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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Ivilhelm Steinhaufen, ein religiöser ZNaler

mit denen man sie zu bekämpfen sucht, stärker wären. Voraussetzungslos ist
nämlich streng genommen überhaupt keine Kunst, vielmehr verlangt jede ein
gewisses Niveau menschlicher Erfahrung, und überdies hat es religiöse Kunst
gar nicht ohne weiteres mit Darstellung von rein Objektiven: Vorgängen oder
Personen zu tun, sondern mit Empfindungen, die an jene geknüpft sind und
durch die Anschauung angeregt und bestimmt werden. Wo aber steht geschrieben,
daß Empfindung nicht durch Malerei ausdrückbar wäre? Und wer will es
übernehmen, den Beweis zu erbringen, daß die Darstellung solcher Empfindungen
nicht Gegenstand der bildenden Kunst sein könne, wenn solche Kunstwerke für
Tausende und wieder Tausende zu tiefen Erlebnissen werden? Auch an diesem
Punkte wird die Ästhetik wie stets nachkommen und ein sich äußerndes Bedürfnis
theoretisch zu begründen suchen, wobei es gleichgültig ist, ob diese Begründung
auf philosophischem, psychologischem oder was sonst für einem Wege erreicht wird.

Der Ausdruck religiöser Empfindung nun gelingt heute keinen: Maler so
überzeugend wie Wilhelm Steinhausen. Man hat ihm Abbe oder Gebhardt an
die Seite stellen wollen, aber mit Unrecht. Denn beide vermögen nicht so rein
und unmittelbar durch die Mittel des bildenden Künstlers das, was man
religiöse Stimmung nennen könnte, wiederzugeben. Gebhardt erreicht mit seinen
aufgeregten Ensembles scharf charakterisierter, aber meist im Augenblick erstarrter
Einzelempfindungen selten mehr als Bühnenbilder, die freilich mit wohlgeschulter,
an die Meininger und an Lutherfestspiele lebhaft erinnernder Regiekunst äußerst
effektvoll gestellt sind; und Abbe, dessen Verdienste um die Entwicklung der
malerischen Technik in Deutschland nicht geleugnet werden sollen, kommt, von
der falschen theoretischen Überlegung ausgehend, daß Menschen des neunzehnten
Jahrhunderts zu den heiligen Geschichten dasselbe Verhältnis haben wie solche
des fünfzehnten, selten über eine novellistische Wirkung hinaus. Man wird
noch Thoma anführen wollen, aber dessen Hauptbedeutung liegt auf einem
anderen Gebiete. Für Steinhausen dagegen ist religiöse Stimmung Anfang
und Ende der künstlerischen Absicht; dies ist der Gesichtspunkt, aus dem er
betrachtet und -- wenn man durchaus will -- beurteilt werden muß.

Eines seiner ergreifendsten und zugleich für des Künstlers Art bezeichnendsten
Bilder ist jenes, das den Spruch des Deuterojesaias zum Vorwurf hat: "Den
glimmenden Docht wird er nicht auslöschen." Wörtlich illustriert ergeben diese
Worte einen Mann, der sich bedenkt, eine Lampe auszulöschen; aber niemand,
der nicht den Spruch in: Ausstellungskatalog oder unter dem Bilde liest, würde
die Darstellung verstehen, immer vorausgesetzt natürlich, daß das angestrebt ist,
was wir religiöse Kunst nennen. Ein Historienmaler könnte noch an das dem
Spruch zugrunde liegende Geschichtliche anknüpfen, etwa einen jüdischen Priester
oder Propheten zeigen, der den im Exil trauernden Volksgenossen unter dem
Bilde des glimmenden Dochtes Mut und Vertrauen einspricht. Was tut aber
Steinhaufen? Er erfindet eine Situation, auf die der Spruch Anwendung
findet. Doch vermeidet er es, eine Illustration zu geben, und erschafft statt


Ivilhelm Steinhaufen, ein religiöser ZNaler

mit denen man sie zu bekämpfen sucht, stärker wären. Voraussetzungslos ist
nämlich streng genommen überhaupt keine Kunst, vielmehr verlangt jede ein
gewisses Niveau menschlicher Erfahrung, und überdies hat es religiöse Kunst
gar nicht ohne weiteres mit Darstellung von rein Objektiven: Vorgängen oder
Personen zu tun, sondern mit Empfindungen, die an jene geknüpft sind und
durch die Anschauung angeregt und bestimmt werden. Wo aber steht geschrieben,
daß Empfindung nicht durch Malerei ausdrückbar wäre? Und wer will es
übernehmen, den Beweis zu erbringen, daß die Darstellung solcher Empfindungen
nicht Gegenstand der bildenden Kunst sein könne, wenn solche Kunstwerke für
Tausende und wieder Tausende zu tiefen Erlebnissen werden? Auch an diesem
Punkte wird die Ästhetik wie stets nachkommen und ein sich äußerndes Bedürfnis
theoretisch zu begründen suchen, wobei es gleichgültig ist, ob diese Begründung
auf philosophischem, psychologischem oder was sonst für einem Wege erreicht wird.

Der Ausdruck religiöser Empfindung nun gelingt heute keinen: Maler so
überzeugend wie Wilhelm Steinhausen. Man hat ihm Abbe oder Gebhardt an
die Seite stellen wollen, aber mit Unrecht. Denn beide vermögen nicht so rein
und unmittelbar durch die Mittel des bildenden Künstlers das, was man
religiöse Stimmung nennen könnte, wiederzugeben. Gebhardt erreicht mit seinen
aufgeregten Ensembles scharf charakterisierter, aber meist im Augenblick erstarrter
Einzelempfindungen selten mehr als Bühnenbilder, die freilich mit wohlgeschulter,
an die Meininger und an Lutherfestspiele lebhaft erinnernder Regiekunst äußerst
effektvoll gestellt sind; und Abbe, dessen Verdienste um die Entwicklung der
malerischen Technik in Deutschland nicht geleugnet werden sollen, kommt, von
der falschen theoretischen Überlegung ausgehend, daß Menschen des neunzehnten
Jahrhunderts zu den heiligen Geschichten dasselbe Verhältnis haben wie solche
des fünfzehnten, selten über eine novellistische Wirkung hinaus. Man wird
noch Thoma anführen wollen, aber dessen Hauptbedeutung liegt auf einem
anderen Gebiete. Für Steinhausen dagegen ist religiöse Stimmung Anfang
und Ende der künstlerischen Absicht; dies ist der Gesichtspunkt, aus dem er
betrachtet und — wenn man durchaus will — beurteilt werden muß.

Eines seiner ergreifendsten und zugleich für des Künstlers Art bezeichnendsten
Bilder ist jenes, das den Spruch des Deuterojesaias zum Vorwurf hat: „Den
glimmenden Docht wird er nicht auslöschen." Wörtlich illustriert ergeben diese
Worte einen Mann, der sich bedenkt, eine Lampe auszulöschen; aber niemand,
der nicht den Spruch in: Ausstellungskatalog oder unter dem Bilde liest, würde
die Darstellung verstehen, immer vorausgesetzt natürlich, daß das angestrebt ist,
was wir religiöse Kunst nennen. Ein Historienmaler könnte noch an das dem
Spruch zugrunde liegende Geschichtliche anknüpfen, etwa einen jüdischen Priester
oder Propheten zeigen, der den im Exil trauernden Volksgenossen unter dem
Bilde des glimmenden Dochtes Mut und Vertrauen einspricht. Was tut aber
Steinhaufen? Er erfindet eine Situation, auf die der Spruch Anwendung
findet. Doch vermeidet er es, eine Illustration zu geben, und erschafft statt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/223>, abgerufen am 23.07.2024.