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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Mitbeten Steinhaufen, ein religiöser Maler

dessen einen Vorgang ähnlich dem, der dem alten Propheten vorgeschwebt haben
mag. In einem Zimmer, das, um die Aufmerksamkeit nicht abzulenken, so
einfach wie nur möglich gehalten ist, ist ein Mann am Kopfende seines Bettes
in die Knie gesunken. Seine Haltung verrät verzweifelte Gebrochenheit; der
Kopf liegt dumpf und schwer auf den krampfhaft gefalteten Händen. Er mag
vom Hausflur heraufgekommen sein mit der Nachtlampe, die seitab auf einem
kleinen Tisch steht. Alles schläft gewiß schon, und die nachtverhüllte Berg¬
landschaft, die wir durch das offene Fenster gewahren, erhöht noch den
Eindruck der Einsamkeit. Da ist auf einmal Christus eingetreten, unhörbar,
mit gerafften Mantel, hat sich sacht dem Zusammengebrochenen genähert,
und nun, verstehend und mitleidig, beugt er sich herab, um ihn: mit einer
ganz linden, unendlich trostreichen Handbewegung die Schulter zu berühren.
Es ist fast nur ein Antippen, so wie ein Kind kommt, wenn es sieht, daß die
Mutter weint, ganz zart und sanft. In dieser Handbewegung, die formal die
Verbindung zwischen den beiden Figuren herstellt, liegt aller Sinn des Bildes:
die trostreiche Empfindung, daß im höchsten Leid der Tröster nah und gegen¬
wärtig ist. Und nur Eigensinn wird leugnen wollen, daß hier eine Empfindung
durch Mittel der bildenden Kunst schlagender, einfacher und damit überzeugender
zuni Ausdruck gebracht ist, als es durch alle Worte geschehen könnte. Das
eigentlich Literarische, den Spruch, deutet nur diskret die Lampe an, der Vor¬
gang ist ohne weiteres verständlich und erlebbar.

Religiös sind solche Bilder wegen der durch sie vermittelten Stimmung,
dennoch sind sie nicht eigentlich Kirchenbilder. Für große, verhältnismäßig
spärlich beleuchtete Räume würden sie sich sowohl wegen der düsteren und
trüben Färbung als auch ihrer leisen, nur eingehender und naher Betrachtung
vernehmlichen Sprache wegen nicht eignen. Daß aber der Künstler auch breiter,
ins Große gehender Wirkungen fähig ist, zeigen seine Wandbilderzyklen in der
Grabkirche zu Se. Veit bei Wien und in der Kaiser Friedrich-Aula in Frank¬
furt am Main. In einer durch ruhige Größe sehr eindrucksvoller Liniensprache
sind hier einfache typische Handlungen gewählt, um die sieben Werke der Barm¬
herzigkeit und biblische Sprüche zur Anschauung zu bringen. Bezeichnend für
Steinhausen ist hier wieder die ernste Art, mit der Sprüche wie "Niemand
kann zween Herren dienen", "Sorget nicht" und andere ausgedrückt sind. Nicht
die dekorative Wirkung ist für den Künstler die Hauptsache gewesen, sondern
die geistige Bedeutung der den Spruch zur Anschauung bringenden Handlung,
und in den Dienst dieser Aufgabe sind Linien und Flächen gestellt; mahrer,
schlichter Ernst, gläubiges Vertrauen, aber auch gedankenvolles Grübeln liegt
in ihrer Sprache. Von Steinhausen dem Grübler reden auch manche anderen
Werke, wie die beiden großen Wandbilder der Stuttgarter Hospitalkirche oder
das Bild "Christus und die Griechen".

Diesen grüblerischen Zug seines Wesens verraten abgeschwächt auch seine
Landschaften. Ohne sich an das Wesen von einzelnem zu verlieren, schweift


Mitbeten Steinhaufen, ein religiöser Maler

dessen einen Vorgang ähnlich dem, der dem alten Propheten vorgeschwebt haben
mag. In einem Zimmer, das, um die Aufmerksamkeit nicht abzulenken, so
einfach wie nur möglich gehalten ist, ist ein Mann am Kopfende seines Bettes
in die Knie gesunken. Seine Haltung verrät verzweifelte Gebrochenheit; der
Kopf liegt dumpf und schwer auf den krampfhaft gefalteten Händen. Er mag
vom Hausflur heraufgekommen sein mit der Nachtlampe, die seitab auf einem
kleinen Tisch steht. Alles schläft gewiß schon, und die nachtverhüllte Berg¬
landschaft, die wir durch das offene Fenster gewahren, erhöht noch den
Eindruck der Einsamkeit. Da ist auf einmal Christus eingetreten, unhörbar,
mit gerafften Mantel, hat sich sacht dem Zusammengebrochenen genähert,
und nun, verstehend und mitleidig, beugt er sich herab, um ihn: mit einer
ganz linden, unendlich trostreichen Handbewegung die Schulter zu berühren.
Es ist fast nur ein Antippen, so wie ein Kind kommt, wenn es sieht, daß die
Mutter weint, ganz zart und sanft. In dieser Handbewegung, die formal die
Verbindung zwischen den beiden Figuren herstellt, liegt aller Sinn des Bildes:
die trostreiche Empfindung, daß im höchsten Leid der Tröster nah und gegen¬
wärtig ist. Und nur Eigensinn wird leugnen wollen, daß hier eine Empfindung
durch Mittel der bildenden Kunst schlagender, einfacher und damit überzeugender
zuni Ausdruck gebracht ist, als es durch alle Worte geschehen könnte. Das
eigentlich Literarische, den Spruch, deutet nur diskret die Lampe an, der Vor¬
gang ist ohne weiteres verständlich und erlebbar.

Religiös sind solche Bilder wegen der durch sie vermittelten Stimmung,
dennoch sind sie nicht eigentlich Kirchenbilder. Für große, verhältnismäßig
spärlich beleuchtete Räume würden sie sich sowohl wegen der düsteren und
trüben Färbung als auch ihrer leisen, nur eingehender und naher Betrachtung
vernehmlichen Sprache wegen nicht eignen. Daß aber der Künstler auch breiter,
ins Große gehender Wirkungen fähig ist, zeigen seine Wandbilderzyklen in der
Grabkirche zu Se. Veit bei Wien und in der Kaiser Friedrich-Aula in Frank¬
furt am Main. In einer durch ruhige Größe sehr eindrucksvoller Liniensprache
sind hier einfache typische Handlungen gewählt, um die sieben Werke der Barm¬
herzigkeit und biblische Sprüche zur Anschauung zu bringen. Bezeichnend für
Steinhausen ist hier wieder die ernste Art, mit der Sprüche wie „Niemand
kann zween Herren dienen", „Sorget nicht" und andere ausgedrückt sind. Nicht
die dekorative Wirkung ist für den Künstler die Hauptsache gewesen, sondern
die geistige Bedeutung der den Spruch zur Anschauung bringenden Handlung,
und in den Dienst dieser Aufgabe sind Linien und Flächen gestellt; mahrer,
schlichter Ernst, gläubiges Vertrauen, aber auch gedankenvolles Grübeln liegt
in ihrer Sprache. Von Steinhausen dem Grübler reden auch manche anderen
Werke, wie die beiden großen Wandbilder der Stuttgarter Hospitalkirche oder
das Bild „Christus und die Griechen".

Diesen grüblerischen Zug seines Wesens verraten abgeschwächt auch seine
Landschaften. Ohne sich an das Wesen von einzelnem zu verlieren, schweift


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[0224] Mitbeten Steinhaufen, ein religiöser Maler dessen einen Vorgang ähnlich dem, der dem alten Propheten vorgeschwebt haben mag. In einem Zimmer, das, um die Aufmerksamkeit nicht abzulenken, so einfach wie nur möglich gehalten ist, ist ein Mann am Kopfende seines Bettes in die Knie gesunken. Seine Haltung verrät verzweifelte Gebrochenheit; der Kopf liegt dumpf und schwer auf den krampfhaft gefalteten Händen. Er mag vom Hausflur heraufgekommen sein mit der Nachtlampe, die seitab auf einem kleinen Tisch steht. Alles schläft gewiß schon, und die nachtverhüllte Berg¬ landschaft, die wir durch das offene Fenster gewahren, erhöht noch den Eindruck der Einsamkeit. Da ist auf einmal Christus eingetreten, unhörbar, mit gerafften Mantel, hat sich sacht dem Zusammengebrochenen genähert, und nun, verstehend und mitleidig, beugt er sich herab, um ihn: mit einer ganz linden, unendlich trostreichen Handbewegung die Schulter zu berühren. Es ist fast nur ein Antippen, so wie ein Kind kommt, wenn es sieht, daß die Mutter weint, ganz zart und sanft. In dieser Handbewegung, die formal die Verbindung zwischen den beiden Figuren herstellt, liegt aller Sinn des Bildes: die trostreiche Empfindung, daß im höchsten Leid der Tröster nah und gegen¬ wärtig ist. Und nur Eigensinn wird leugnen wollen, daß hier eine Empfindung durch Mittel der bildenden Kunst schlagender, einfacher und damit überzeugender zuni Ausdruck gebracht ist, als es durch alle Worte geschehen könnte. Das eigentlich Literarische, den Spruch, deutet nur diskret die Lampe an, der Vor¬ gang ist ohne weiteres verständlich und erlebbar. Religiös sind solche Bilder wegen der durch sie vermittelten Stimmung, dennoch sind sie nicht eigentlich Kirchenbilder. Für große, verhältnismäßig spärlich beleuchtete Räume würden sie sich sowohl wegen der düsteren und trüben Färbung als auch ihrer leisen, nur eingehender und naher Betrachtung vernehmlichen Sprache wegen nicht eignen. Daß aber der Künstler auch breiter, ins Große gehender Wirkungen fähig ist, zeigen seine Wandbilderzyklen in der Grabkirche zu Se. Veit bei Wien und in der Kaiser Friedrich-Aula in Frank¬ furt am Main. In einer durch ruhige Größe sehr eindrucksvoller Liniensprache sind hier einfache typische Handlungen gewählt, um die sieben Werke der Barm¬ herzigkeit und biblische Sprüche zur Anschauung zu bringen. Bezeichnend für Steinhausen ist hier wieder die ernste Art, mit der Sprüche wie „Niemand kann zween Herren dienen", „Sorget nicht" und andere ausgedrückt sind. Nicht die dekorative Wirkung ist für den Künstler die Hauptsache gewesen, sondern die geistige Bedeutung der den Spruch zur Anschauung bringenden Handlung, und in den Dienst dieser Aufgabe sind Linien und Flächen gestellt; mahrer, schlichter Ernst, gläubiges Vertrauen, aber auch gedankenvolles Grübeln liegt in ihrer Sprache. Von Steinhausen dem Grübler reden auch manche anderen Werke, wie die beiden großen Wandbilder der Stuttgarter Hospitalkirche oder das Bild „Christus und die Griechen". Diesen grüblerischen Zug seines Wesens verraten abgeschwächt auch seine Landschaften. Ohne sich an das Wesen von einzelnem zu verlieren, schweift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/224>, abgerufen am 23.07.2024.