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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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mente von ihm, die Wohl geeignet sind, neben
dem Dichter auch den edlen, liebenswerten
Menschen ins rechte Licht zu stellen. Zu
diesem reichen Inhalt kommen noch feine
künstlerische Beigaben, zumeist zum erstenmal
veröffentlicht: Bildnisse bon Raabe, Zeich¬
nungen von seiner Hand, Bilder von Gedenk¬
stätten seines Lebens.

Raabes Erzählung "Unseres Herrgotts
Kanzlei" ist in der Creutzschen Verlagsbuch¬
handlung zu Magdeburg soeben in achter
Auflage erschienen (Preis M, 6.--.)


Robert Länge-
Literatur

Ludwig Speidel als Feuilletonist. Ludwig
Speidel wurde am 11. April 1830 in Ulm
geboren, kam aber bereits 1853 nach Wien,
wo er im Jahre 1906 starb, nachdem er in
einigen Jahrzehnten eine kritische Berühmtheit
der Donaustadt gewesen war. Er war in¬
sofern Journalist, als er im Dienst der TageS-
Presse stand. Er schrieb keine dicken Bücher,
ließ vielmehr lose feuilletonistische Blätter in
das Leben des Tages hineinflattern. Diese
losen Blätter aber wirkten so stark, wie Bücher
nur selten zu wirken Pflegen. Nichtsdesto¬
weniger war Speidel selber nie dazu zu be¬
wegen, sie zu sammeln. Und wer müßte nicht
einräumen, daß seine Bedenken verständlich
waren?

Der Tngesschriftsteller braucht nicht -- wie
der Schriftsteller im allgemeinen -- das Inter¬
esse für seinen Gegenstand zu wecken, denn
sein Gegenstand ist der erste Punkt der Tages¬
ordnung, ist die aktuelle Angelegenheit, von
der sowieso alle Welt spricht. Es fällt ihn,
auch nicht schwer, ihn farbig darzustellen, er
braucht ihn im Grunde nur zu nennen, da¬
mit seine Leser ihn sofort lebendig vor sich
sehen. Denn seine Leser erleben ja den Gegen¬
stand wie er selber. Er ist der Schriftsteller
des gegenwärtigen Tages, und der gegen¬
wärtige Tag hat immer Farbe, während hinter
uns die Vergangenheit matter erscheint oder
in tiefes Dunkel versinkt. Er macht Eindruck
schon durch seine Stellungnahme, durch sie
schon ruft er Gegnerschaft, Haß, Freundschaft
und Zustimmung hervor. Der Tag trägt seine
Arbeiten schnell empor, aber darum verschwin¬
den sie auch so leicht mit dem Tage. Die


[Spaltenumbruch]

Zeit ist der Bundesgenosse und der gefähr¬
ichste Gegner des Feuilletons. Nach einigen
Jahren ist ein blühendes Feuilleton bereits
eine welke Blume. Die verschiedenen sachlichen
Standpunkte, um die man sich beim Erscheinen
erhitzte, sind von der Entwicklung hinweggefegt.
Was vormals kühn war, ist inzwischen selbst¬
verständlich oder gar lächerlich geworden. An¬
pielungen, die beim Erscheinen jeden kitzelten,
versteht niemand mehr. Nichtsdestoweniger aber
freuen wir uns doch, daß der Verlag Meyer
u. Jessen in Berlin alle Bedenken überwunden
und eine Speidel-Ausgabe veranstaltet hat,
von der bis jetzt vier Bände vorliegen.

In einem Aufsatz über d.en jetzigen Wiener
Burgtheaterdirektor Baron v. Berger sagt
Speidel: "Zum Kritiker bringt Berger die
geeigneten Naturgaben mit. Er ist ein Denker
und er ist fast ein Dichter. Dieses .fast' ist
viel. Nur der Kritiker, der wenigstens ein
Verwandter des Dichters ist, wird uns über
Werke der Dichtkunst mehr als oberflächlich
unterrichten können." Was Speidel mit diesen
Worten ausspricht, klingt sehr selbstverständlich,
st aber nichtsdestoweniger ein Problem. Es
st schon wahr, daß ein dichterischer Einschlag
m Grunde erst den Kritiker macht, aber ebenso
wahr ist, daß ein derartiger Einschlag einen
Kritiker völlig ruinieren kann. Es kommt ganz
auf die Art und Weise an, in der das dich¬
erische Element seinem Wesen beigemischt ist.
Es kann ihn vornehm, liebenswürdig und ver¬
tändnisvoll, es kann ihn aber auch unglücklich,
neiderfüllt und verächtlich machen. Speidel
st in dieser -- wie übrigens in vielen anderen
Beziehungen -- ein Glückskind gewesen. Auch
er ist "fast" ein Dichter, aber der poetische
Einschlag hat sich mit seinem ganzen gesunden
Wesen in glücklicher Harmonie vermählt. Was
an Poetischen Gehalt in seinem Wesen steckt,
st für ihn wie eine verborgene Sonne, die
eine Lettern mit Schönheit durchleuchtet. In
einigen Feuilletons ist er mehr Dichter als
Schriftsteller, und selbst wo er kein Dichter ist
und nach der Sachlage auch gar keiner sein darf,
fliegt oft noch ein feiner poetischer Schimmer
über die Linien. Der Dichter, der in ihm
teckt, hat es ihm auch unmöglich gemacht, in
die häßliche Manieriertheit zu verfallen, in die
onst Feuilletonisten (und nicht zum wenigsten
die Wiener Feuilletonisten) im Interesse der

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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mente von ihm, die Wohl geeignet sind, neben
dem Dichter auch den edlen, liebenswerten
Menschen ins rechte Licht zu stellen. Zu
diesem reichen Inhalt kommen noch feine
künstlerische Beigaben, zumeist zum erstenmal
veröffentlicht: Bildnisse bon Raabe, Zeich¬
nungen von seiner Hand, Bilder von Gedenk¬
stätten seines Lebens.

Raabes Erzählung „Unseres Herrgotts
Kanzlei" ist in der Creutzschen Verlagsbuch¬
handlung zu Magdeburg soeben in achter
Auflage erschienen (Preis M, 6.—.)


Robert Länge-
Literatur

Ludwig Speidel als Feuilletonist. Ludwig
Speidel wurde am 11. April 1830 in Ulm
geboren, kam aber bereits 1853 nach Wien,
wo er im Jahre 1906 starb, nachdem er in
einigen Jahrzehnten eine kritische Berühmtheit
der Donaustadt gewesen war. Er war in¬
sofern Journalist, als er im Dienst der TageS-
Presse stand. Er schrieb keine dicken Bücher,
ließ vielmehr lose feuilletonistische Blätter in
das Leben des Tages hineinflattern. Diese
losen Blätter aber wirkten so stark, wie Bücher
nur selten zu wirken Pflegen. Nichtsdesto¬
weniger war Speidel selber nie dazu zu be¬
wegen, sie zu sammeln. Und wer müßte nicht
einräumen, daß seine Bedenken verständlich
waren?

Der Tngesschriftsteller braucht nicht — wie
der Schriftsteller im allgemeinen — das Inter¬
esse für seinen Gegenstand zu wecken, denn
sein Gegenstand ist der erste Punkt der Tages¬
ordnung, ist die aktuelle Angelegenheit, von
der sowieso alle Welt spricht. Es fällt ihn,
auch nicht schwer, ihn farbig darzustellen, er
braucht ihn im Grunde nur zu nennen, da¬
mit seine Leser ihn sofort lebendig vor sich
sehen. Denn seine Leser erleben ja den Gegen¬
stand wie er selber. Er ist der Schriftsteller
des gegenwärtigen Tages, und der gegen¬
wärtige Tag hat immer Farbe, während hinter
uns die Vergangenheit matter erscheint oder
in tiefes Dunkel versinkt. Er macht Eindruck
schon durch seine Stellungnahme, durch sie
schon ruft er Gegnerschaft, Haß, Freundschaft
und Zustimmung hervor. Der Tag trägt seine
Arbeiten schnell empor, aber darum verschwin¬
den sie auch so leicht mit dem Tage. Die


[Spaltenumbruch]

Zeit ist der Bundesgenosse und der gefähr¬
ichste Gegner des Feuilletons. Nach einigen
Jahren ist ein blühendes Feuilleton bereits
eine welke Blume. Die verschiedenen sachlichen
Standpunkte, um die man sich beim Erscheinen
erhitzte, sind von der Entwicklung hinweggefegt.
Was vormals kühn war, ist inzwischen selbst¬
verständlich oder gar lächerlich geworden. An¬
pielungen, die beim Erscheinen jeden kitzelten,
versteht niemand mehr. Nichtsdestoweniger aber
freuen wir uns doch, daß der Verlag Meyer
u. Jessen in Berlin alle Bedenken überwunden
und eine Speidel-Ausgabe veranstaltet hat,
von der bis jetzt vier Bände vorliegen.

In einem Aufsatz über d.en jetzigen Wiener
Burgtheaterdirektor Baron v. Berger sagt
Speidel: „Zum Kritiker bringt Berger die
geeigneten Naturgaben mit. Er ist ein Denker
und er ist fast ein Dichter. Dieses .fast' ist
viel. Nur der Kritiker, der wenigstens ein
Verwandter des Dichters ist, wird uns über
Werke der Dichtkunst mehr als oberflächlich
unterrichten können." Was Speidel mit diesen
Worten ausspricht, klingt sehr selbstverständlich,
st aber nichtsdestoweniger ein Problem. Es
st schon wahr, daß ein dichterischer Einschlag
m Grunde erst den Kritiker macht, aber ebenso
wahr ist, daß ein derartiger Einschlag einen
Kritiker völlig ruinieren kann. Es kommt ganz
auf die Art und Weise an, in der das dich¬
erische Element seinem Wesen beigemischt ist.
Es kann ihn vornehm, liebenswürdig und ver¬
tändnisvoll, es kann ihn aber auch unglücklich,
neiderfüllt und verächtlich machen. Speidel
st in dieser — wie übrigens in vielen anderen
Beziehungen — ein Glückskind gewesen. Auch
er ist „fast" ein Dichter, aber der poetische
Einschlag hat sich mit seinem ganzen gesunden
Wesen in glücklicher Harmonie vermählt. Was
an Poetischen Gehalt in seinem Wesen steckt,
st für ihn wie eine verborgene Sonne, die
eine Lettern mit Schönheit durchleuchtet. In
einigen Feuilletons ist er mehr Dichter als
Schriftsteller, und selbst wo er kein Dichter ist
und nach der Sachlage auch gar keiner sein darf,
fliegt oft noch ein feiner poetischer Schimmer
über die Linien. Der Dichter, der in ihm
teckt, hat es ihm auch unmöglich gemacht, in
die häßliche Manieriertheit zu verfallen, in die
onst Feuilletonisten (und nicht zum wenigsten
die Wiener Feuilletonisten) im Interesse der

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[0102] Maßgebliches und Unmaßgebliches mente von ihm, die Wohl geeignet sind, neben dem Dichter auch den edlen, liebenswerten Menschen ins rechte Licht zu stellen. Zu diesem reichen Inhalt kommen noch feine künstlerische Beigaben, zumeist zum erstenmal veröffentlicht: Bildnisse bon Raabe, Zeich¬ nungen von seiner Hand, Bilder von Gedenk¬ stätten seines Lebens. Raabes Erzählung „Unseres Herrgotts Kanzlei" ist in der Creutzschen Verlagsbuch¬ handlung zu Magdeburg soeben in achter Auflage erschienen (Preis M, 6.—.) Robert Länge- Literatur Ludwig Speidel als Feuilletonist. Ludwig Speidel wurde am 11. April 1830 in Ulm geboren, kam aber bereits 1853 nach Wien, wo er im Jahre 1906 starb, nachdem er in einigen Jahrzehnten eine kritische Berühmtheit der Donaustadt gewesen war. Er war in¬ sofern Journalist, als er im Dienst der TageS- Presse stand. Er schrieb keine dicken Bücher, ließ vielmehr lose feuilletonistische Blätter in das Leben des Tages hineinflattern. Diese losen Blätter aber wirkten so stark, wie Bücher nur selten zu wirken Pflegen. Nichtsdesto¬ weniger war Speidel selber nie dazu zu be¬ wegen, sie zu sammeln. Und wer müßte nicht einräumen, daß seine Bedenken verständlich waren? Der Tngesschriftsteller braucht nicht — wie der Schriftsteller im allgemeinen — das Inter¬ esse für seinen Gegenstand zu wecken, denn sein Gegenstand ist der erste Punkt der Tages¬ ordnung, ist die aktuelle Angelegenheit, von der sowieso alle Welt spricht. Es fällt ihn, auch nicht schwer, ihn farbig darzustellen, er braucht ihn im Grunde nur zu nennen, da¬ mit seine Leser ihn sofort lebendig vor sich sehen. Denn seine Leser erleben ja den Gegen¬ stand wie er selber. Er ist der Schriftsteller des gegenwärtigen Tages, und der gegen¬ wärtige Tag hat immer Farbe, während hinter uns die Vergangenheit matter erscheint oder in tiefes Dunkel versinkt. Er macht Eindruck schon durch seine Stellungnahme, durch sie schon ruft er Gegnerschaft, Haß, Freundschaft und Zustimmung hervor. Der Tag trägt seine Arbeiten schnell empor, aber darum verschwin¬ den sie auch so leicht mit dem Tage. Die Zeit ist der Bundesgenosse und der gefähr¬ ichste Gegner des Feuilletons. Nach einigen Jahren ist ein blühendes Feuilleton bereits eine welke Blume. Die verschiedenen sachlichen Standpunkte, um die man sich beim Erscheinen erhitzte, sind von der Entwicklung hinweggefegt. Was vormals kühn war, ist inzwischen selbst¬ verständlich oder gar lächerlich geworden. An¬ pielungen, die beim Erscheinen jeden kitzelten, versteht niemand mehr. Nichtsdestoweniger aber freuen wir uns doch, daß der Verlag Meyer u. Jessen in Berlin alle Bedenken überwunden und eine Speidel-Ausgabe veranstaltet hat, von der bis jetzt vier Bände vorliegen. In einem Aufsatz über d.en jetzigen Wiener Burgtheaterdirektor Baron v. Berger sagt Speidel: „Zum Kritiker bringt Berger die geeigneten Naturgaben mit. Er ist ein Denker und er ist fast ein Dichter. Dieses .fast' ist viel. Nur der Kritiker, der wenigstens ein Verwandter des Dichters ist, wird uns über Werke der Dichtkunst mehr als oberflächlich unterrichten können." Was Speidel mit diesen Worten ausspricht, klingt sehr selbstverständlich, st aber nichtsdestoweniger ein Problem. Es st schon wahr, daß ein dichterischer Einschlag m Grunde erst den Kritiker macht, aber ebenso wahr ist, daß ein derartiger Einschlag einen Kritiker völlig ruinieren kann. Es kommt ganz auf die Art und Weise an, in der das dich¬ erische Element seinem Wesen beigemischt ist. Es kann ihn vornehm, liebenswürdig und ver¬ tändnisvoll, es kann ihn aber auch unglücklich, neiderfüllt und verächtlich machen. Speidel st in dieser — wie übrigens in vielen anderen Beziehungen — ein Glückskind gewesen. Auch er ist „fast" ein Dichter, aber der poetische Einschlag hat sich mit seinem ganzen gesunden Wesen in glücklicher Harmonie vermählt. Was an Poetischen Gehalt in seinem Wesen steckt, st für ihn wie eine verborgene Sonne, die eine Lettern mit Schönheit durchleuchtet. In einigen Feuilletons ist er mehr Dichter als Schriftsteller, und selbst wo er kein Dichter ist und nach der Sachlage auch gar keiner sein darf, fliegt oft noch ein feiner poetischer Schimmer über die Linien. Der Dichter, der in ihm teckt, hat es ihm auch unmöglich gemacht, in die häßliche Manieriertheit zu verfallen, in die onst Feuilletonisten (und nicht zum wenigsten die Wiener Feuilletonisten) im Interesse der

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/102>, abgerufen am 23.07.2024.