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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Staatsangehörigkeit

die Naturalisation. Wer wollte bezweifeln, daß das geltende Recht an dieser
Stelle in höchstem Grade reformbedürftig ist?

Es wäre nun unzweifelhaft das Beste, wenn das zukünftige Gesetz die
Einzelstaatsangehörigkeit völlig beseitigte, so daß es keine Preußen, Bayern usf.,
sondern nur noch "Deutsche" geben würde. Allein ein solcher Schritt würde
nicht nur auf die Gegnerschaft aller partikularistisch gesinnten Kreise stoßen,
sondern er würde auch ungeheuren praktischen Schwierigkeiten begegnen. Es
sei nur daran erinnert, daß nach den deutschen Verfassungen das Wahlrecht zu
den Parlamenten (den Landtagen) allein den Angehörigen der einzelnen Staaten
zusteht. Würde dem soeben geäußerten Wunsche Folge gegeben, so wären
Änderungen der Verfassungen aller deutscher Staaten unter keinen Umständen
zu umgehen. Eine solche Attacke auf die deutschen Staatsgrundgesetze würde
jedoch für absehbare Zeit die Zustimmung der verbündeten Regierungen nicht
finden. Trotzdem ist eine Änderung des bestehenden Rechtes dringend not¬
wendig. Den gangbaren Weg hat Laband gewiesen, indem er vorschlug, daß
jeder Deutsche, welcher nach zurückgelegtem einundzwanzigsten Lebensjahr zwei
Jahre lang in einen: Einzelstaate ununterbrochen wohnt, die Staatsangehörig¬
keit dieses Einzelstaates erwirbt, während er damit gleichzeitig seiner bisherigen
Staatsangehörigkeit verlustig geht. Die Verwirklichung dieses Vorschlages würde
klare Verhältnisse schaffen und einen Zustand beseitigen, der nicht nur lächerlich
ist, sondern auch zu recht unangenehmen Folgen führen kann.

Weit bekannter als die soeben erörterte ist die andere Tatsache, daß das
Deutsche Reich im Laufe der letzten Jahrzehnte Millionen treuer deutscher
Staatsbürger verloren hat, die -- zum großen Teil aus Unkenntnis des Ge¬
setzes -- seine Bestimmungen nicht befolgten. Unser Gesetz sieht in seinem § 21.
vor, daß ein Deutscher, der ins Ausland geht, nach zehnjährigen ununter¬
brochenen Aufenthalt seine deutsche Staats- und Reichsangehörigkeit verliert, es
sei denn, daß er sich in eine bei dem nächsten deutschen Konsul geführte Matrikel
eintragen läßt. Wie schützen wir das Reich in Zukunft vor so unersetzlichen
Verlusten, wie es sie bisher erlitten hat? Das ist die wichtigste Frage, die es
zu beantworten gilt. Ihre schon oft versuchte Lösung erschwert sich jedoch durch
den Umstand, daß wir nicht allein auf die nationalen Bedürfnisse und Interessen
Rücksicht nehmen dürfen, sondern auch zwei wichtige Forderungen mehr inter¬
nationalen Charakters beachten müssen. Es ist daher weiter zu fragen: wie
verhindern wir in Zukunft ein weiteres Anwachsen der außerordentlich großen
Zahl der heimatlos gewordenen Deutschen, d. h. derjenigen Personen, die ihre
deutsche Staatsangehörigkeit verloren, aber eine andere nicht erworben haben,
und wie verhindern wir eine allzu starke Zunahme des großen Heeres der 8ujet8
mixte8, d. h. derjenigen Individuen, die neben ihrer deutschen eine andere --
ausländische -- Staatsangehörigkeit besitzen? Ich bemerke schon hier, daß es
in. E. völlig ausgeschlossen ist, diese drei Fragen so zu beantworten, daß das
Resultat restlos befriedigt. Das ist mit Rücksicht auf die außerdeutschen Jndi-


Staatsangehörigkeit

die Naturalisation. Wer wollte bezweifeln, daß das geltende Recht an dieser
Stelle in höchstem Grade reformbedürftig ist?

Es wäre nun unzweifelhaft das Beste, wenn das zukünftige Gesetz die
Einzelstaatsangehörigkeit völlig beseitigte, so daß es keine Preußen, Bayern usf.,
sondern nur noch „Deutsche" geben würde. Allein ein solcher Schritt würde
nicht nur auf die Gegnerschaft aller partikularistisch gesinnten Kreise stoßen,
sondern er würde auch ungeheuren praktischen Schwierigkeiten begegnen. Es
sei nur daran erinnert, daß nach den deutschen Verfassungen das Wahlrecht zu
den Parlamenten (den Landtagen) allein den Angehörigen der einzelnen Staaten
zusteht. Würde dem soeben geäußerten Wunsche Folge gegeben, so wären
Änderungen der Verfassungen aller deutscher Staaten unter keinen Umständen
zu umgehen. Eine solche Attacke auf die deutschen Staatsgrundgesetze würde
jedoch für absehbare Zeit die Zustimmung der verbündeten Regierungen nicht
finden. Trotzdem ist eine Änderung des bestehenden Rechtes dringend not¬
wendig. Den gangbaren Weg hat Laband gewiesen, indem er vorschlug, daß
jeder Deutsche, welcher nach zurückgelegtem einundzwanzigsten Lebensjahr zwei
Jahre lang in einen: Einzelstaate ununterbrochen wohnt, die Staatsangehörig¬
keit dieses Einzelstaates erwirbt, während er damit gleichzeitig seiner bisherigen
Staatsangehörigkeit verlustig geht. Die Verwirklichung dieses Vorschlages würde
klare Verhältnisse schaffen und einen Zustand beseitigen, der nicht nur lächerlich
ist, sondern auch zu recht unangenehmen Folgen führen kann.

Weit bekannter als die soeben erörterte ist die andere Tatsache, daß das
Deutsche Reich im Laufe der letzten Jahrzehnte Millionen treuer deutscher
Staatsbürger verloren hat, die — zum großen Teil aus Unkenntnis des Ge¬
setzes — seine Bestimmungen nicht befolgten. Unser Gesetz sieht in seinem § 21.
vor, daß ein Deutscher, der ins Ausland geht, nach zehnjährigen ununter¬
brochenen Aufenthalt seine deutsche Staats- und Reichsangehörigkeit verliert, es
sei denn, daß er sich in eine bei dem nächsten deutschen Konsul geführte Matrikel
eintragen läßt. Wie schützen wir das Reich in Zukunft vor so unersetzlichen
Verlusten, wie es sie bisher erlitten hat? Das ist die wichtigste Frage, die es
zu beantworten gilt. Ihre schon oft versuchte Lösung erschwert sich jedoch durch
den Umstand, daß wir nicht allein auf die nationalen Bedürfnisse und Interessen
Rücksicht nehmen dürfen, sondern auch zwei wichtige Forderungen mehr inter¬
nationalen Charakters beachten müssen. Es ist daher weiter zu fragen: wie
verhindern wir in Zukunft ein weiteres Anwachsen der außerordentlich großen
Zahl der heimatlos gewordenen Deutschen, d. h. derjenigen Personen, die ihre
deutsche Staatsangehörigkeit verloren, aber eine andere nicht erworben haben,
und wie verhindern wir eine allzu starke Zunahme des großen Heeres der 8ujet8
mixte8, d. h. derjenigen Individuen, die neben ihrer deutschen eine andere —
ausländische — Staatsangehörigkeit besitzen? Ich bemerke schon hier, daß es
in. E. völlig ausgeschlossen ist, diese drei Fragen so zu beantworten, daß das
Resultat restlos befriedigt. Das ist mit Rücksicht auf die außerdeutschen Jndi-


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[0230] Staatsangehörigkeit die Naturalisation. Wer wollte bezweifeln, daß das geltende Recht an dieser Stelle in höchstem Grade reformbedürftig ist? Es wäre nun unzweifelhaft das Beste, wenn das zukünftige Gesetz die Einzelstaatsangehörigkeit völlig beseitigte, so daß es keine Preußen, Bayern usf., sondern nur noch „Deutsche" geben würde. Allein ein solcher Schritt würde nicht nur auf die Gegnerschaft aller partikularistisch gesinnten Kreise stoßen, sondern er würde auch ungeheuren praktischen Schwierigkeiten begegnen. Es sei nur daran erinnert, daß nach den deutschen Verfassungen das Wahlrecht zu den Parlamenten (den Landtagen) allein den Angehörigen der einzelnen Staaten zusteht. Würde dem soeben geäußerten Wunsche Folge gegeben, so wären Änderungen der Verfassungen aller deutscher Staaten unter keinen Umständen zu umgehen. Eine solche Attacke auf die deutschen Staatsgrundgesetze würde jedoch für absehbare Zeit die Zustimmung der verbündeten Regierungen nicht finden. Trotzdem ist eine Änderung des bestehenden Rechtes dringend not¬ wendig. Den gangbaren Weg hat Laband gewiesen, indem er vorschlug, daß jeder Deutsche, welcher nach zurückgelegtem einundzwanzigsten Lebensjahr zwei Jahre lang in einen: Einzelstaate ununterbrochen wohnt, die Staatsangehörig¬ keit dieses Einzelstaates erwirbt, während er damit gleichzeitig seiner bisherigen Staatsangehörigkeit verlustig geht. Die Verwirklichung dieses Vorschlages würde klare Verhältnisse schaffen und einen Zustand beseitigen, der nicht nur lächerlich ist, sondern auch zu recht unangenehmen Folgen führen kann. Weit bekannter als die soeben erörterte ist die andere Tatsache, daß das Deutsche Reich im Laufe der letzten Jahrzehnte Millionen treuer deutscher Staatsbürger verloren hat, die — zum großen Teil aus Unkenntnis des Ge¬ setzes — seine Bestimmungen nicht befolgten. Unser Gesetz sieht in seinem § 21. vor, daß ein Deutscher, der ins Ausland geht, nach zehnjährigen ununter¬ brochenen Aufenthalt seine deutsche Staats- und Reichsangehörigkeit verliert, es sei denn, daß er sich in eine bei dem nächsten deutschen Konsul geführte Matrikel eintragen läßt. Wie schützen wir das Reich in Zukunft vor so unersetzlichen Verlusten, wie es sie bisher erlitten hat? Das ist die wichtigste Frage, die es zu beantworten gilt. Ihre schon oft versuchte Lösung erschwert sich jedoch durch den Umstand, daß wir nicht allein auf die nationalen Bedürfnisse und Interessen Rücksicht nehmen dürfen, sondern auch zwei wichtige Forderungen mehr inter¬ nationalen Charakters beachten müssen. Es ist daher weiter zu fragen: wie verhindern wir in Zukunft ein weiteres Anwachsen der außerordentlich großen Zahl der heimatlos gewordenen Deutschen, d. h. derjenigen Personen, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, aber eine andere nicht erworben haben, und wie verhindern wir eine allzu starke Zunahme des großen Heeres der 8ujet8 mixte8, d. h. derjenigen Individuen, die neben ihrer deutschen eine andere — ausländische — Staatsangehörigkeit besitzen? Ich bemerke schon hier, daß es in. E. völlig ausgeschlossen ist, diese drei Fragen so zu beantworten, daß das Resultat restlos befriedigt. Das ist mit Rücksicht auf die außerdeutschen Jndi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/230>, abgerufen am 23.07.2024.