Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel Auswärtige Angelegenheiten Tripolis geräumt -- Eroberung des Hinterlandes -- Politische Qualitäten des Islam -- Deutschland und der Islam -- Italien nud der Dreibund -- Englands Schachzüge -- Kowcit Am 5. Oktober wurden die Forts von Tripolis durch italienische Diese Sachlage schiebt die Frage nach den politischen Qualitäten des Reichsspiegel Auswärtige Angelegenheiten Tripolis geräumt — Eroberung des Hinterlandes — Politische Qualitäten des Islam — Deutschland und der Islam — Italien nud der Dreibund — Englands Schachzüge — Kowcit Am 5. Oktober wurden die Forts von Tripolis durch italienische Diese Sachlage schiebt die Frage nach den politischen Qualitäten des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319706"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_319600/figures/grenzboten_341893_319600_319706_000.jpg"/><lb/> </div> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Auswärtige Angelegenheiten</head><lb/> <note type="argument"> Tripolis geräumt — Eroberung des Hinterlandes — Politische Qualitäten des Islam —<lb/> Deutschland und der Islam — Italien nud der Dreibund — Englands Schachzüge —<lb/> Kowcit</note><lb/> <p xml:id="ID_444"> Am 5. Oktober wurden die Forts von Tripolis durch italienische<lb/> Marineinfanterie besetzt. Die amtlichen Nachrichten bestätigen den ver¬<lb/> wahrlosten Zustand, in dem die türkischen Befestigungen angetroffen wurden.<lb/> Auf die Tüchtigkeit der tripolitanischen Artillerie wirft die Tatsache ein eigen¬<lb/> artiges Licht, daß die belagernde italienische Flotte auch nicht durch einen Granat¬<lb/> splitter erreicht wurde! Die Verteidiger verloren einige dreißig Mann an Toten<lb/> und Verwundeten. Sie haben sich wenige Kilometer südlich Tripolis verschanzt.<lb/> Italien ist somit Herrin im wichtigsten Küstengebiet und hat dadurch eine sichere<lb/> Basis für den zweiten, schwereren Teil seines Unternehmens gewonnen, sür die<lb/> Eroberung des Hinterlandes. Es wird sich nun zeigen, ob die Sieger<lb/> über die unvorbereitete offizielle Türkei auch die Kraft besitzen werden, das seine<lb/> Wohnstätten verteidigende Volk der Araber zu unterwerfen. Die Chancen Italiens<lb/> sind nicht ungünstig, sofern die Heeresleitung sich mit dein nächsten Vorstoß Zeit<lb/> läßt, zunächst aber genügend Kavallerie und leichte Artillerie nach Afrika ent¬<lb/> sendet und nicht vergißt, einen sür europäische Begriffe gigantischen Verpflegungs¬<lb/> und Etappentrain mitzugeben. War die Hauptstadt im Handstreich zu nehmen,<lb/> so wird die Eroberung des Hinterlandes viele Monate, vielleicht Jahre währen,<lb/> je nachdem es gelingt, die einheimische Bevölkerung mit Güte oder Gewalt<lb/> zu gewinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_445" next="#ID_446"> Diese Sachlage schiebt die Frage nach den politischen Qualitäten des<lb/> Islam mehr in den Vordergrund der politischen Betrachtung. Wenn im<lb/> Islam wirklich die ungeheure Macht eines glaubenseisrigen Fanatismus orga¬<lb/> nisiert ist, wie' vielfach in der deutschen Presse zu lesen ist, dann müßte es um<lb/> die Zukunft der Türkei gut stehen, und wir müßten demnächst ein Feuer auf¬<lb/> flammen sehen, das nicht nur Vorderasien, sondern ganz Nordafrika, Indien<lb/> und große Teile Rußlands in Brand stecken dürfte. Seit ich indessen die achtzehn<lb/> Millionen Bekenner des Islam beobachten konnte, die hinter der russischen Re¬<lb/> volution standen, stehe ich der Macht des Islam skeptisch gegenüber.<lb/> Tiefere Kenner geben mir in meinem Skeptizismus recht und die Ereignisse der<lb/> letzten zwanzig Jahre auch. Der Zusammenhang unter den Bekennern des<lb/> Islam ist nicht größer als der unter den verschiedenen Völkern katholischen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0105]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Auswärtige Angelegenheiten
Tripolis geräumt — Eroberung des Hinterlandes — Politische Qualitäten des Islam —
Deutschland und der Islam — Italien nud der Dreibund — Englands Schachzüge —
Kowcit
Am 5. Oktober wurden die Forts von Tripolis durch italienische
Marineinfanterie besetzt. Die amtlichen Nachrichten bestätigen den ver¬
wahrlosten Zustand, in dem die türkischen Befestigungen angetroffen wurden.
Auf die Tüchtigkeit der tripolitanischen Artillerie wirft die Tatsache ein eigen¬
artiges Licht, daß die belagernde italienische Flotte auch nicht durch einen Granat¬
splitter erreicht wurde! Die Verteidiger verloren einige dreißig Mann an Toten
und Verwundeten. Sie haben sich wenige Kilometer südlich Tripolis verschanzt.
Italien ist somit Herrin im wichtigsten Küstengebiet und hat dadurch eine sichere
Basis für den zweiten, schwereren Teil seines Unternehmens gewonnen, sür die
Eroberung des Hinterlandes. Es wird sich nun zeigen, ob die Sieger
über die unvorbereitete offizielle Türkei auch die Kraft besitzen werden, das seine
Wohnstätten verteidigende Volk der Araber zu unterwerfen. Die Chancen Italiens
sind nicht ungünstig, sofern die Heeresleitung sich mit dein nächsten Vorstoß Zeit
läßt, zunächst aber genügend Kavallerie und leichte Artillerie nach Afrika ent¬
sendet und nicht vergißt, einen sür europäische Begriffe gigantischen Verpflegungs¬
und Etappentrain mitzugeben. War die Hauptstadt im Handstreich zu nehmen,
so wird die Eroberung des Hinterlandes viele Monate, vielleicht Jahre währen,
je nachdem es gelingt, die einheimische Bevölkerung mit Güte oder Gewalt
zu gewinnen.
Diese Sachlage schiebt die Frage nach den politischen Qualitäten des
Islam mehr in den Vordergrund der politischen Betrachtung. Wenn im
Islam wirklich die ungeheure Macht eines glaubenseisrigen Fanatismus orga¬
nisiert ist, wie' vielfach in der deutschen Presse zu lesen ist, dann müßte es um
die Zukunft der Türkei gut stehen, und wir müßten demnächst ein Feuer auf¬
flammen sehen, das nicht nur Vorderasien, sondern ganz Nordafrika, Indien
und große Teile Rußlands in Brand stecken dürfte. Seit ich indessen die achtzehn
Millionen Bekenner des Islam beobachten konnte, die hinter der russischen Re¬
volution standen, stehe ich der Macht des Islam skeptisch gegenüber.
Tiefere Kenner geben mir in meinem Skeptizismus recht und die Ereignisse der
letzten zwanzig Jahre auch. Der Zusammenhang unter den Bekennern des
Islam ist nicht größer als der unter den verschiedenen Völkern katholischen
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