen, denen sich die beiden Hagestolzen des Dorfes, der Gemeindehirt und
ein hochbetagter Knecht, zugesellt hatten. Sie wollten nach altem Brauche die
Braut „fangen", hielten ein Band ausgespannt und präsentierten Merge einen
Strauß, wobei sie „den Spruch taten":

Der Freiherr, der darauf vorbereitet war, daß er seine Braut loskaufen
mußte, griff in die mächtige Pattentasche seines Leibrocks und warf eine Handvoll
Münzen nach rechts und nach links, nicht anders wie der Erbschatzmeister des
heiligen Römischen Reichs bei der Kaiserkrönung zu Frankfurt, nur daß dort der
metallene Regen etwas reichlicher und daß die Tropfen silbern, anstatt, wie hier,
kupfern zur Erde zu fallen pflegten. Aber die Wirkung konnte auch auf dem
Römerberg kaum großartiger sein: die wegelagernden Gratulanten drängten, stießen
und wälzten sich als zwei wirre Knäuel zu beiden Seiten der Kirchentür, und
über das zur Erde gefallene Band hielt die Hochzeitsgesellschaft ihren Einzug in
das kleine Gotteshaus.

Dort saßen neben den wenigen Damen, die zu dem Feste erschienen waren,
die Schwestern des Bräutigams in der vordersten Bank und warfen Merge, als
sie vor den Altar trat, kritische Blicke zu. Und sie sagten sich mit einer gewissen
Befriedigung, daß das Mädchen, was das Aussehen anlangte, dem Bruder und
sum gerade keine Schande machte, wenn man ihr natürlich auch anmerkte, wie
wenig wohl sie sich in dem ungewohnten Kleide fühlte.

Die Trauung nahm ihren Verlauf, und wenn die Ansprache, die der Pastor
an das Brautpaar hielt, auch kein oratorisches Meisterwerk war, so verfehlte sie
doch keineswegs ihre Wirkung. Als sich Herr Salentin nach der Einsegnung


Grenzboten IV 1911 29
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/237>, abgerufen am 23.07.2024.