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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Schutz dem deutschen Arbeiter

Und diese Idee gibt doch die einzig wirksame Fortsetzung unserer Polenpolitik,
die ja doch zweifellos am Ende ihrer Kräfte angekommen ist. 330 Millionen
Mark haben wir ausgegeben und der Erfolg ist, daß wir 100000 Hektar
verloren haben. 3500 Mark für den Hektar, um ihn zu verlieren? Wie
kommt das?

Das kommt daher: Wo der deutsche Arbeiter nicht mehr leben kann, da
kann auch der deutsche Kleinbauer sich nicht mehr halten. Zum Gedeihen des
Kleinbauernstandes gehört, daß der Nachwuchs vorübergehend oder dauernd
unterkommen kann in einem anständigen freien Tagelöhnerstande. Der Sohn
des einen Bauern dient beim andern als Knecht, und ebenso die Mägde. Kleiner
Besitzer und Tagelöhner, beide müssen Blutsbrüder sein, die an einem Tische
miteinander essen. Wo aber kulturfremde, minderwertige Tagelöhner einziehen,
da wird dies Verhältnis gestört. Der Arbeiterstand in seiner untersten Lage
wird unanständig. Der Nachwuchs der kleinen Besitzer geht in die Städte, und
endlich kommen die leergestorbenen Höfe an das eingewanderte Volk. So ver¬
schieben sich die Grenzen. Nun kann man wohl eine gewisse mittlere Sorte
Bauen:, die gerade mit der eigenen Arbeit auskommt, mühsam anpflanzen. Sie
lassen sich vielleicht auch erhalten, obwohl es keine Besitzgröße gibt, die niemals
fremde Arbeit brauchte, weil die Arbeitskraft einer Familie im Laufe eines
Menschenlebens bedeutend schwankt. Zu gleicher Zeit aber verschwindet der
urständige Bauernbesitz in eine andere Gegend und wir wissen, daß dasselbe Geld,
mit dem der preußische Staat hier gekauft hat, dort benutzt wird, um den
deutschen Kleinbesitz auszulaufen. Die Moral davon ist, daß es in der heutigen
wirtschaftlichen Welt keine bloße Bauernkolonisation geben kann, daß der wichtigste
Mann in der Kolonisation der besitzlose Arbeiter ist. Wo er einzieht, da folgt
der Kleinkaufmann, der Kleinbesitzer, schließlich auch der Arzt und der Rechts¬
anwalt, und es entsteht endlich ein vollständiges Volk mit allen Ständen. Darum:
wenn wir kolonisieren wollen, so dürfen wir den deutschen Arbeiter nicht ver¬
gessen. Ohne ihn wird es nichts.

Ferner: Muß diese Idee etwa-dem Zentrum feindlich erscheinen? Müssen
etwa die deutschen Katholiken es mit Sorge ansehen, wenn in unseren Ostprovinzen
statt polnischer Katholiken etwa pommersche Protestanten die Schulen füllen?
Werden dadurch die Machtverhältnisse der Konfessionen verschoben zu Ungunsten
der Katholiken? Im Gegenteil; wenn die deutschen Katholiken nur mit sich zu
tun haben, so wird ihnen niemand ihr Recht nehmen können. Obwohl eine
Minorität, werden sie ebenso viel bedeuten als die protestantische Hälfte des
Volkes. Weil sie nur Glieder des deutschen Volkes sind, so werden sie unbesiegbar
sein. Wenn sie aber sich verbinden mit einem feindlichen Volkstum, so werden
sie es büßen müssen und werden für die Freiheit ihres Glaubens und ihrer
Kirche nichts gewinnen, sondern verlieren.

Endlich: Wie steht diese Idee zum Programm eines starken deutschen
Liberalismus? Ist sie ihm feindlich?


Schutz dem deutschen Arbeiter

Und diese Idee gibt doch die einzig wirksame Fortsetzung unserer Polenpolitik,
die ja doch zweifellos am Ende ihrer Kräfte angekommen ist. 330 Millionen
Mark haben wir ausgegeben und der Erfolg ist, daß wir 100000 Hektar
verloren haben. 3500 Mark für den Hektar, um ihn zu verlieren? Wie
kommt das?

Das kommt daher: Wo der deutsche Arbeiter nicht mehr leben kann, da
kann auch der deutsche Kleinbauer sich nicht mehr halten. Zum Gedeihen des
Kleinbauernstandes gehört, daß der Nachwuchs vorübergehend oder dauernd
unterkommen kann in einem anständigen freien Tagelöhnerstande. Der Sohn
des einen Bauern dient beim andern als Knecht, und ebenso die Mägde. Kleiner
Besitzer und Tagelöhner, beide müssen Blutsbrüder sein, die an einem Tische
miteinander essen. Wo aber kulturfremde, minderwertige Tagelöhner einziehen,
da wird dies Verhältnis gestört. Der Arbeiterstand in seiner untersten Lage
wird unanständig. Der Nachwuchs der kleinen Besitzer geht in die Städte, und
endlich kommen die leergestorbenen Höfe an das eingewanderte Volk. So ver¬
schieben sich die Grenzen. Nun kann man wohl eine gewisse mittlere Sorte
Bauen:, die gerade mit der eigenen Arbeit auskommt, mühsam anpflanzen. Sie
lassen sich vielleicht auch erhalten, obwohl es keine Besitzgröße gibt, die niemals
fremde Arbeit brauchte, weil die Arbeitskraft einer Familie im Laufe eines
Menschenlebens bedeutend schwankt. Zu gleicher Zeit aber verschwindet der
urständige Bauernbesitz in eine andere Gegend und wir wissen, daß dasselbe Geld,
mit dem der preußische Staat hier gekauft hat, dort benutzt wird, um den
deutschen Kleinbesitz auszulaufen. Die Moral davon ist, daß es in der heutigen
wirtschaftlichen Welt keine bloße Bauernkolonisation geben kann, daß der wichtigste
Mann in der Kolonisation der besitzlose Arbeiter ist. Wo er einzieht, da folgt
der Kleinkaufmann, der Kleinbesitzer, schließlich auch der Arzt und der Rechts¬
anwalt, und es entsteht endlich ein vollständiges Volk mit allen Ständen. Darum:
wenn wir kolonisieren wollen, so dürfen wir den deutschen Arbeiter nicht ver¬
gessen. Ohne ihn wird es nichts.

Ferner: Muß diese Idee etwa-dem Zentrum feindlich erscheinen? Müssen
etwa die deutschen Katholiken es mit Sorge ansehen, wenn in unseren Ostprovinzen
statt polnischer Katholiken etwa pommersche Protestanten die Schulen füllen?
Werden dadurch die Machtverhältnisse der Konfessionen verschoben zu Ungunsten
der Katholiken? Im Gegenteil; wenn die deutschen Katholiken nur mit sich zu
tun haben, so wird ihnen niemand ihr Recht nehmen können. Obwohl eine
Minorität, werden sie ebenso viel bedeuten als die protestantische Hälfte des
Volkes. Weil sie nur Glieder des deutschen Volkes sind, so werden sie unbesiegbar
sein. Wenn sie aber sich verbinden mit einem feindlichen Volkstum, so werden
sie es büßen müssen und werden für die Freiheit ihres Glaubens und ihrer
Kirche nichts gewinnen, sondern verlieren.

Endlich: Wie steht diese Idee zum Programm eines starken deutschen
Liberalismus? Ist sie ihm feindlich?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/131>, abgerufen am 23.07.2024.