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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm Steinhaufen, ein religiöser Maler

durchgeführtes religiöses Bild zu würdigen, waren sie geradezu genötigt, jene
Errungenschaften zu meiden. Nun beobachtet aber der Historiker -- und dies
ganz allgemein auf allen Gebieten der Kunst --, daß die bedeutendsten Künstler
wohl auf zeitlich entfernte Vorgänger zurückgreifen, aber, was die künstlerischen
Probleme betrifft, stets modern sind (das Wort nicht nur im Sinne momentaner
Sensation genommen, sondern vor allem in dem, daß sie alles, was die am
meisten vorgeschrittenen Geister beschäftigt, lebhaft ergreifen und zu gestalten
suchen). Da jedoch die während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahr¬
hunderts auftauchenden Probleme die religiöse Malerei ausschlossen, so gingen
die bedeutendsten Künstler an dieser vorüber, sie den Zurückbleibenden, den der
nazarenischen Kunstübung Folgenden überlassend. Unter den Händen dieser an
sich meist schon unbedeutenden Persönlichkeiten, dieser in der Entwicklung Rück¬
ständigen, wenig Entwicklungsfähigen mußte jene KunMbung, zumal bei einer
vou Haus aus unzulänglichen Schulung, natürlich immer charakterloser, immer
schwächlicher werden, so daß es endlich schien, als doziere man mit Recht, religiöse
Malerei sei unmodern und unmöglich. Dazu kamen noch die, beiläufig gesagt,
auch von den Fanatikern nicht immer befolgten Theorien der Modernsten, die
da lehrten, nicht auf den dargestellten Gegenstand komme es an, sondern auf
die Art der Darstellung, oder wie man es kurz formuliert hat, uicht auf das Was,
sondern auf das Wie. Da jedoch religiöse Malerei nach der allgemeinen
Annahme Vorgänge oder Geschichten darstellt, ohne die sie eben keine religiöse
Malerei sein könnte, so mußte sie wie jede andere "literarische" Malerei erst
recht als ästhetisch verwerflich, als gattungunmöglich erklärt werden.

So lagen die Dinge noch vor ungefähr zehn Jahren, und breiteren Schichten
des Publikums werden solche Sprüche gerade jetzt als unfehlbare Weisheiten
verkündet. Aber in der immer stärker sich äußernden Sehnsucht nach Religiosität,
in der mit merkwürdiger Gewalt um sich greifenden Schätzung van Goghs, der
zwar nicht "literarisch", aber doch auch alles andere als ein reiner "Artist" ist,
und nicht zum wenigsten in dem nur scheinbar geringfügigen Umstände, daß der
deutsche Vorkämpfer der reinen Formalisten, der selbst Böcklin aufs heftigste
befehdet hat, Julius Meyer-Graefe, unversehens gegen Velasquez, den Schutz¬
herrn der Vertreter des I'art pour l'art, zu Felde zog, um an seiner Statt
einen das Gegenständliche so stark betouenden, noch dazu religiösen Maler wie
Greco auf den Schild zu heben, können wir u. a. gewisse Anzeichen eines nahen
Umschwungs erblicken. Gar manchem kommt heute auch wieder zum Bewußt¬
sein, was eine Zeitlang vergessen schien, daß nämlich sowohl Giotto wie Roger
van der Wenden, sowohl Dürer wie Rentbrandt religiöse Maler gewesen sind,
welche Erzählungen der Bibel oder Legenden keineswegs nur dazu benutzt haben,
um realistische Kenntnisse oder die Schönheit der Objekte vorzuführen, oder um
Farbenräusche und Linienklänge zu geben, sondern um die eigentümliche Art des
Geschehens, wie sie vor ihrem geistigen Auge stand, zum Ausdruck zu bringen.
So gar verächtlich kann also religiöse Malerei nicht sein, auch wenn die Gründe,


Wilhelm Steinhaufen, ein religiöser Maler

durchgeführtes religiöses Bild zu würdigen, waren sie geradezu genötigt, jene
Errungenschaften zu meiden. Nun beobachtet aber der Historiker — und dies
ganz allgemein auf allen Gebieten der Kunst —, daß die bedeutendsten Künstler
wohl auf zeitlich entfernte Vorgänger zurückgreifen, aber, was die künstlerischen
Probleme betrifft, stets modern sind (das Wort nicht nur im Sinne momentaner
Sensation genommen, sondern vor allem in dem, daß sie alles, was die am
meisten vorgeschrittenen Geister beschäftigt, lebhaft ergreifen und zu gestalten
suchen). Da jedoch die während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahr¬
hunderts auftauchenden Probleme die religiöse Malerei ausschlossen, so gingen
die bedeutendsten Künstler an dieser vorüber, sie den Zurückbleibenden, den der
nazarenischen Kunstübung Folgenden überlassend. Unter den Händen dieser an
sich meist schon unbedeutenden Persönlichkeiten, dieser in der Entwicklung Rück¬
ständigen, wenig Entwicklungsfähigen mußte jene KunMbung, zumal bei einer
vou Haus aus unzulänglichen Schulung, natürlich immer charakterloser, immer
schwächlicher werden, so daß es endlich schien, als doziere man mit Recht, religiöse
Malerei sei unmodern und unmöglich. Dazu kamen noch die, beiläufig gesagt,
auch von den Fanatikern nicht immer befolgten Theorien der Modernsten, die
da lehrten, nicht auf den dargestellten Gegenstand komme es an, sondern auf
die Art der Darstellung, oder wie man es kurz formuliert hat, uicht auf das Was,
sondern auf das Wie. Da jedoch religiöse Malerei nach der allgemeinen
Annahme Vorgänge oder Geschichten darstellt, ohne die sie eben keine religiöse
Malerei sein könnte, so mußte sie wie jede andere „literarische" Malerei erst
recht als ästhetisch verwerflich, als gattungunmöglich erklärt werden.

So lagen die Dinge noch vor ungefähr zehn Jahren, und breiteren Schichten
des Publikums werden solche Sprüche gerade jetzt als unfehlbare Weisheiten
verkündet. Aber in der immer stärker sich äußernden Sehnsucht nach Religiosität,
in der mit merkwürdiger Gewalt um sich greifenden Schätzung van Goghs, der
zwar nicht „literarisch", aber doch auch alles andere als ein reiner „Artist" ist,
und nicht zum wenigsten in dem nur scheinbar geringfügigen Umstände, daß der
deutsche Vorkämpfer der reinen Formalisten, der selbst Böcklin aufs heftigste
befehdet hat, Julius Meyer-Graefe, unversehens gegen Velasquez, den Schutz¬
herrn der Vertreter des I'art pour l'art, zu Felde zog, um an seiner Statt
einen das Gegenständliche so stark betouenden, noch dazu religiösen Maler wie
Greco auf den Schild zu heben, können wir u. a. gewisse Anzeichen eines nahen
Umschwungs erblicken. Gar manchem kommt heute auch wieder zum Bewußt¬
sein, was eine Zeitlang vergessen schien, daß nämlich sowohl Giotto wie Roger
van der Wenden, sowohl Dürer wie Rentbrandt religiöse Maler gewesen sind,
welche Erzählungen der Bibel oder Legenden keineswegs nur dazu benutzt haben,
um realistische Kenntnisse oder die Schönheit der Objekte vorzuführen, oder um
Farbenräusche und Linienklänge zu geben, sondern um die eigentümliche Art des
Geschehens, wie sie vor ihrem geistigen Auge stand, zum Ausdruck zu bringen.
So gar verächtlich kann also religiöse Malerei nicht sein, auch wenn die Gründe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/222>, abgerufen am 23.07.2024.