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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Herbort Lnlenberg als Dramatiker

in der sie ihre eigene Sprache sprechen und trotzdem, im Sinne einer höheren
künstlerischen Wahrheit, wahr und lebensecht und gegenwärtig erscheinen. Sie
sind von einem bewußten künstlerischen Willen ins Unwirkliche stilisiert, ohne
doch im letzten Grunde auch nur einen Augenblick lang unwirklich zu sein. Sie
sind von einer leisen Melancholie überschattet und werden, was das Wichtigste ist,
von einem heißen dramatischen Atem vorwärts getrieben und vorwärts gehetzt. Erst
gegen Schluß läßt das, was man die innere Dynamik der Tragödie nennen könnte,
ein klein wenig nach. Da scheint es, als ob Eulenberg müde geworden wäre, als
ob ihn eine plötzliche Furcht vor der Ungeheuerlichkeit seines Wagnisses erfaßt
hätte. Er verliert die Zügel aus der Hand und irrt nun notgedrungen in den
Niederungen einer banalen Theatralik umher.

Auch hier kommt wenig oder nichts auf den Gegenstand als solchen an. "Sie
flohen beide von Hause fort... Es wußt's weder Vater noch Mutter..." Das
möge zur Kennzeichnung genügen. Auch in diesem Falle macht der Ton die Musik.
Und der Ton ist so metallisch, so klar und von so lauterster Schönheit umspielt,
daß man nur noch einmal die Teilnahmlosigkeit bedauern kann, mit der unsere
großen Bühnen dem blut- und glutvollen Leben dieser echten Tragödie gegenüberstehen.

Das dritte Drama, das in diesem Zusammenhange zu nennen wäre, ist "Ein
halber Held".

Herbert Eulenberg, der sich selber zu kommentieren liebt, hat diese Verse seiner
Tragödie vorangestellt. Es kommt ihm hier, stärker als bisher, darauf an, eine
abstrakte Idee dramatisch und folgerichtig zu gestalten. Er hat in sich das Bild
eines Mannes erlebt, an dem Mutter Natur, als sie ihn zum Helden schaffen
wollte, eine Stümperarbeit verrichtete. Kurt von der Kreith, Hauptmann beim
Grenadierregiment des großen Königs, geht daran zugrunde, daß er den Mut zur
Tat, der hier gleichbedeutend mit dem Mute zum Verbrechen ist, nicht findet. Er
ist eine Hamletnatur, in tausend Hemmungen und Skrupeln und Verzagtheiten
befangen. Er kommt über das, was ihm Elternhaus und Erziehung und Preußen¬
tradition und primitive Vaterlandsliebe und soldatische Disziplin eingeimpft haben,
in den entscheidenden Stunden seines Lebens nicht hinaus. Der Konflikt zwischen
den Hemmungen seiner Natur und den lauter und lauter werdenden Wünschen
seines hundertfach gedemütigten Stolzes zerbricht und zerreibt ihn. Und wenn ihn
am Schluß die preußischen Grenadiere wie einen tollen Hund niederschießen, so
ist das nichts als der logische Abschluß eines längst vollendeten Menschenschicksals,
der leise, in dumpfer Resignation endende Ausklang einer armseligen Donquichote-
Existenz.

Das Morbide, Problematische tritt hier zum ersten Male in die Welt der
Eulenbergschen Dramatik. Die Helden seiner bisher besprochenen Tragödien zeigen
im großen und ganzen jene robuste Gradlinigkeit der Empfindung und jene nach
aufwärts gerichtete Kurve kämpferischer Gläubigkeit und Leidenschaft, wie sie der
überlieferte Begriff von tragischer Verkettung und vom Wechselspiel zwischen Schuld


Herbort Lnlenberg als Dramatiker

in der sie ihre eigene Sprache sprechen und trotzdem, im Sinne einer höheren
künstlerischen Wahrheit, wahr und lebensecht und gegenwärtig erscheinen. Sie
sind von einem bewußten künstlerischen Willen ins Unwirkliche stilisiert, ohne
doch im letzten Grunde auch nur einen Augenblick lang unwirklich zu sein. Sie
sind von einer leisen Melancholie überschattet und werden, was das Wichtigste ist,
von einem heißen dramatischen Atem vorwärts getrieben und vorwärts gehetzt. Erst
gegen Schluß läßt das, was man die innere Dynamik der Tragödie nennen könnte,
ein klein wenig nach. Da scheint es, als ob Eulenberg müde geworden wäre, als
ob ihn eine plötzliche Furcht vor der Ungeheuerlichkeit seines Wagnisses erfaßt
hätte. Er verliert die Zügel aus der Hand und irrt nun notgedrungen in den
Niederungen einer banalen Theatralik umher.

Auch hier kommt wenig oder nichts auf den Gegenstand als solchen an. „Sie
flohen beide von Hause fort... Es wußt's weder Vater noch Mutter..." Das
möge zur Kennzeichnung genügen. Auch in diesem Falle macht der Ton die Musik.
Und der Ton ist so metallisch, so klar und von so lauterster Schönheit umspielt,
daß man nur noch einmal die Teilnahmlosigkeit bedauern kann, mit der unsere
großen Bühnen dem blut- und glutvollen Leben dieser echten Tragödie gegenüberstehen.

Das dritte Drama, das in diesem Zusammenhange zu nennen wäre, ist „Ein
halber Held".

Herbert Eulenberg, der sich selber zu kommentieren liebt, hat diese Verse seiner
Tragödie vorangestellt. Es kommt ihm hier, stärker als bisher, darauf an, eine
abstrakte Idee dramatisch und folgerichtig zu gestalten. Er hat in sich das Bild
eines Mannes erlebt, an dem Mutter Natur, als sie ihn zum Helden schaffen
wollte, eine Stümperarbeit verrichtete. Kurt von der Kreith, Hauptmann beim
Grenadierregiment des großen Königs, geht daran zugrunde, daß er den Mut zur
Tat, der hier gleichbedeutend mit dem Mute zum Verbrechen ist, nicht findet. Er
ist eine Hamletnatur, in tausend Hemmungen und Skrupeln und Verzagtheiten
befangen. Er kommt über das, was ihm Elternhaus und Erziehung und Preußen¬
tradition und primitive Vaterlandsliebe und soldatische Disziplin eingeimpft haben,
in den entscheidenden Stunden seines Lebens nicht hinaus. Der Konflikt zwischen
den Hemmungen seiner Natur und den lauter und lauter werdenden Wünschen
seines hundertfach gedemütigten Stolzes zerbricht und zerreibt ihn. Und wenn ihn
am Schluß die preußischen Grenadiere wie einen tollen Hund niederschießen, so
ist das nichts als der logische Abschluß eines längst vollendeten Menschenschicksals,
der leise, in dumpfer Resignation endende Ausklang einer armseligen Donquichote-
Existenz.

Das Morbide, Problematische tritt hier zum ersten Male in die Welt der
Eulenbergschen Dramatik. Die Helden seiner bisher besprochenen Tragödien zeigen
im großen und ganzen jene robuste Gradlinigkeit der Empfindung und jene nach
aufwärts gerichtete Kurve kämpferischer Gläubigkeit und Leidenschaft, wie sie der
überlieferte Begriff von tragischer Verkettung und vom Wechselspiel zwischen Schuld


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[0143] Herbort Lnlenberg als Dramatiker in der sie ihre eigene Sprache sprechen und trotzdem, im Sinne einer höheren künstlerischen Wahrheit, wahr und lebensecht und gegenwärtig erscheinen. Sie sind von einem bewußten künstlerischen Willen ins Unwirkliche stilisiert, ohne doch im letzten Grunde auch nur einen Augenblick lang unwirklich zu sein. Sie sind von einer leisen Melancholie überschattet und werden, was das Wichtigste ist, von einem heißen dramatischen Atem vorwärts getrieben und vorwärts gehetzt. Erst gegen Schluß läßt das, was man die innere Dynamik der Tragödie nennen könnte, ein klein wenig nach. Da scheint es, als ob Eulenberg müde geworden wäre, als ob ihn eine plötzliche Furcht vor der Ungeheuerlichkeit seines Wagnisses erfaßt hätte. Er verliert die Zügel aus der Hand und irrt nun notgedrungen in den Niederungen einer banalen Theatralik umher. Auch hier kommt wenig oder nichts auf den Gegenstand als solchen an. „Sie flohen beide von Hause fort... Es wußt's weder Vater noch Mutter..." Das möge zur Kennzeichnung genügen. Auch in diesem Falle macht der Ton die Musik. Und der Ton ist so metallisch, so klar und von so lauterster Schönheit umspielt, daß man nur noch einmal die Teilnahmlosigkeit bedauern kann, mit der unsere großen Bühnen dem blut- und glutvollen Leben dieser echten Tragödie gegenüberstehen. Das dritte Drama, das in diesem Zusammenhange zu nennen wäre, ist „Ein halber Held". Herbert Eulenberg, der sich selber zu kommentieren liebt, hat diese Verse seiner Tragödie vorangestellt. Es kommt ihm hier, stärker als bisher, darauf an, eine abstrakte Idee dramatisch und folgerichtig zu gestalten. Er hat in sich das Bild eines Mannes erlebt, an dem Mutter Natur, als sie ihn zum Helden schaffen wollte, eine Stümperarbeit verrichtete. Kurt von der Kreith, Hauptmann beim Grenadierregiment des großen Königs, geht daran zugrunde, daß er den Mut zur Tat, der hier gleichbedeutend mit dem Mute zum Verbrechen ist, nicht findet. Er ist eine Hamletnatur, in tausend Hemmungen und Skrupeln und Verzagtheiten befangen. Er kommt über das, was ihm Elternhaus und Erziehung und Preußen¬ tradition und primitive Vaterlandsliebe und soldatische Disziplin eingeimpft haben, in den entscheidenden Stunden seines Lebens nicht hinaus. Der Konflikt zwischen den Hemmungen seiner Natur und den lauter und lauter werdenden Wünschen seines hundertfach gedemütigten Stolzes zerbricht und zerreibt ihn. Und wenn ihn am Schluß die preußischen Grenadiere wie einen tollen Hund niederschießen, so ist das nichts als der logische Abschluß eines längst vollendeten Menschenschicksals, der leise, in dumpfer Resignation endende Ausklang einer armseligen Donquichote- Existenz. Das Morbide, Problematische tritt hier zum ersten Male in die Welt der Eulenbergschen Dramatik. Die Helden seiner bisher besprochenen Tragödien zeigen im großen und ganzen jene robuste Gradlinigkeit der Empfindung und jene nach aufwärts gerichtete Kurve kämpferischer Gläubigkeit und Leidenschaft, wie sie der überlieferte Begriff von tragischer Verkettung und vom Wechselspiel zwischen Schuld

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/143>, abgerufen am 23.07.2024.