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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Staatsangehörigkeit

würde naturgemäß den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und alle sich
daraus ergebenden Konsequenzen im Falle einer Rückkehr nach Deutschland zur
Folge haben. Zu erwägen würde serner sein, solchen Personen, die eine doppelte
Staatsangehörigkeit besitzen, die Verpflichtung aufzuerlegen, bei ihrer dauernden
Rückkehr nach Deutschland und soweit sie aus Staaten kommen, die eine Ent¬
lassung auf Antrag kennen, sich aus dem fremden Staatsverbande entlassen
zu lassen.

Es ist bisher nur von solchen Personen die Rede gewesen, die auf Grund
eigenen Zutuns eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben. Was wird
nun aus denjenigen Deutschen, die ohne ihre Absicht Bürger eines fremden
Staates geworden sind? Brasilien, Argentinien und viele andere Staaten sind
Anhänger des jus 3"Il, d. h. des Grundsatzes, daß ein auf ihrem Gebiet
geborenes Kind ihre Staatsangehörigkeit erwirbt. Das deutschen Eltern in den
genannten Staaten geborene Kind ist also ein geborenes 8ujet mixte, d. h. es
ist nach deutschem Recht (ju8 8ÄNZuiru8) Deutscher, nach brasilianischen Recht
(jus 8o>i) Brasilianer. Soll ein derartiges Verhältnis dauernd bestehen bleiben?
Oder sollen diejenigen Deutschen, die ohne ihr Zutun eine fremde Staats¬
angehörigkeit erwarben, die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren?

Ich halte eines für so unerwünscht wie das andere. M. E. würde eine
Regelung dieser Fälle in dem Sinne zu erfolgen haben, daß Deutsche, die durch
die Geburt eine fremde Staatsangehörigkeit erwerben, bis zum vollendeten
einundzwanzigsten Lebensjahre unter allen Umständen neben der fremden ihre
deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten. Nach der Vollendung des einund¬
zwanzigsten Lebensjahres bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre
würden sie sich darüber zu entscheiden haben, ob sie Deutsche bleiben wollen
oder nicht. Wird eine Erklärung, für deren Entgegennahme natürlich ebenfalls
jede Reichs-, Staats- und Kommunalbehörde zuständig sein müßte, des Inhalts
abgegeben, datz auf die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich kein Wert gelegt werde,
so würde sich an diese Erklärung ein formelles Entlassungsverfahren zu schließen
haben. Eine formellere Behandlung dieser "Verzichts"erklärungen gegenüber
den inhaltlich auf das Gegenteil lautenden "Beibehaltungs"erklärungen wäre
deshalb angebracht, um durch Hinweis auf die Folgen der Entlassung auf solche
Personen einzuwirken, die sich einfach aus dem Grunde gegen ihre Zugehörigkeit
zum Reiche aussprechen, um sich der Militärpflicht zu entziehen. -- Lautet die
Erklärung hingegen auf den Willen, deutscher Angehöriger bleiben zu wollen,
so würde die Behandlung dieser sujets mixte8 völlig derjenigen entsprechen,
von der oben die Rede gewesen ist.

Es bleibt die Frage offen, was soll geschehen, wenn bis zum vollendeten
fünfundzwanzigsten Lebensjahr eine Erklärung nicht erfolgt ist? Ich bin der
Ansicht, daß in diesen Fällen ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit
eintritt. Darin liegt unzweifelhaft eine Härte; sie ist jedoch nicht ungerecht¬
fertigt. Wer fünfundzwanzig Jahre lang im Ausland gelebt hat, wer, trotz-


Staatsangehörigkeit

würde naturgemäß den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und alle sich
daraus ergebenden Konsequenzen im Falle einer Rückkehr nach Deutschland zur
Folge haben. Zu erwägen würde serner sein, solchen Personen, die eine doppelte
Staatsangehörigkeit besitzen, die Verpflichtung aufzuerlegen, bei ihrer dauernden
Rückkehr nach Deutschland und soweit sie aus Staaten kommen, die eine Ent¬
lassung auf Antrag kennen, sich aus dem fremden Staatsverbande entlassen
zu lassen.

Es ist bisher nur von solchen Personen die Rede gewesen, die auf Grund
eigenen Zutuns eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben. Was wird
nun aus denjenigen Deutschen, die ohne ihre Absicht Bürger eines fremden
Staates geworden sind? Brasilien, Argentinien und viele andere Staaten sind
Anhänger des jus 3»Il, d. h. des Grundsatzes, daß ein auf ihrem Gebiet
geborenes Kind ihre Staatsangehörigkeit erwirbt. Das deutschen Eltern in den
genannten Staaten geborene Kind ist also ein geborenes 8ujet mixte, d. h. es
ist nach deutschem Recht (ju8 8ÄNZuiru8) Deutscher, nach brasilianischen Recht
(jus 8o>i) Brasilianer. Soll ein derartiges Verhältnis dauernd bestehen bleiben?
Oder sollen diejenigen Deutschen, die ohne ihr Zutun eine fremde Staats¬
angehörigkeit erwarben, die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren?

Ich halte eines für so unerwünscht wie das andere. M. E. würde eine
Regelung dieser Fälle in dem Sinne zu erfolgen haben, daß Deutsche, die durch
die Geburt eine fremde Staatsangehörigkeit erwerben, bis zum vollendeten
einundzwanzigsten Lebensjahre unter allen Umständen neben der fremden ihre
deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten. Nach der Vollendung des einund¬
zwanzigsten Lebensjahres bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre
würden sie sich darüber zu entscheiden haben, ob sie Deutsche bleiben wollen
oder nicht. Wird eine Erklärung, für deren Entgegennahme natürlich ebenfalls
jede Reichs-, Staats- und Kommunalbehörde zuständig sein müßte, des Inhalts
abgegeben, datz auf die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich kein Wert gelegt werde,
so würde sich an diese Erklärung ein formelles Entlassungsverfahren zu schließen
haben. Eine formellere Behandlung dieser „Verzichts"erklärungen gegenüber
den inhaltlich auf das Gegenteil lautenden „Beibehaltungs"erklärungen wäre
deshalb angebracht, um durch Hinweis auf die Folgen der Entlassung auf solche
Personen einzuwirken, die sich einfach aus dem Grunde gegen ihre Zugehörigkeit
zum Reiche aussprechen, um sich der Militärpflicht zu entziehen. — Lautet die
Erklärung hingegen auf den Willen, deutscher Angehöriger bleiben zu wollen,
so würde die Behandlung dieser sujets mixte8 völlig derjenigen entsprechen,
von der oben die Rede gewesen ist.

Es bleibt die Frage offen, was soll geschehen, wenn bis zum vollendeten
fünfundzwanzigsten Lebensjahr eine Erklärung nicht erfolgt ist? Ich bin der
Ansicht, daß in diesen Fällen ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit
eintritt. Darin liegt unzweifelhaft eine Härte; sie ist jedoch nicht ungerecht¬
fertigt. Wer fünfundzwanzig Jahre lang im Ausland gelebt hat, wer, trotz-


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[0233] Staatsangehörigkeit würde naturgemäß den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen im Falle einer Rückkehr nach Deutschland zur Folge haben. Zu erwägen würde serner sein, solchen Personen, die eine doppelte Staatsangehörigkeit besitzen, die Verpflichtung aufzuerlegen, bei ihrer dauernden Rückkehr nach Deutschland und soweit sie aus Staaten kommen, die eine Ent¬ lassung auf Antrag kennen, sich aus dem fremden Staatsverbande entlassen zu lassen. Es ist bisher nur von solchen Personen die Rede gewesen, die auf Grund eigenen Zutuns eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben. Was wird nun aus denjenigen Deutschen, die ohne ihre Absicht Bürger eines fremden Staates geworden sind? Brasilien, Argentinien und viele andere Staaten sind Anhänger des jus 3»Il, d. h. des Grundsatzes, daß ein auf ihrem Gebiet geborenes Kind ihre Staatsangehörigkeit erwirbt. Das deutschen Eltern in den genannten Staaten geborene Kind ist also ein geborenes 8ujet mixte, d. h. es ist nach deutschem Recht (ju8 8ÄNZuiru8) Deutscher, nach brasilianischen Recht (jus 8o>i) Brasilianer. Soll ein derartiges Verhältnis dauernd bestehen bleiben? Oder sollen diejenigen Deutschen, die ohne ihr Zutun eine fremde Staats¬ angehörigkeit erwarben, die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren? Ich halte eines für so unerwünscht wie das andere. M. E. würde eine Regelung dieser Fälle in dem Sinne zu erfolgen haben, daß Deutsche, die durch die Geburt eine fremde Staatsangehörigkeit erwerben, bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre unter allen Umständen neben der fremden ihre deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten. Nach der Vollendung des einund¬ zwanzigsten Lebensjahres bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre würden sie sich darüber zu entscheiden haben, ob sie Deutsche bleiben wollen oder nicht. Wird eine Erklärung, für deren Entgegennahme natürlich ebenfalls jede Reichs-, Staats- und Kommunalbehörde zuständig sein müßte, des Inhalts abgegeben, datz auf die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich kein Wert gelegt werde, so würde sich an diese Erklärung ein formelles Entlassungsverfahren zu schließen haben. Eine formellere Behandlung dieser „Verzichts"erklärungen gegenüber den inhaltlich auf das Gegenteil lautenden „Beibehaltungs"erklärungen wäre deshalb angebracht, um durch Hinweis auf die Folgen der Entlassung auf solche Personen einzuwirken, die sich einfach aus dem Grunde gegen ihre Zugehörigkeit zum Reiche aussprechen, um sich der Militärpflicht zu entziehen. — Lautet die Erklärung hingegen auf den Willen, deutscher Angehöriger bleiben zu wollen, so würde die Behandlung dieser sujets mixte8 völlig derjenigen entsprechen, von der oben die Rede gewesen ist. Es bleibt die Frage offen, was soll geschehen, wenn bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahr eine Erklärung nicht erfolgt ist? Ich bin der Ansicht, daß in diesen Fällen ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt. Darin liegt unzweifelhaft eine Härte; sie ist jedoch nicht ungerecht¬ fertigt. Wer fünfundzwanzig Jahre lang im Ausland gelebt hat, wer, trotz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/233>, abgerufen am 23.07.2024.