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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Nenwiener Schicksals- und Stimmungsdichtung

Und von entschlußfähigeren Freunden sprechend, meint er: "O. wie ich sie
beneide um ihr Wollen!" Aber in diesem Neid des Willenlosen steckt Koketterie,
denn ihm ist in seinein Zustand wohl. Gibt er sich doch ohne alles lästige
Gefühl der Verantwortlichkeit und Pflicht jeder Stimmung und dem Genuß
jeder Stunde hin, übt sich darin, alles was ihm das Leben bietet, auch das
Schmerzliche, auch das Ungeheure, als Genuß, als ein ihm bereitetes Fest zu
betrachten und macht aus solcher Schwelgerei ein System und gar eine Art
Sittengesetzes.

Den hastigen, schwankenden Genießer zu zeigen, der jede Stimmung ganz aus¬
beutet, unbekümmert um das Schicksal der ins Spiel gezogenen Mitmenschen,
wird fortan eine Hofmannsthalsche Hauptaufgabe. So ist der Mädchenjäger
Florindo in den: possenartigen Lustspiel "Cristinas Heimreise", so ahnt die
Feldmarschallin, die von sich selber her den Maßstab nehmen mag, ihren blut¬
jungen Octavian, so -- nur ins Derbstoffliche übertragen -- ist in derselben
Komödie: "Der Nosenkavalier" Ochs von Lerchenaus falstasfisches Wesen gerichtet,
und so greift der Baron in dem Versspiel "Der Abenteurer und die Sängerin"
das Leben an, wobei sein Ausschöpfen des Daseins auch wieder zumeist auf
"Frauen, Frauen, Frauen wie Wellen! wie der Sand am Meer! wie Töne in
einem Saitenspiel!" hinauskommt. Aber schwelgerischer als im Darstellen solcher
Genießer erscheint Hofmannsthal dann, wenn er ein Tragisches aufrollt zu dem
offenkundiger Zweck, durch die Stimmung des Ganzen, durch seine malerischen
und rhythmischen Werte zu reizen. Er hat dann nicht die Objektivität des
Dramatikers, der allen Dingen ihren Lauf läßt, fondern etwas von der
wollüstigen Anteilnahme eines Nero an demi von ihm angeordneten grausame"
Spiel liegt in der sehr deutlich zu spürenden Stellung des Autors etwa zu dem
mit äußerstem Raffinement auf stimmungshaftes Wirken hinarbeitenden Einakter:
"Die Frau im Fenster". Von Sympathien des Dichters für seine Menschen,
die er allzu oft zu bloßen Farben und Klängen gestaltet, kann im wesentlichen
nur da die Rede sein, wo er die Schwachen und Haltlosen zeichnet. Das hat
er im "Geretteten Venedig", der nach Otways Vorlage ausgeführten hcmdlungs-
bunten Geschichte einer mißlingenden Verschwörung, in mehrfacher Variation


Nenwiener Schicksals- und Stimmungsdichtung

Und von entschlußfähigeren Freunden sprechend, meint er: „O. wie ich sie
beneide um ihr Wollen!" Aber in diesem Neid des Willenlosen steckt Koketterie,
denn ihm ist in seinein Zustand wohl. Gibt er sich doch ohne alles lästige
Gefühl der Verantwortlichkeit und Pflicht jeder Stimmung und dem Genuß
jeder Stunde hin, übt sich darin, alles was ihm das Leben bietet, auch das
Schmerzliche, auch das Ungeheure, als Genuß, als ein ihm bereitetes Fest zu
betrachten und macht aus solcher Schwelgerei ein System und gar eine Art
Sittengesetzes.

Den hastigen, schwankenden Genießer zu zeigen, der jede Stimmung ganz aus¬
beutet, unbekümmert um das Schicksal der ins Spiel gezogenen Mitmenschen,
wird fortan eine Hofmannsthalsche Hauptaufgabe. So ist der Mädchenjäger
Florindo in den: possenartigen Lustspiel „Cristinas Heimreise", so ahnt die
Feldmarschallin, die von sich selber her den Maßstab nehmen mag, ihren blut¬
jungen Octavian, so — nur ins Derbstoffliche übertragen — ist in derselben
Komödie: „Der Nosenkavalier" Ochs von Lerchenaus falstasfisches Wesen gerichtet,
und so greift der Baron in dem Versspiel „Der Abenteurer und die Sängerin"
das Leben an, wobei sein Ausschöpfen des Daseins auch wieder zumeist auf
„Frauen, Frauen, Frauen wie Wellen! wie der Sand am Meer! wie Töne in
einem Saitenspiel!" hinauskommt. Aber schwelgerischer als im Darstellen solcher
Genießer erscheint Hofmannsthal dann, wenn er ein Tragisches aufrollt zu dem
offenkundiger Zweck, durch die Stimmung des Ganzen, durch seine malerischen
und rhythmischen Werte zu reizen. Er hat dann nicht die Objektivität des
Dramatikers, der allen Dingen ihren Lauf läßt, fondern etwas von der
wollüstigen Anteilnahme eines Nero an demi von ihm angeordneten grausame»
Spiel liegt in der sehr deutlich zu spürenden Stellung des Autors etwa zu dem
mit äußerstem Raffinement auf stimmungshaftes Wirken hinarbeitenden Einakter:
„Die Frau im Fenster". Von Sympathien des Dichters für seine Menschen,
die er allzu oft zu bloßen Farben und Klängen gestaltet, kann im wesentlichen
nur da die Rede sein, wo er die Schwachen und Haltlosen zeichnet. Das hat
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bunten Geschichte einer mißlingenden Verschwörung, in mehrfacher Variation


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[0179] Nenwiener Schicksals- und Stimmungsdichtung Und von entschlußfähigeren Freunden sprechend, meint er: „O. wie ich sie beneide um ihr Wollen!" Aber in diesem Neid des Willenlosen steckt Koketterie, denn ihm ist in seinein Zustand wohl. Gibt er sich doch ohne alles lästige Gefühl der Verantwortlichkeit und Pflicht jeder Stimmung und dem Genuß jeder Stunde hin, übt sich darin, alles was ihm das Leben bietet, auch das Schmerzliche, auch das Ungeheure, als Genuß, als ein ihm bereitetes Fest zu betrachten und macht aus solcher Schwelgerei ein System und gar eine Art Sittengesetzes. Den hastigen, schwankenden Genießer zu zeigen, der jede Stimmung ganz aus¬ beutet, unbekümmert um das Schicksal der ins Spiel gezogenen Mitmenschen, wird fortan eine Hofmannsthalsche Hauptaufgabe. So ist der Mädchenjäger Florindo in den: possenartigen Lustspiel „Cristinas Heimreise", so ahnt die Feldmarschallin, die von sich selber her den Maßstab nehmen mag, ihren blut¬ jungen Octavian, so — nur ins Derbstoffliche übertragen — ist in derselben Komödie: „Der Nosenkavalier" Ochs von Lerchenaus falstasfisches Wesen gerichtet, und so greift der Baron in dem Versspiel „Der Abenteurer und die Sängerin" das Leben an, wobei sein Ausschöpfen des Daseins auch wieder zumeist auf „Frauen, Frauen, Frauen wie Wellen! wie der Sand am Meer! wie Töne in einem Saitenspiel!" hinauskommt. Aber schwelgerischer als im Darstellen solcher Genießer erscheint Hofmannsthal dann, wenn er ein Tragisches aufrollt zu dem offenkundiger Zweck, durch die Stimmung des Ganzen, durch seine malerischen und rhythmischen Werte zu reizen. Er hat dann nicht die Objektivität des Dramatikers, der allen Dingen ihren Lauf läßt, fondern etwas von der wollüstigen Anteilnahme eines Nero an demi von ihm angeordneten grausame» Spiel liegt in der sehr deutlich zu spürenden Stellung des Autors etwa zu dem mit äußerstem Raffinement auf stimmungshaftes Wirken hinarbeitenden Einakter: „Die Frau im Fenster". Von Sympathien des Dichters für seine Menschen, die er allzu oft zu bloßen Farben und Klängen gestaltet, kann im wesentlichen nur da die Rede sein, wo er die Schwachen und Haltlosen zeichnet. Das hat er im „Geretteten Venedig", der nach Otways Vorlage ausgeführten hcmdlungs- bunten Geschichte einer mißlingenden Verschwörung, in mehrfacher Variation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/179>, abgerufen am 23.07.2024.