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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Schutz dem deutschen Arbeiter

Allerdings, insofern diese Idee als eine Folgerung, Erweiterung und Be¬
festigung des Agrarschutzes, insbesondere auch der Kornzölle und Viehzölle
erscheint, mag sie manchen! Liberalen fremd und verdächtig vorkommen. Auch
solchen liberalen Parteien, die ihre Hauptstütze in den beweglichen großstädtischen
Massen und in deren Unzufriedenheit suchen, die gern mit der Sozialdemokratie
konkurrieren möchten, mag sie gleichgiltig oder unsympathisch erscheinen. Aber
einem wahren Liberalismus sollte sie hochwillkomner sein. Wirkliche Freiheit
und Selbstverwaltung sind nur möglich in einem Volke, dessen verschiedene
Stände, wenn auch durch Reichtum geschieden, doch durch Bildung, Erziehung,
Famtliensitten, Schule, Glaube, Sprache und Nasse möglichst ähnlich einander
sind, so daß die Verschiedenheiten der Standeshöhe nur mehr als äußerliche
Zufälligkeiten vergänglichen Glücks erscheinen. Rassenkämpfe und Klassen¬
kämpfe sind die größten Feinde der wirklichen Freiheit des Volkes. Wenn erst
ein innerer Feind z. B., ein rassefremdes Volk im Staate aufmarschiert, so werden
alle Freiheiten unmöglich, z. B. Gemeindefreiheit, Freiheit des Unterrichts und
der Erziehung, Vereinsfreiheit, weil sie sofort ausschlagen zu Begünstigungen
des inneren Feindes. So wird das deutsche Volk noch an allen schon erwor¬
benen Freiheiten und an allen zukünftig möglichen irre werden, wenn es in
seinem Staate ein wachsendes Polentum aufsteigen sieht. Außerdem aber wohnt
die wirkliche Freiheit eines Volkes überhaupt nicht in den großen Städten, wo
das Volk immer den Charakter einer nur ab und zu wilden, zumeist bezähm¬
baren, knechtschastswilligen Herde hat. Die wahre Freiheit eines Volkes wohnt
nur in der Unzahl der kleinen freien Gemeinden, besonders auch auf dem Lande.
Dort wenigstens sollte sie wohnen. Darum ist die innere Kolonisation auch
eine Forderung des wirklichen Liberalismus. Ohne Aussperrung der auslän¬
dischen Arbeiter aber gibt es keine innere Kolonisation.

Nun aber gibt es bei uns noch die große Partei der Jnteressenpolitiker,
die in allen Lagern zu Hause sind und die sich mit Vorliebe Realpolitiker
nennen. Sie meinen, in der Politik handle es sich immer nur um die materiellen
Interessen, um den Geldbeutel. Sie werden über diese neue Idee den Kopf
schütteln und sie für reine Ideologie erklären. Es gewinnt ja keine Partei
daran, ja von manchen, nämlich den Agrariern, verlangt sie Opfer. Und es
ist wahr, es hieße Übermenschliches von den Agrariern verlangen, wenn man
erwarten wollte, sie sollten sich freiwillig solche Opfer auferlegen. Der Idealismus
allein ist in der Politik nur zu oft hilflos schwach. Kluge Politiker versuchen
darum immer, wenn sie den schweren Lastwagen einer guten Sache durch
den zähen Dreck der Hindernisse schleppen lassen wollen, kräftigeres Zugvieh
davor zu spannen, materielle Interessen, blinde Leidenschaften und Vor¬
urteile. Aber das ist blindes Rindvieh, das nicht weiß, wohin es zieht, Lenker
bleibt immer der reine Idealismus auch in der Politik. Aus dem Zank der
materiellen Interessen, die immer mannigfach sind, kann immer nur Zwietracht
entstehen, niemals die Eintracht, die ein großes Volk zu einer siegreichen Tat


Schutz dem deutschen Arbeiter

Allerdings, insofern diese Idee als eine Folgerung, Erweiterung und Be¬
festigung des Agrarschutzes, insbesondere auch der Kornzölle und Viehzölle
erscheint, mag sie manchen! Liberalen fremd und verdächtig vorkommen. Auch
solchen liberalen Parteien, die ihre Hauptstütze in den beweglichen großstädtischen
Massen und in deren Unzufriedenheit suchen, die gern mit der Sozialdemokratie
konkurrieren möchten, mag sie gleichgiltig oder unsympathisch erscheinen. Aber
einem wahren Liberalismus sollte sie hochwillkomner sein. Wirkliche Freiheit
und Selbstverwaltung sind nur möglich in einem Volke, dessen verschiedene
Stände, wenn auch durch Reichtum geschieden, doch durch Bildung, Erziehung,
Famtliensitten, Schule, Glaube, Sprache und Nasse möglichst ähnlich einander
sind, so daß die Verschiedenheiten der Standeshöhe nur mehr als äußerliche
Zufälligkeiten vergänglichen Glücks erscheinen. Rassenkämpfe und Klassen¬
kämpfe sind die größten Feinde der wirklichen Freiheit des Volkes. Wenn erst
ein innerer Feind z. B., ein rassefremdes Volk im Staate aufmarschiert, so werden
alle Freiheiten unmöglich, z. B. Gemeindefreiheit, Freiheit des Unterrichts und
der Erziehung, Vereinsfreiheit, weil sie sofort ausschlagen zu Begünstigungen
des inneren Feindes. So wird das deutsche Volk noch an allen schon erwor¬
benen Freiheiten und an allen zukünftig möglichen irre werden, wenn es in
seinem Staate ein wachsendes Polentum aufsteigen sieht. Außerdem aber wohnt
die wirkliche Freiheit eines Volkes überhaupt nicht in den großen Städten, wo
das Volk immer den Charakter einer nur ab und zu wilden, zumeist bezähm¬
baren, knechtschastswilligen Herde hat. Die wahre Freiheit eines Volkes wohnt
nur in der Unzahl der kleinen freien Gemeinden, besonders auch auf dem Lande.
Dort wenigstens sollte sie wohnen. Darum ist die innere Kolonisation auch
eine Forderung des wirklichen Liberalismus. Ohne Aussperrung der auslän¬
dischen Arbeiter aber gibt es keine innere Kolonisation.

Nun aber gibt es bei uns noch die große Partei der Jnteressenpolitiker,
die in allen Lagern zu Hause sind und die sich mit Vorliebe Realpolitiker
nennen. Sie meinen, in der Politik handle es sich immer nur um die materiellen
Interessen, um den Geldbeutel. Sie werden über diese neue Idee den Kopf
schütteln und sie für reine Ideologie erklären. Es gewinnt ja keine Partei
daran, ja von manchen, nämlich den Agrariern, verlangt sie Opfer. Und es
ist wahr, es hieße Übermenschliches von den Agrariern verlangen, wenn man
erwarten wollte, sie sollten sich freiwillig solche Opfer auferlegen. Der Idealismus
allein ist in der Politik nur zu oft hilflos schwach. Kluge Politiker versuchen
darum immer, wenn sie den schweren Lastwagen einer guten Sache durch
den zähen Dreck der Hindernisse schleppen lassen wollen, kräftigeres Zugvieh
davor zu spannen, materielle Interessen, blinde Leidenschaften und Vor¬
urteile. Aber das ist blindes Rindvieh, das nicht weiß, wohin es zieht, Lenker
bleibt immer der reine Idealismus auch in der Politik. Aus dem Zank der
materiellen Interessen, die immer mannigfach sind, kann immer nur Zwietracht
entstehen, niemals die Eintracht, die ein großes Volk zu einer siegreichen Tat


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[0132] Schutz dem deutschen Arbeiter Allerdings, insofern diese Idee als eine Folgerung, Erweiterung und Be¬ festigung des Agrarschutzes, insbesondere auch der Kornzölle und Viehzölle erscheint, mag sie manchen! Liberalen fremd und verdächtig vorkommen. Auch solchen liberalen Parteien, die ihre Hauptstütze in den beweglichen großstädtischen Massen und in deren Unzufriedenheit suchen, die gern mit der Sozialdemokratie konkurrieren möchten, mag sie gleichgiltig oder unsympathisch erscheinen. Aber einem wahren Liberalismus sollte sie hochwillkomner sein. Wirkliche Freiheit und Selbstverwaltung sind nur möglich in einem Volke, dessen verschiedene Stände, wenn auch durch Reichtum geschieden, doch durch Bildung, Erziehung, Famtliensitten, Schule, Glaube, Sprache und Nasse möglichst ähnlich einander sind, so daß die Verschiedenheiten der Standeshöhe nur mehr als äußerliche Zufälligkeiten vergänglichen Glücks erscheinen. Rassenkämpfe und Klassen¬ kämpfe sind die größten Feinde der wirklichen Freiheit des Volkes. Wenn erst ein innerer Feind z. B., ein rassefremdes Volk im Staate aufmarschiert, so werden alle Freiheiten unmöglich, z. B. Gemeindefreiheit, Freiheit des Unterrichts und der Erziehung, Vereinsfreiheit, weil sie sofort ausschlagen zu Begünstigungen des inneren Feindes. So wird das deutsche Volk noch an allen schon erwor¬ benen Freiheiten und an allen zukünftig möglichen irre werden, wenn es in seinem Staate ein wachsendes Polentum aufsteigen sieht. Außerdem aber wohnt die wirkliche Freiheit eines Volkes überhaupt nicht in den großen Städten, wo das Volk immer den Charakter einer nur ab und zu wilden, zumeist bezähm¬ baren, knechtschastswilligen Herde hat. Die wahre Freiheit eines Volkes wohnt nur in der Unzahl der kleinen freien Gemeinden, besonders auch auf dem Lande. Dort wenigstens sollte sie wohnen. Darum ist die innere Kolonisation auch eine Forderung des wirklichen Liberalismus. Ohne Aussperrung der auslän¬ dischen Arbeiter aber gibt es keine innere Kolonisation. Nun aber gibt es bei uns noch die große Partei der Jnteressenpolitiker, die in allen Lagern zu Hause sind und die sich mit Vorliebe Realpolitiker nennen. Sie meinen, in der Politik handle es sich immer nur um die materiellen Interessen, um den Geldbeutel. Sie werden über diese neue Idee den Kopf schütteln und sie für reine Ideologie erklären. Es gewinnt ja keine Partei daran, ja von manchen, nämlich den Agrariern, verlangt sie Opfer. Und es ist wahr, es hieße Übermenschliches von den Agrariern verlangen, wenn man erwarten wollte, sie sollten sich freiwillig solche Opfer auferlegen. Der Idealismus allein ist in der Politik nur zu oft hilflos schwach. Kluge Politiker versuchen darum immer, wenn sie den schweren Lastwagen einer guten Sache durch den zähen Dreck der Hindernisse schleppen lassen wollen, kräftigeres Zugvieh davor zu spannen, materielle Interessen, blinde Leidenschaften und Vor¬ urteile. Aber das ist blindes Rindvieh, das nicht weiß, wohin es zieht, Lenker bleibt immer der reine Idealismus auch in der Politik. Aus dem Zank der materiellen Interessen, die immer mannigfach sind, kann immer nur Zwietracht entstehen, niemals die Eintracht, die ein großes Volk zu einer siegreichen Tat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/132>, abgerufen am 23.07.2024.