Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel nicht so sehr als eine nationale, sondern als eine wirtschaftliche, vom Auswärtige Politik Revolution i" China -- Italien und die Türkei -- Koweit -- Friedensaussichten Der internationale Horizont hat sich durch die weitere Ausbreitung der ") Der leider so früh verstorbene Sinologe der Berliner Universität, Prof. Dr. Wilhelm
Grube, dessen in den Heften 29 und 30 (1911) erschienene Vorträge großen Beifall gefunden haben, schrieb bereits am 21. November 1397: "Sollte China wirklich eine Wiedergeburt erleben, woran ich nach allem, was ich hier erlebt und gesehen habe, felsenfest glaube, so wird sie sicherlich von Süden ausgehen, wo das Volk viel regeren Geistes und leichteren Temperamentes und daher für neue Ideen viel leichter zugänglich ist als im Norden." Die Entwicklung der Dinge in Reichsspiegel nicht so sehr als eine nationale, sondern als eine wirtschaftliche, vom Auswärtige Politik Revolution i» China — Italien und die Türkei — Koweit — Friedensaussichten Der internationale Horizont hat sich durch die weitere Ausbreitung der ") Der leider so früh verstorbene Sinologe der Berliner Universität, Prof. Dr. Wilhelm
Grube, dessen in den Heften 29 und 30 (1911) erschienene Vorträge großen Beifall gefunden haben, schrieb bereits am 21. November 1397: „Sollte China wirklich eine Wiedergeburt erleben, woran ich nach allem, was ich hier erlebt und gesehen habe, felsenfest glaube, so wird sie sicherlich von Süden ausgehen, wo das Volk viel regeren Geistes und leichteren Temperamentes und daher für neue Ideen viel leichter zugänglich ist als im Norden." Die Entwicklung der Dinge in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319812"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_864" prev="#ID_863"> nicht so sehr als eine nationale, sondern als eine wirtschaftliche, vom<lb/> Chauvinismus befreite Frage lösen, übrigens ein Weg, auf den ich schon vor<lb/> drei Jahren hingewiesen habe. Die Losung „Verdrängung der Polen"<lb/> scheint aus dem amtlichen Programm verschwunden und an ihre Stelle<lb/> „Vermehrung der Landarbeiter" getreten zu sein. Die Regierung hofft<lb/> damit den Großgrundbesitz zu beruhigen und überhaupt dem Ostnmrkenproblem<lb/> seine gefährliche, auch den konfessionellen Frieden störende Spitze zu nehmen.<lb/> An und für sich ein erstrebenswertes Ziel, scheint es mir aber doch nur<lb/> erreichbar, sofern die Großgrundbesitzer sich dazu entschließen könnten, selbst<lb/> Arbeiterkolonien mit guten Wohngelegenheiten und ausreichenden Verdienst-<lb/> Möglichkeiten einzurichten. Ob die politische Nebenabsicht, die Aussöhnung<lb/> der Deutschen untereinander, erreicht wird, dürfte aber wohl davon abhängen,<lb/> wie weit es dem neuen Oberpräsidenten von Posen, Exzellenz Schwartzkopff,<lb/> gelingen wird, den Gegensatz zwischen den konservativen Majoratsherren, die<lb/> Herr v. Heydebreck um sich geschart hat, und dem Ostmarkenverein auszugleichen.<lb/> Einstweilen sieht sich die Situation leidlich günstig an, da dem neuen Ober¬<lb/> präsidenten von beiden Seiten mit Vertrauen begegnet wird. Auch das am<lb/> Sonnabend zustande gekommene Wahlkompromiß zwischen den deutschen Parteien<lb/> deutet auf Versöhnung unter den Deutschen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Auswärtige Politik</head><lb/> <note type="argument"> Revolution i» China — Italien und die Türkei — Koweit — Friedensaussichten</note><lb/> <p xml:id="ID_865"> Der internationale Horizont hat sich durch die weitere Ausbreitung der<lb/> Revolution in China während der abgelaufenen Woche wieder um eine<lb/> Nuance verdunkelt. Die Nachrichten aus China lassen noch nicht erkennen, auf<lb/> welcher Seite die Übermacht liegt, bei den Mandschu des Nordens oder den<lb/> Rebellen des Südens. Bemerkenswert ist, daß ein Südchinese Duar Shih-Kai,<lb/> dessen Reformeifer unsere Leser bereits aus Heft 37 des Jahrgangs 1910 näher<lb/> kennen, sich der Dynastie zur Verfügung gestellt hat. Freilich zögert er einst¬<lb/> weilen uuter Hinweis auf seine Krankheit mit der Übernahme der Vollmachten,<lb/> und das läßt darauf schließen, daß er mit der Mandschuregierung über Reform¬<lb/> garantien verhandelt, ohne die er es nach seiner ganzen Entwicklung kaum auf<lb/> sich nehmen dürfte, die Ruhe im Lande wieder herstellen zu wollen. Die Stellung<lb/> Deutschlands zu den Vorgängen in China kann nur abwartend sein; gelänge es<lb/> einer Persönlichkeit wie Man Shih-Kai sich durchzusetzen, dann dürfte unser<lb/> Handel mit China keine erhebliche Störung erfahren.*)</p><lb/> <note xml:id="FID_10" place="foot" next="#FID_11"> ") Der leider so früh verstorbene Sinologe der Berliner Universität, Prof. Dr. Wilhelm<lb/> Grube, dessen in den Heften 29 und 30 (1911) erschienene Vorträge großen Beifall gefunden haben,<lb/> schrieb bereits am 21. November 1397: „Sollte China wirklich eine Wiedergeburt erleben, woran<lb/> ich nach allem, was ich hier erlebt und gesehen habe, felsenfest glaube, so wird sie sicherlich von<lb/> Süden ausgehen, wo das Volk viel regeren Geistes und leichteren Temperamentes und daher<lb/> für neue Ideen viel leichter zugänglich ist als im Norden." Die Entwicklung der Dinge in</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0211]
Reichsspiegel
nicht so sehr als eine nationale, sondern als eine wirtschaftliche, vom
Chauvinismus befreite Frage lösen, übrigens ein Weg, auf den ich schon vor
drei Jahren hingewiesen habe. Die Losung „Verdrängung der Polen"
scheint aus dem amtlichen Programm verschwunden und an ihre Stelle
„Vermehrung der Landarbeiter" getreten zu sein. Die Regierung hofft
damit den Großgrundbesitz zu beruhigen und überhaupt dem Ostnmrkenproblem
seine gefährliche, auch den konfessionellen Frieden störende Spitze zu nehmen.
An und für sich ein erstrebenswertes Ziel, scheint es mir aber doch nur
erreichbar, sofern die Großgrundbesitzer sich dazu entschließen könnten, selbst
Arbeiterkolonien mit guten Wohngelegenheiten und ausreichenden Verdienst-
Möglichkeiten einzurichten. Ob die politische Nebenabsicht, die Aussöhnung
der Deutschen untereinander, erreicht wird, dürfte aber wohl davon abhängen,
wie weit es dem neuen Oberpräsidenten von Posen, Exzellenz Schwartzkopff,
gelingen wird, den Gegensatz zwischen den konservativen Majoratsherren, die
Herr v. Heydebreck um sich geschart hat, und dem Ostmarkenverein auszugleichen.
Einstweilen sieht sich die Situation leidlich günstig an, da dem neuen Ober¬
präsidenten von beiden Seiten mit Vertrauen begegnet wird. Auch das am
Sonnabend zustande gekommene Wahlkompromiß zwischen den deutschen Parteien
deutet auf Versöhnung unter den Deutschen.
Auswärtige Politik
Revolution i» China — Italien und die Türkei — Koweit — Friedensaussichten
Der internationale Horizont hat sich durch die weitere Ausbreitung der
Revolution in China während der abgelaufenen Woche wieder um eine
Nuance verdunkelt. Die Nachrichten aus China lassen noch nicht erkennen, auf
welcher Seite die Übermacht liegt, bei den Mandschu des Nordens oder den
Rebellen des Südens. Bemerkenswert ist, daß ein Südchinese Duar Shih-Kai,
dessen Reformeifer unsere Leser bereits aus Heft 37 des Jahrgangs 1910 näher
kennen, sich der Dynastie zur Verfügung gestellt hat. Freilich zögert er einst¬
weilen uuter Hinweis auf seine Krankheit mit der Übernahme der Vollmachten,
und das läßt darauf schließen, daß er mit der Mandschuregierung über Reform¬
garantien verhandelt, ohne die er es nach seiner ganzen Entwicklung kaum auf
sich nehmen dürfte, die Ruhe im Lande wieder herstellen zu wollen. Die Stellung
Deutschlands zu den Vorgängen in China kann nur abwartend sein; gelänge es
einer Persönlichkeit wie Man Shih-Kai sich durchzusetzen, dann dürfte unser
Handel mit China keine erhebliche Störung erfahren.*)
") Der leider so früh verstorbene Sinologe der Berliner Universität, Prof. Dr. Wilhelm
Grube, dessen in den Heften 29 und 30 (1911) erschienene Vorträge großen Beifall gefunden haben,
schrieb bereits am 21. November 1397: „Sollte China wirklich eine Wiedergeburt erleben, woran
ich nach allem, was ich hier erlebt und gesehen habe, felsenfest glaube, so wird sie sicherlich von
Süden ausgehen, wo das Volk viel regeren Geistes und leichteren Temperamentes und daher
für neue Ideen viel leichter zugänglich ist als im Norden." Die Entwicklung der Dinge in
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