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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sein, denn vor kurzem ist regierungsseitig den
Kommunen empfohlen worden, Maßnahmen
zur Verbilligung der Lebensmittel, insbe¬
sondere für die Fleischversorgung zu treffen.
Abgesehen dabon, daß eine Verbilligung der
Lebensmittel nicht mit einem Schlage durch¬
geführt werden kann -- nur auf eine all¬
mähliche Minderung der Preise vermag hin¬
gewirkt zu werden --, kann es durchaus nicht
als im Rahmen städtischer Aufgaben liegend
betrachtet werden, sich in dieser Weise zu be¬
tätigen. Wenn auch die beim Ankauf und
Verkauf ohne Verdienst von Nahrungsmitteln
sich fürStadtverwaltungen ergebenden Schwie¬
rigkeiten überwunden werden, so wird der
für die Verteilung der Waren an den Konsum
notwendige Beamtenapparat so mancherlei
Ausgaben und Weiterungen mit sich bringen,
die im Interesse des städtischen Säckels und
der Steuerpflicht der Bürger besser vermieden
werden. Zudem wird eine Stadt durch den
in eigene Regie genommenen Warenabsatz den
Zwischenhandel bedeutend schädigen, gleich¬
zeitig eine Minderung der Steuerkraft nicht
kleiner Kreise bewirken und so die Steuer¬
kasten der übrigen Bürger vergrößern. Wenn
auch eine größere Anzahl von Kommunen
das von der Regierung zur Bekämpfung des
Notstandes empfohlene Mittel zur Anwendung
gebracht hat, so kann man darin noch nicht den
Beweis für die Brauchbarkeit des Vorschlags
erblicken, da die Angelegenheit über das Sta¬
dium des Versuchs doch noch nicht heraus¬
gekommen ist.

Das eine muß betont werden: nicht für
die Kommunen besteht die Möglichkeit und
die Pflicht, die vorhandene Teuerung zu be¬
kämpfen, nein, der Staat allein ist dazu im¬
stande und gehalten, alle ihm zustehenden
Mittel anzuwenden, damit endlich einmal der
Notstand gelindert wird. Allerdings ist dies
ohne durchgreifende Änderung der Zollpolitik
nicht möglich, denn gerade die Artikel, bei
denen sich der Notstand am ehesten und am
schärfsten spüren läßt -- Brodgetreide und Fleisch
-- können nicht verbilligt werden, wenn um der
seitherigen "bewährten" Wirtschaftspolitik fest¬
gehalten wird.

Deutschland mit seinen ca. 66 Millionen
Einwohnern vermag das zur Ernährung
seiner Bevölkerung notwendige Brodgetreide


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elber nicht zu erzeugen; ein Sechstel bis ein
Fünftel seines Bedarfs muß immer vom Aus¬
ande besorgt werden. So kommt es, daß
die 1910 in das deutsche Zollgebiet eingeführte
Roggemnenge sich auf 967861 t beides. Trotz
dieses so erwiesenen Mangels an deutschem
Roggen bildet der Getreideexport in Deutsch¬
and einen großen Handelszweig, der im
vergangenen Jahre von der genannten Körner¬
art 10611160 t über die deutschen Grenzen
nach den: Auslande sandte. Der Grund für
diese an sich unverständliche Exportpolitik, die
m Inlande unbedingt notwendige Getreide¬
mengen um große Bestände zugunsten des
Auslandes vermindert, ist folgender:

Eine Rückvergütung gezählten Eingangs¬
olles ist in der Zollgesetzgebung nur dann
gewährleistet, wenn eine in das deutsche Zoll¬
gebiet eingeführte Ware wieder ausgeführt
wird. Voraussetzung dabei ist, daß die wieder
auszuführende Ware mit der eingeführten
dentisch ist. Von der Beibringung dieses
Identitätsnachweises wurde" 1882 die Mühlen
befreit bezüglich des von ihnen zu exportie¬
enden Mehls, und 1894 wurde im Zusammen¬
ang mit dem deutsch-russischen Handels¬
ertrag bestimmt, daß bei der Ausfuhr von
Weizen, Roggen, Hafer und Gerste aus dem
reien Verkehr des Zollinlandes dem Waren¬
ührer -- sofern die auszuführende Menge
mindestens 600 KZ beträgt -- auf Antrag
Bescheinigungen (Einfuhrscheine) erteilt werden,
ie den Inhaber berechtigen, innerhalb einer
om Bundesrat auf längstens sechs Monate
u beniessenden Frist eine dem Zollwert der
Einfuhrscheine entsprechende Menge der näm¬
ichen Wareugattung ohne Zollentrichtung
inzuführen. Begründet wurde diese Ma߬
nahme damit, daß den östlichen Provinzen
ine Entschädigung für die durch den deutsch¬
ussischen Handelsvertrag erleichterte Kon¬
urrenzmöglichkeit des russischen Getreides
ewährt, der Landwirtschaft damit eine bessere
Ausfuhrmöglichkeit von Getreide und damit
ine Preiserhöhung gesichert werden sollte.
Der Zweck wurde vollkommen erreicht!
Während 1893 noch Weizen, Spelz, Roggen,
Hafer und Gerste im Werte von zusammen
,76 Millionen Mark ausgeführt wurden,
ieg dieser Wert nach Freigabe des Ilrsprungs-
nchweises 1894 auf 27,67 Millionen Mark,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sein, denn vor kurzem ist regierungsseitig den
Kommunen empfohlen worden, Maßnahmen
zur Verbilligung der Lebensmittel, insbe¬
sondere für die Fleischversorgung zu treffen.
Abgesehen dabon, daß eine Verbilligung der
Lebensmittel nicht mit einem Schlage durch¬
geführt werden kann — nur auf eine all¬
mähliche Minderung der Preise vermag hin¬
gewirkt zu werden —, kann es durchaus nicht
als im Rahmen städtischer Aufgaben liegend
betrachtet werden, sich in dieser Weise zu be¬
tätigen. Wenn auch die beim Ankauf und
Verkauf ohne Verdienst von Nahrungsmitteln
sich fürStadtverwaltungen ergebenden Schwie¬
rigkeiten überwunden werden, so wird der
für die Verteilung der Waren an den Konsum
notwendige Beamtenapparat so mancherlei
Ausgaben und Weiterungen mit sich bringen,
die im Interesse des städtischen Säckels und
der Steuerpflicht der Bürger besser vermieden
werden. Zudem wird eine Stadt durch den
in eigene Regie genommenen Warenabsatz den
Zwischenhandel bedeutend schädigen, gleich¬
zeitig eine Minderung der Steuerkraft nicht
kleiner Kreise bewirken und so die Steuer¬
kasten der übrigen Bürger vergrößern. Wenn
auch eine größere Anzahl von Kommunen
das von der Regierung zur Bekämpfung des
Notstandes empfohlene Mittel zur Anwendung
gebracht hat, so kann man darin noch nicht den
Beweis für die Brauchbarkeit des Vorschlags
erblicken, da die Angelegenheit über das Sta¬
dium des Versuchs doch noch nicht heraus¬
gekommen ist.

Das eine muß betont werden: nicht für
die Kommunen besteht die Möglichkeit und
die Pflicht, die vorhandene Teuerung zu be¬
kämpfen, nein, der Staat allein ist dazu im¬
stande und gehalten, alle ihm zustehenden
Mittel anzuwenden, damit endlich einmal der
Notstand gelindert wird. Allerdings ist dies
ohne durchgreifende Änderung der Zollpolitik
nicht möglich, denn gerade die Artikel, bei
denen sich der Notstand am ehesten und am
schärfsten spüren läßt — Brodgetreide und Fleisch
— können nicht verbilligt werden, wenn um der
seitherigen „bewährten" Wirtschaftspolitik fest¬
gehalten wird.

Deutschland mit seinen ca. 66 Millionen
Einwohnern vermag das zur Ernährung
seiner Bevölkerung notwendige Brodgetreide


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elber nicht zu erzeugen; ein Sechstel bis ein
Fünftel seines Bedarfs muß immer vom Aus¬
ande besorgt werden. So kommt es, daß
die 1910 in das deutsche Zollgebiet eingeführte
Roggemnenge sich auf 967861 t beides. Trotz
dieses so erwiesenen Mangels an deutschem
Roggen bildet der Getreideexport in Deutsch¬
and einen großen Handelszweig, der im
vergangenen Jahre von der genannten Körner¬
art 10611160 t über die deutschen Grenzen
nach den: Auslande sandte. Der Grund für
diese an sich unverständliche Exportpolitik, die
m Inlande unbedingt notwendige Getreide¬
mengen um große Bestände zugunsten des
Auslandes vermindert, ist folgender:

Eine Rückvergütung gezählten Eingangs¬
olles ist in der Zollgesetzgebung nur dann
gewährleistet, wenn eine in das deutsche Zoll¬
gebiet eingeführte Ware wieder ausgeführt
wird. Voraussetzung dabei ist, daß die wieder
auszuführende Ware mit der eingeführten
dentisch ist. Von der Beibringung dieses
Identitätsnachweises wurde» 1882 die Mühlen
befreit bezüglich des von ihnen zu exportie¬
enden Mehls, und 1894 wurde im Zusammen¬
ang mit dem deutsch-russischen Handels¬
ertrag bestimmt, daß bei der Ausfuhr von
Weizen, Roggen, Hafer und Gerste aus dem
reien Verkehr des Zollinlandes dem Waren¬
ührer — sofern die auszuführende Menge
mindestens 600 KZ beträgt — auf Antrag
Bescheinigungen (Einfuhrscheine) erteilt werden,
ie den Inhaber berechtigen, innerhalb einer
om Bundesrat auf längstens sechs Monate
u beniessenden Frist eine dem Zollwert der
Einfuhrscheine entsprechende Menge der näm¬
ichen Wareugattung ohne Zollentrichtung
inzuführen. Begründet wurde diese Ma߬
nahme damit, daß den östlichen Provinzen
ine Entschädigung für die durch den deutsch¬
ussischen Handelsvertrag erleichterte Kon¬
urrenzmöglichkeit des russischen Getreides
ewährt, der Landwirtschaft damit eine bessere
Ausfuhrmöglichkeit von Getreide und damit
ine Preiserhöhung gesichert werden sollte.
Der Zweck wurde vollkommen erreicht!
Während 1893 noch Weizen, Spelz, Roggen,
Hafer und Gerste im Werte von zusammen
,76 Millionen Mark ausgeführt wurden,
ieg dieser Wert nach Freigabe des Ilrsprungs-
nchweises 1894 auf 27,67 Millionen Mark,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/150>, abgerufen am 23.07.2024.