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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm Steinhaufen, ein religiöser Maler

der Künstler sinnierend seines Weges dahin, sich allein dem Zusammenklang
des eigenen Herzens und der leisen Natur hingebend. Besonders liebt er ver¬
borgene, von einem Sonnenstrahl getroffene Waldwiesen und Lichtungen, ein
Stück Kornfeld oder feuchte Buschwinkel am Bach und die verborgen geheimnis¬
volle Stimmung dämmer- und nebelverhüllter Landschaften. Da ist alles un¬
endlich still und ruhig, und alles ruft sehnsüchtige Erinnerung wach nach den
schönen Dingen, die des Künstlers Pinsel uns zeigt. Freilich fehlt ihm bei
aller Klarheit der räumlichen Anschauung die große, sicher formende und über¬
legen gestaltende Meisterschaft der besten Landschaften Hans Thomas, auch
vielleicht die reiche Erfindung Moritz von Schwinds, aber dafür ist der Zauber
des stimmungsvollen bei Steinhausen der größeren Mehrheit zugänglicher.
Und gerade bei einem aller Gefühlsverschwommenheit so stark abgeneigten
Künstler macht es Freude, einmal wieder auf die Schönheit des sonst zu
manchem Unfug verwendeten Stimmungsmomentes hinweisen zu können.

Das Supplement zu diesen rein malerisch gesehenen Dingen geben die
Zeichnungen. Lange bevor unsere neueren Vuchillustratoreu die Brauch¬
barkeit der Federzeichnung entdeckten, hat Steinhausen in der Geschichte
der Geburt Christi die Zeichnungsweise Ludwig Richters weitergebildet.
Reine Federzeichnungen sind im Grunde auch die Illustrationen zu
Clemens Brentanos "Chronika eines fahrenden Schülers". Diese zeigen
auch schon seine Neigung zum Spielen und zu heiterer Improvisation, wie sie
uns später noch in zierlichen Randleisten und allerliebsten Tanzkarten (eine
Reihe davon im Berliner Kupferstichkabinett) entgegentritt. Sehr verbreitet sind
seine Bibellesezeichen, aber das Schönste, was dem Zeichner gelungen ist, sind
doch die siebenunddreißig Madonnenstudien in ihrer großen Schlichtheit und
Einfachheit, ihrer stillen Innigkeit und ihrer leisen, eigentümlich an die Madonnen
der Robbia erinnernden Melancholie.

Die Zeichnungen führen uns dann zur Graphik, der Steinhausen vor allem
seine Popularität verdankt, oder sagt man eher: verdanken sollte? Denn obwohl
die Vorkämpfer guter religiöser und volksmäßiger Kunst Jahr um Jahr für
diese Blätter eintreten, gibt es noch immer eine Menge Pfarrhäuser, Konfirmanden¬
säle und Kindergärten, in denen Steinhausens Lithographien fehlen. Wie schön
wäre es, wenn alle Kinder statt der oft so geschmacklosen, minderwertigen An¬
denken an die Einsegnung jenes schöne Gedenkblatt mitbekamen, das der Künstler
ursprünglich zur Konfirmation der eigenen Tochter gezeichnet hat. Bewunderns-
wert ist hier die Art, wie auf die Bedürfnisse derer, für die das Blatt bestimmt
war, eingegangen ist. Die großen Momente vermögen wir uns nur selten zu
vergegenwärtigen, ihre Darstellungen sind auch mehr zu einmaligem tiefen Er¬
leben als zu öfterer Mahnung und wiederholten: Betrachten geschaffen. Mit
gutem Bedacht ist darum hier die Auferstehung nicht als ein rauschender Triumph
wiedergegeben, vielmehr steht der Auferstandene in stiller Größe auf dem Grabe.
Kein lauter Jubel geht durch das Blatt, aber ein stillfreudiges Ja-sagen; und


Wilhelm Steinhaufen, ein religiöser Maler

der Künstler sinnierend seines Weges dahin, sich allein dem Zusammenklang
des eigenen Herzens und der leisen Natur hingebend. Besonders liebt er ver¬
borgene, von einem Sonnenstrahl getroffene Waldwiesen und Lichtungen, ein
Stück Kornfeld oder feuchte Buschwinkel am Bach und die verborgen geheimnis¬
volle Stimmung dämmer- und nebelverhüllter Landschaften. Da ist alles un¬
endlich still und ruhig, und alles ruft sehnsüchtige Erinnerung wach nach den
schönen Dingen, die des Künstlers Pinsel uns zeigt. Freilich fehlt ihm bei
aller Klarheit der räumlichen Anschauung die große, sicher formende und über¬
legen gestaltende Meisterschaft der besten Landschaften Hans Thomas, auch
vielleicht die reiche Erfindung Moritz von Schwinds, aber dafür ist der Zauber
des stimmungsvollen bei Steinhausen der größeren Mehrheit zugänglicher.
Und gerade bei einem aller Gefühlsverschwommenheit so stark abgeneigten
Künstler macht es Freude, einmal wieder auf die Schönheit des sonst zu
manchem Unfug verwendeten Stimmungsmomentes hinweisen zu können.

Das Supplement zu diesen rein malerisch gesehenen Dingen geben die
Zeichnungen. Lange bevor unsere neueren Vuchillustratoreu die Brauch¬
barkeit der Federzeichnung entdeckten, hat Steinhausen in der Geschichte
der Geburt Christi die Zeichnungsweise Ludwig Richters weitergebildet.
Reine Federzeichnungen sind im Grunde auch die Illustrationen zu
Clemens Brentanos „Chronika eines fahrenden Schülers". Diese zeigen
auch schon seine Neigung zum Spielen und zu heiterer Improvisation, wie sie
uns später noch in zierlichen Randleisten und allerliebsten Tanzkarten (eine
Reihe davon im Berliner Kupferstichkabinett) entgegentritt. Sehr verbreitet sind
seine Bibellesezeichen, aber das Schönste, was dem Zeichner gelungen ist, sind
doch die siebenunddreißig Madonnenstudien in ihrer großen Schlichtheit und
Einfachheit, ihrer stillen Innigkeit und ihrer leisen, eigentümlich an die Madonnen
der Robbia erinnernden Melancholie.

Die Zeichnungen führen uns dann zur Graphik, der Steinhausen vor allem
seine Popularität verdankt, oder sagt man eher: verdanken sollte? Denn obwohl
die Vorkämpfer guter religiöser und volksmäßiger Kunst Jahr um Jahr für
diese Blätter eintreten, gibt es noch immer eine Menge Pfarrhäuser, Konfirmanden¬
säle und Kindergärten, in denen Steinhausens Lithographien fehlen. Wie schön
wäre es, wenn alle Kinder statt der oft so geschmacklosen, minderwertigen An¬
denken an die Einsegnung jenes schöne Gedenkblatt mitbekamen, das der Künstler
ursprünglich zur Konfirmation der eigenen Tochter gezeichnet hat. Bewunderns-
wert ist hier die Art, wie auf die Bedürfnisse derer, für die das Blatt bestimmt
war, eingegangen ist. Die großen Momente vermögen wir uns nur selten zu
vergegenwärtigen, ihre Darstellungen sind auch mehr zu einmaligem tiefen Er¬
leben als zu öfterer Mahnung und wiederholten: Betrachten geschaffen. Mit
gutem Bedacht ist darum hier die Auferstehung nicht als ein rauschender Triumph
wiedergegeben, vielmehr steht der Auferstandene in stiller Größe auf dem Grabe.
Kein lauter Jubel geht durch das Blatt, aber ein stillfreudiges Ja-sagen; und


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[0225] Wilhelm Steinhaufen, ein religiöser Maler der Künstler sinnierend seines Weges dahin, sich allein dem Zusammenklang des eigenen Herzens und der leisen Natur hingebend. Besonders liebt er ver¬ borgene, von einem Sonnenstrahl getroffene Waldwiesen und Lichtungen, ein Stück Kornfeld oder feuchte Buschwinkel am Bach und die verborgen geheimnis¬ volle Stimmung dämmer- und nebelverhüllter Landschaften. Da ist alles un¬ endlich still und ruhig, und alles ruft sehnsüchtige Erinnerung wach nach den schönen Dingen, die des Künstlers Pinsel uns zeigt. Freilich fehlt ihm bei aller Klarheit der räumlichen Anschauung die große, sicher formende und über¬ legen gestaltende Meisterschaft der besten Landschaften Hans Thomas, auch vielleicht die reiche Erfindung Moritz von Schwinds, aber dafür ist der Zauber des stimmungsvollen bei Steinhausen der größeren Mehrheit zugänglicher. Und gerade bei einem aller Gefühlsverschwommenheit so stark abgeneigten Künstler macht es Freude, einmal wieder auf die Schönheit des sonst zu manchem Unfug verwendeten Stimmungsmomentes hinweisen zu können. Das Supplement zu diesen rein malerisch gesehenen Dingen geben die Zeichnungen. Lange bevor unsere neueren Vuchillustratoreu die Brauch¬ barkeit der Federzeichnung entdeckten, hat Steinhausen in der Geschichte der Geburt Christi die Zeichnungsweise Ludwig Richters weitergebildet. Reine Federzeichnungen sind im Grunde auch die Illustrationen zu Clemens Brentanos „Chronika eines fahrenden Schülers". Diese zeigen auch schon seine Neigung zum Spielen und zu heiterer Improvisation, wie sie uns später noch in zierlichen Randleisten und allerliebsten Tanzkarten (eine Reihe davon im Berliner Kupferstichkabinett) entgegentritt. Sehr verbreitet sind seine Bibellesezeichen, aber das Schönste, was dem Zeichner gelungen ist, sind doch die siebenunddreißig Madonnenstudien in ihrer großen Schlichtheit und Einfachheit, ihrer stillen Innigkeit und ihrer leisen, eigentümlich an die Madonnen der Robbia erinnernden Melancholie. Die Zeichnungen führen uns dann zur Graphik, der Steinhausen vor allem seine Popularität verdankt, oder sagt man eher: verdanken sollte? Denn obwohl die Vorkämpfer guter religiöser und volksmäßiger Kunst Jahr um Jahr für diese Blätter eintreten, gibt es noch immer eine Menge Pfarrhäuser, Konfirmanden¬ säle und Kindergärten, in denen Steinhausens Lithographien fehlen. Wie schön wäre es, wenn alle Kinder statt der oft so geschmacklosen, minderwertigen An¬ denken an die Einsegnung jenes schöne Gedenkblatt mitbekamen, das der Künstler ursprünglich zur Konfirmation der eigenen Tochter gezeichnet hat. Bewunderns- wert ist hier die Art, wie auf die Bedürfnisse derer, für die das Blatt bestimmt war, eingegangen ist. Die großen Momente vermögen wir uns nur selten zu vergegenwärtigen, ihre Darstellungen sind auch mehr zu einmaligem tiefen Er¬ leben als zu öfterer Mahnung und wiederholten: Betrachten geschaffen. Mit gutem Bedacht ist darum hier die Auferstehung nicht als ein rauschender Triumph wiedergegeben, vielmehr steht der Auferstandene in stiller Größe auf dem Grabe. Kein lauter Jubel geht durch das Blatt, aber ein stillfreudiges Ja-sagen; und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/225>, abgerufen am 23.07.2024.