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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ein Unrecht, daß in den großen Kliniken noch
nicht öffentlich amputiert und operiert wird.
Wer die Feinschmecker wissen etwas Besseres:
sie fahnden nach Zuhörerplätzen bei Sensations¬
prozessen. DaS gibt mit voller Sicherheit aus¬
verkaufte Häuser. Allerdings ist ein gewöhn¬
licher Fall von Einbruch oder Mord schon nicht
mehr unbedingt zugkräftig, aber dafür stieg
der Skandal im Liebhaberwerte. Eine zuvor¬
kommende Presse sorgt zwar, daß jedermann
am Abend tunlichst nacherleben kann, was sich
an den Schranken begab; doch das reizt sie
nur, die klatschhungrigen Seelen. Man müßte
selber mitgenießen, was für ein Gesicht der
oder die Angeklagte bei der oder jeuer Aus¬
sage machte, wie der Verteidiger sich benahm
und wie das Pikante so eigentlich herausgebracht
wurde. Ein alter Globetrotter hat einmal
behauptet, die Spanier würden nie auf Stier¬
gefechte verfallen sein, hätten sie immer ein
öffentliches Gerichtsverfahren gekannt. Nun,
wir dürfen auf den tierauälerischeu Sevillaner
stolz herabblicken, denn im Lande des Tier¬
schutzes interessiert eS natürlich weit mehr,
zuzusehen, wie Menschen bei der Qual be¬
stehen, wie ihre Nerven zucken und ihre Fassung
wankt. Das war ja gerade das Schöne an
den Altensteiner Prozessen: eine Angeklagte an
der Grenze des Irrsinns garantierte eben
vorweg die ersehnten Zwischenfälle. Wie kann
übrigens eine als wissenschaftlich berufene
Nation mit Bewußtsein human empfinden,
wenn sie nicht genau studiert, was jenseits
davon liegt, -- nicht währ? Aber die in¬
telligenten Leser der Hunderttausendpresse, die
Ableger ihrer Tageslogik, wollen auch die mit
Recht beliebten Studien des sozialen Milieus
nicht versäumen. Man sorge dafür! Von;
ein schmieriger kleiner Prozeß, bei dein aber
ein geborener Graf auftritt und erzähle" kann,
wie man Schwiegersohn eines Millionenhauses
wird -- oder auch nicht -- das wäre z. B.
ganz der gesuchte Handel. Und so geht der


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Kampf um die Plätze im stickig engen Raume
los. Ausverkaufte Häuser wegen eines Ein¬
blicks in Salons, deren Rang von vornherein
nur in der Hinterhausphantasie ernsthaft strittig
warI Diese Menschen mögen keiner Schonung
wert sein -- verdienen sie aber Aufmerksam¬
keit? Der Grafenkalender zählt 1096 Seiten
engen Drucks und ist immer noch unvoll¬
ständig, die Liste der Hochbesteuerten hat eben¬
falls ziemlichen Umfang, aber beide schätzbaren
Verzeichnisse gewährleisten zunächst nichts weiter
als die äußere Eigenschaft, welche die Über¬
schrift nennt. Ob der junge Aristokrat seine
Wechsel auf Heiratsaussichten oder Pferdekäufe
hin prolongiert erhielt, ob es in Berlin XV.
gutes Essen und böse Mütter oder schlechtes
Essen und gute Töchter, mit weiteren .Kom¬
binationen ca intmitum, zu geben Pflegt, ob
die Lebedamen der öffentlichen Tanzsäle noch
mmer vor Gericht so aussehen wie bis zur
Langenweile bekannt, -- das alles zusammen
liefert vielleicht soziale Katzenmusik, aber keinen
Stoff, der das geringste publizistische Interesse
daran rechtfertigen könnte. Selten ist so
deutlich hervorgetreten, wie hoch schon die
Fertigkeit ausgebildet worden ist, rein nach
Belieben ausverkaufte Häuser der Themis zu
bewirken. Sollte die schon gekennzeichnete
Tagespresse, deren Schuld das jedesmal ist,
hierbei nur die Vermittlerrolle spielen, dann
um so bedenklicher für den Charakter ihres
Betriebes I Merkwürdig genug, daß man in
den sonst so empfindlichen Kreisen wirtschaft¬
icher Potenz die nun schon tonangebende
Herrschaft der Sensationsblatler gleichsam als
Verhängnis betrachtet und alle Konsequenzen
miterduldet. Es mag billiger sein, als ein¬
mal energisch große Mittel im großen Stil
aufzuwenden, damit der Ochlokratie das Hände¬
eiben vergeht. Noch ist es nicht lange her,
daß auch der kleine Mann sich schämte, ge¬
wisse Blätter aus der Tasche zu ziehen und
D. G. vor anderen Leuten zu entfalten.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ein Unrecht, daß in den großen Kliniken noch
nicht öffentlich amputiert und operiert wird.
Wer die Feinschmecker wissen etwas Besseres:
sie fahnden nach Zuhörerplätzen bei Sensations¬
prozessen. DaS gibt mit voller Sicherheit aus¬
verkaufte Häuser. Allerdings ist ein gewöhn¬
licher Fall von Einbruch oder Mord schon nicht
mehr unbedingt zugkräftig, aber dafür stieg
der Skandal im Liebhaberwerte. Eine zuvor¬
kommende Presse sorgt zwar, daß jedermann
am Abend tunlichst nacherleben kann, was sich
an den Schranken begab; doch das reizt sie
nur, die klatschhungrigen Seelen. Man müßte
selber mitgenießen, was für ein Gesicht der
oder die Angeklagte bei der oder jeuer Aus¬
sage machte, wie der Verteidiger sich benahm
und wie das Pikante so eigentlich herausgebracht
wurde. Ein alter Globetrotter hat einmal
behauptet, die Spanier würden nie auf Stier¬
gefechte verfallen sein, hätten sie immer ein
öffentliches Gerichtsverfahren gekannt. Nun,
wir dürfen auf den tierauälerischeu Sevillaner
stolz herabblicken, denn im Lande des Tier¬
schutzes interessiert eS natürlich weit mehr,
zuzusehen, wie Menschen bei der Qual be¬
stehen, wie ihre Nerven zucken und ihre Fassung
wankt. Das war ja gerade das Schöne an
den Altensteiner Prozessen: eine Angeklagte an
der Grenze des Irrsinns garantierte eben
vorweg die ersehnten Zwischenfälle. Wie kann
übrigens eine als wissenschaftlich berufene
Nation mit Bewußtsein human empfinden,
wenn sie nicht genau studiert, was jenseits
davon liegt, — nicht währ? Aber die in¬
telligenten Leser der Hunderttausendpresse, die
Ableger ihrer Tageslogik, wollen auch die mit
Recht beliebten Studien des sozialen Milieus
nicht versäumen. Man sorge dafür! Von;
ein schmieriger kleiner Prozeß, bei dein aber
ein geborener Graf auftritt und erzähle» kann,
wie man Schwiegersohn eines Millionenhauses
wird — oder auch nicht — das wäre z. B.
ganz der gesuchte Handel. Und so geht der


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Kampf um die Plätze im stickig engen Raume
los. Ausverkaufte Häuser wegen eines Ein¬
blicks in Salons, deren Rang von vornherein
nur in der Hinterhausphantasie ernsthaft strittig
warI Diese Menschen mögen keiner Schonung
wert sein — verdienen sie aber Aufmerksam¬
keit? Der Grafenkalender zählt 1096 Seiten
engen Drucks und ist immer noch unvoll¬
ständig, die Liste der Hochbesteuerten hat eben¬
falls ziemlichen Umfang, aber beide schätzbaren
Verzeichnisse gewährleisten zunächst nichts weiter
als die äußere Eigenschaft, welche die Über¬
schrift nennt. Ob der junge Aristokrat seine
Wechsel auf Heiratsaussichten oder Pferdekäufe
hin prolongiert erhielt, ob es in Berlin XV.
gutes Essen und böse Mütter oder schlechtes
Essen und gute Töchter, mit weiteren .Kom¬
binationen ca intmitum, zu geben Pflegt, ob
die Lebedamen der öffentlichen Tanzsäle noch
mmer vor Gericht so aussehen wie bis zur
Langenweile bekannt, — das alles zusammen
liefert vielleicht soziale Katzenmusik, aber keinen
Stoff, der das geringste publizistische Interesse
daran rechtfertigen könnte. Selten ist so
deutlich hervorgetreten, wie hoch schon die
Fertigkeit ausgebildet worden ist, rein nach
Belieben ausverkaufte Häuser der Themis zu
bewirken. Sollte die schon gekennzeichnete
Tagespresse, deren Schuld das jedesmal ist,
hierbei nur die Vermittlerrolle spielen, dann
um so bedenklicher für den Charakter ihres
Betriebes I Merkwürdig genug, daß man in
den sonst so empfindlichen Kreisen wirtschaft¬
icher Potenz die nun schon tonangebende
Herrschaft der Sensationsblatler gleichsam als
Verhängnis betrachtet und alle Konsequenzen
miterduldet. Es mag billiger sein, als ein¬
mal energisch große Mittel im großen Stil
aufzuwenden, damit der Ochlokratie das Hände¬
eiben vergeht. Noch ist es nicht lange her,
daß auch der kleine Mann sich schämte, ge¬
wisse Blätter aus der Tasche zu ziehen und
D. G. vor anderen Leuten zu entfalten.

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[0104] Maßgebliches und Unmaßgebliches ein Unrecht, daß in den großen Kliniken noch nicht öffentlich amputiert und operiert wird. Wer die Feinschmecker wissen etwas Besseres: sie fahnden nach Zuhörerplätzen bei Sensations¬ prozessen. DaS gibt mit voller Sicherheit aus¬ verkaufte Häuser. Allerdings ist ein gewöhn¬ licher Fall von Einbruch oder Mord schon nicht mehr unbedingt zugkräftig, aber dafür stieg der Skandal im Liebhaberwerte. Eine zuvor¬ kommende Presse sorgt zwar, daß jedermann am Abend tunlichst nacherleben kann, was sich an den Schranken begab; doch das reizt sie nur, die klatschhungrigen Seelen. Man müßte selber mitgenießen, was für ein Gesicht der oder die Angeklagte bei der oder jeuer Aus¬ sage machte, wie der Verteidiger sich benahm und wie das Pikante so eigentlich herausgebracht wurde. Ein alter Globetrotter hat einmal behauptet, die Spanier würden nie auf Stier¬ gefechte verfallen sein, hätten sie immer ein öffentliches Gerichtsverfahren gekannt. Nun, wir dürfen auf den tierauälerischeu Sevillaner stolz herabblicken, denn im Lande des Tier¬ schutzes interessiert eS natürlich weit mehr, zuzusehen, wie Menschen bei der Qual be¬ stehen, wie ihre Nerven zucken und ihre Fassung wankt. Das war ja gerade das Schöne an den Altensteiner Prozessen: eine Angeklagte an der Grenze des Irrsinns garantierte eben vorweg die ersehnten Zwischenfälle. Wie kann übrigens eine als wissenschaftlich berufene Nation mit Bewußtsein human empfinden, wenn sie nicht genau studiert, was jenseits davon liegt, — nicht währ? Aber die in¬ telligenten Leser der Hunderttausendpresse, die Ableger ihrer Tageslogik, wollen auch die mit Recht beliebten Studien des sozialen Milieus nicht versäumen. Man sorge dafür! Von; ein schmieriger kleiner Prozeß, bei dein aber ein geborener Graf auftritt und erzähle» kann, wie man Schwiegersohn eines Millionenhauses wird — oder auch nicht — das wäre z. B. ganz der gesuchte Handel. Und so geht der Kampf um die Plätze im stickig engen Raume los. Ausverkaufte Häuser wegen eines Ein¬ blicks in Salons, deren Rang von vornherein nur in der Hinterhausphantasie ernsthaft strittig warI Diese Menschen mögen keiner Schonung wert sein — verdienen sie aber Aufmerksam¬ keit? Der Grafenkalender zählt 1096 Seiten engen Drucks und ist immer noch unvoll¬ ständig, die Liste der Hochbesteuerten hat eben¬ falls ziemlichen Umfang, aber beide schätzbaren Verzeichnisse gewährleisten zunächst nichts weiter als die äußere Eigenschaft, welche die Über¬ schrift nennt. Ob der junge Aristokrat seine Wechsel auf Heiratsaussichten oder Pferdekäufe hin prolongiert erhielt, ob es in Berlin XV. gutes Essen und böse Mütter oder schlechtes Essen und gute Töchter, mit weiteren .Kom¬ binationen ca intmitum, zu geben Pflegt, ob die Lebedamen der öffentlichen Tanzsäle noch mmer vor Gericht so aussehen wie bis zur Langenweile bekannt, — das alles zusammen liefert vielleicht soziale Katzenmusik, aber keinen Stoff, der das geringste publizistische Interesse daran rechtfertigen könnte. Selten ist so deutlich hervorgetreten, wie hoch schon die Fertigkeit ausgebildet worden ist, rein nach Belieben ausverkaufte Häuser der Themis zu bewirken. Sollte die schon gekennzeichnete Tagespresse, deren Schuld das jedesmal ist, hierbei nur die Vermittlerrolle spielen, dann um so bedenklicher für den Charakter ihres Betriebes I Merkwürdig genug, daß man in den sonst so empfindlichen Kreisen wirtschaft¬ icher Potenz die nun schon tonangebende Herrschaft der Sensationsblatler gleichsam als Verhängnis betrachtet und alle Konsequenzen miterduldet. Es mag billiger sein, als ein¬ mal energisch große Mittel im großen Stil aufzuwenden, damit der Ochlokratie das Hände¬ eiben vergeht. Noch ist es nicht lange her, daß auch der kleine Mann sich schämte, ge¬ wisse Blätter aus der Tasche zu ziehen und D. G. vor anderen Leuten zu entfalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/104>, abgerufen am 23.07.2024.