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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Herbert Lulenbcrg als Dramatiker

in dieser Maskierung nicht zu übersehen war, neue, bessere Möglichkeiten öffnen.
Aber diese Hoffnung hat sich leider bis auf den heutigen Tag nicht erfüllt. Das
Chaotische, Unausgegohrene, Sprunghafte und Ungeberdige in ihm, das wir für
inneren Reichtum ansahen, entpuppt sich mehr und mehr als Ohnmacht und
Dekadence und dramatische Hilflosigkeit. Sein sympathisches Gesicht ist blaß
geworden, seine Stimme hat alles Metall verloren, und sein Talent, das noch
immer, fleißig und ehrgeizig, um die Bühne irrlichteriert, wird von einem Theater¬
skandal in den anderen gehetzt.

Die lange Kette dieser dramatischen Mißerfolge beginnt mit dem "Münch-
hausen" und endet -- vorläufig -- mit der in diesen Wochen gespielten Tragikomödie
"Alles um Geld". Dazwischen liegen, auch sie durchgängig mit schwarzen Kreuzen
gekennzeichnet, die Dramen "Ulrich, Fürst von Waldeck", "Ritter Blaubart", "Alles
um Liebe", "Der natürliche Vater" und "Simson". Wir fassen sie kurzerhand
zusammen, weil aus ihnen die gleiche Physiognomie oder, besser gesagt, die gleiche
Physiognomielosigkeit spricht. Hier und da blitzt freilich hinter allem toten Gestein
ein Körnchen echten Goldes auf. Hier und da verdichten sich die Geschehnisse zu
seltsam eindringlichen Impressionen und rufen Erinnerungen an den alten, besseren
Eulenberg wach. Hier und da flattern noch einmal abgerissene Fetzen echtester
Poesie auf. Aber alles in allem genommen, bleibt diese Kunst Stückwerk von
Anfang bis Ende, Chaos, aus dem kein Stern sich gebären will, und Zuchtlosigkeit,
die uns keine Verheißung mehr sein kann. Eulenberg liebt es, mit hundert mühsam
erlernten Stilarten zu tändeln, ohne im Grunde doch auch nur eine meistern zu
können. Zwischen Jean Parischen Reminiszenzen tauchen Shakespearesche Schatten¬
gestalten, zwischen Shakespeareschen Schattengestalten Wedekindsche Harlekinaden
und Bocksprünge auf. Seine ehemals so kristallklar sprudelnde Sprache ist all-
mählich zu einer künstlichen Plastik hinaufgeschraubt worden, und sein aus hundert
erborgten Kunstformen zusammengeflicktes Gewand verrät an keiner Stelle auch
nur einen leisen Ton von wirklich eigener Klangfarbe.

Ein Chaos toter Sachen, soweit man nur sehen kann. Und doch: Inmitten
dieser Öde klingt ab und zu wieder allerlei Echtes und Erfühltes an und läßt
erkennen, daß hinter diesen Dingen schließlich doch immer noch ein un¬
antastbarer dichterischer Wille ringt. Die Umrisse des alten, sympathischen
Eulenberg-Kopfes können sich auel in seinen verfehltesten Schmerzenskindern nicht
gänzlich verleugnen. Trotz aller Enttäuschungen, die sein in die Irre gegangenes
Talent uns bereitet hat, kommen wir mit unseren menschlichen Sympathien auch
jetzt noch nicht von dem Autor der "Leidenschaft" und des "Halben Helden" los.
Und wenn sich in diesen Zeiten dramatischer Dürre ein Herzenswunsch auf die
Lippen aller redlich Denkenden drängt, dann ist es der, daß Herbert Eulenberg
endlich aus seinem bösen Traum erwachen und zu den lauteren Quellen seiner
Jugend zurückfinden möge. Ihm selber und uns wäre dann mit einem
Schlage geholfen.




Herbert Lulenbcrg als Dramatiker

in dieser Maskierung nicht zu übersehen war, neue, bessere Möglichkeiten öffnen.
Aber diese Hoffnung hat sich leider bis auf den heutigen Tag nicht erfüllt. Das
Chaotische, Unausgegohrene, Sprunghafte und Ungeberdige in ihm, das wir für
inneren Reichtum ansahen, entpuppt sich mehr und mehr als Ohnmacht und
Dekadence und dramatische Hilflosigkeit. Sein sympathisches Gesicht ist blaß
geworden, seine Stimme hat alles Metall verloren, und sein Talent, das noch
immer, fleißig und ehrgeizig, um die Bühne irrlichteriert, wird von einem Theater¬
skandal in den anderen gehetzt.

Die lange Kette dieser dramatischen Mißerfolge beginnt mit dem „Münch-
hausen" und endet — vorläufig — mit der in diesen Wochen gespielten Tragikomödie
„Alles um Geld". Dazwischen liegen, auch sie durchgängig mit schwarzen Kreuzen
gekennzeichnet, die Dramen „Ulrich, Fürst von Waldeck", „Ritter Blaubart", „Alles
um Liebe", „Der natürliche Vater" und „Simson". Wir fassen sie kurzerhand
zusammen, weil aus ihnen die gleiche Physiognomie oder, besser gesagt, die gleiche
Physiognomielosigkeit spricht. Hier und da blitzt freilich hinter allem toten Gestein
ein Körnchen echten Goldes auf. Hier und da verdichten sich die Geschehnisse zu
seltsam eindringlichen Impressionen und rufen Erinnerungen an den alten, besseren
Eulenberg wach. Hier und da flattern noch einmal abgerissene Fetzen echtester
Poesie auf. Aber alles in allem genommen, bleibt diese Kunst Stückwerk von
Anfang bis Ende, Chaos, aus dem kein Stern sich gebären will, und Zuchtlosigkeit,
die uns keine Verheißung mehr sein kann. Eulenberg liebt es, mit hundert mühsam
erlernten Stilarten zu tändeln, ohne im Grunde doch auch nur eine meistern zu
können. Zwischen Jean Parischen Reminiszenzen tauchen Shakespearesche Schatten¬
gestalten, zwischen Shakespeareschen Schattengestalten Wedekindsche Harlekinaden
und Bocksprünge auf. Seine ehemals so kristallklar sprudelnde Sprache ist all-
mählich zu einer künstlichen Plastik hinaufgeschraubt worden, und sein aus hundert
erborgten Kunstformen zusammengeflicktes Gewand verrät an keiner Stelle auch
nur einen leisen Ton von wirklich eigener Klangfarbe.

Ein Chaos toter Sachen, soweit man nur sehen kann. Und doch: Inmitten
dieser Öde klingt ab und zu wieder allerlei Echtes und Erfühltes an und läßt
erkennen, daß hinter diesen Dingen schließlich doch immer noch ein un¬
antastbarer dichterischer Wille ringt. Die Umrisse des alten, sympathischen
Eulenberg-Kopfes können sich auel in seinen verfehltesten Schmerzenskindern nicht
gänzlich verleugnen. Trotz aller Enttäuschungen, die sein in die Irre gegangenes
Talent uns bereitet hat, kommen wir mit unseren menschlichen Sympathien auch
jetzt noch nicht von dem Autor der „Leidenschaft" und des „Halben Helden" los.
Und wenn sich in diesen Zeiten dramatischer Dürre ein Herzenswunsch auf die
Lippen aller redlich Denkenden drängt, dann ist es der, daß Herbert Eulenberg
endlich aus seinem bösen Traum erwachen und zu den lauteren Quellen seiner
Jugend zurückfinden möge. Ihm selber und uns wäre dann mit einem
Schlage geholfen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/146>, abgerufen am 23.07.2024.