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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Über die geistigen Grundlagen der Freimauerei

Über die geistigen Grundlagen der Freimauerei
von Dr. Artur Buchen an

<M! s gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Kulturgeschichte, geistige
Strömungen richtig zu beurteilen und einzuschätzen, die, wie die
Entwicklung der Mystik oder wie die Freimauerei, nicht im vollen
Lichte der Geschichte stehen, sondern gleichsam die Rolle von zweiten
! Treffen in dem Kampfe um die Güter der Kultur spielen. Der
Fernerstehende wird da leicht geneigt sein, sie zu unterschätzen, wer aber als Gegner
mit ihnen aneinandergerät, der wird dem Reize des Versuchs meist nicht zu wider¬
stehen vermögen, diese Bewegungen durch leidenschaftliche Polemik wo nicht gänz¬
lich zu unterdrücken, so doch in den Hintergrund zu drängen, um Raum für die
eigene Anschauung zu gewinnen.

, So ist es erklärlich, daß gerade in den letzten Jahren die Angriffe auf die
Freimauerei einen ungewöhnlichen Umfang angenommen haben, da in unserer
Zeit des Radikalismus sowohl die Hierarchie auf der einen wie die Massendespotie
auf der anderen Seite einen gewaltigen Aufschwung genommen haben. So wenig
erfreulich diese Polemik an und für sich für die auf der Grundlage der Humanität
beruhende Freimauerei ist, so zeigt sich doch darin, daß die Gegner, die Streng-
Kirchlichen sowohl wie die naturwissenschaftlich und sozial materialistisch Denkenden,
in der Gedankenwelt und in der Organisation der Freimauerei einen Machtfaktor
erblicken, dessen Zurückdrängung ihnen von Wert zu sein scheint.

Und darin haben sie ganz recht; denn je eher es den Anhängern der kon¬
fessionellen und der naturalistischen Strömungen gelingt, jeden dritten Machtfaktor
auszuschalten, um so eher können sie hoffen, den Gegner zu überflügeln und so
auch die staatlichen Organe in ihren Dienst zu zwingen. Solange dagegen dieser
dritte geistige Faktor bestehen bleibt, hat der Staat die Möglichkeit, sich freier zu
bewegen und eine einseitige Vorherrschaft des Materialismus oder des Konfessio¬
nalismus zu verhindern. Daß die Freimauerei diesen entscheidenden Machtfaktor
bildet, daß sie gleichsam das "Zünglein an der Wage" ist, weist Ludwig Keller in
seiner glänzend und dabei doch recht einfach und allgemein verständlich geschriebenen
Preisschrift nach").

Die Gegner der Freimauerei Pflegen ihre Einwände dahin zusammenzufassen,
daß hier bloße Geheimniskrämerei, gegenseitige Protektion, Vereinsmeierei und ein
Gefühlsdusel, der sich an harmlosen Symbolen ergötze, die bildenden Elemente
seien, und wenn man den Logen noch weniger freundlich gesinnt ist, so ist auch
wohl die Rede von dem "Kampfe gegen das Christentum", der durch die Frei¬
maurer entfesselt werde. Und doch sollte man wissen, daß es sich hier um eine
Organisation handelt, die seit Jahrhunderten im geistigen Leben der abendländischen
Nationen sehr deutliche Spuren hinterlassen hat, eine Organisation, die sich trotz
heftigster Bekämpfung von außen und schwierigeren Verhältnissen im Inneren
erhalten hat, obwohl sie keinen Zwang kennt, sondern rein auf dem Grundsatze
der freien Vergesellschaftung aufgebaut ist.



Ludwig Keller: "Die geistigen Grundlagen der Freimauerei und das öffentliche Leben."
Jena, Eugen Diederichs,
Über die geistigen Grundlagen der Freimauerei

Über die geistigen Grundlagen der Freimauerei
von Dr. Artur Buchen an

<M! s gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Kulturgeschichte, geistige
Strömungen richtig zu beurteilen und einzuschätzen, die, wie die
Entwicklung der Mystik oder wie die Freimauerei, nicht im vollen
Lichte der Geschichte stehen, sondern gleichsam die Rolle von zweiten
! Treffen in dem Kampfe um die Güter der Kultur spielen. Der
Fernerstehende wird da leicht geneigt sein, sie zu unterschätzen, wer aber als Gegner
mit ihnen aneinandergerät, der wird dem Reize des Versuchs meist nicht zu wider¬
stehen vermögen, diese Bewegungen durch leidenschaftliche Polemik wo nicht gänz¬
lich zu unterdrücken, so doch in den Hintergrund zu drängen, um Raum für die
eigene Anschauung zu gewinnen.

, So ist es erklärlich, daß gerade in den letzten Jahren die Angriffe auf die
Freimauerei einen ungewöhnlichen Umfang angenommen haben, da in unserer
Zeit des Radikalismus sowohl die Hierarchie auf der einen wie die Massendespotie
auf der anderen Seite einen gewaltigen Aufschwung genommen haben. So wenig
erfreulich diese Polemik an und für sich für die auf der Grundlage der Humanität
beruhende Freimauerei ist, so zeigt sich doch darin, daß die Gegner, die Streng-
Kirchlichen sowohl wie die naturwissenschaftlich und sozial materialistisch Denkenden,
in der Gedankenwelt und in der Organisation der Freimauerei einen Machtfaktor
erblicken, dessen Zurückdrängung ihnen von Wert zu sein scheint.

Und darin haben sie ganz recht; denn je eher es den Anhängern der kon¬
fessionellen und der naturalistischen Strömungen gelingt, jeden dritten Machtfaktor
auszuschalten, um so eher können sie hoffen, den Gegner zu überflügeln und so
auch die staatlichen Organe in ihren Dienst zu zwingen. Solange dagegen dieser
dritte geistige Faktor bestehen bleibt, hat der Staat die Möglichkeit, sich freier zu
bewegen und eine einseitige Vorherrschaft des Materialismus oder des Konfessio¬
nalismus zu verhindern. Daß die Freimauerei diesen entscheidenden Machtfaktor
bildet, daß sie gleichsam das „Zünglein an der Wage" ist, weist Ludwig Keller in
seiner glänzend und dabei doch recht einfach und allgemein verständlich geschriebenen
Preisschrift nach").

Die Gegner der Freimauerei Pflegen ihre Einwände dahin zusammenzufassen,
daß hier bloße Geheimniskrämerei, gegenseitige Protektion, Vereinsmeierei und ein
Gefühlsdusel, der sich an harmlosen Symbolen ergötze, die bildenden Elemente
seien, und wenn man den Logen noch weniger freundlich gesinnt ist, so ist auch
wohl die Rede von dem „Kampfe gegen das Christentum", der durch die Frei¬
maurer entfesselt werde. Und doch sollte man wissen, daß es sich hier um eine
Organisation handelt, die seit Jahrhunderten im geistigen Leben der abendländischen
Nationen sehr deutliche Spuren hinterlassen hat, eine Organisation, die sich trotz
heftigster Bekämpfung von außen und schwierigeren Verhältnissen im Inneren
erhalten hat, obwohl sie keinen Zwang kennt, sondern rein auf dem Grundsatze
der freien Vergesellschaftung aufgebaut ist.



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Jena, Eugen Diederichs,
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[0560] Über die geistigen Grundlagen der Freimauerei Über die geistigen Grundlagen der Freimauerei von Dr. Artur Buchen an <M! s gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Kulturgeschichte, geistige Strömungen richtig zu beurteilen und einzuschätzen, die, wie die Entwicklung der Mystik oder wie die Freimauerei, nicht im vollen Lichte der Geschichte stehen, sondern gleichsam die Rolle von zweiten ! Treffen in dem Kampfe um die Güter der Kultur spielen. Der Fernerstehende wird da leicht geneigt sein, sie zu unterschätzen, wer aber als Gegner mit ihnen aneinandergerät, der wird dem Reize des Versuchs meist nicht zu wider¬ stehen vermögen, diese Bewegungen durch leidenschaftliche Polemik wo nicht gänz¬ lich zu unterdrücken, so doch in den Hintergrund zu drängen, um Raum für die eigene Anschauung zu gewinnen. , So ist es erklärlich, daß gerade in den letzten Jahren die Angriffe auf die Freimauerei einen ungewöhnlichen Umfang angenommen haben, da in unserer Zeit des Radikalismus sowohl die Hierarchie auf der einen wie die Massendespotie auf der anderen Seite einen gewaltigen Aufschwung genommen haben. So wenig erfreulich diese Polemik an und für sich für die auf der Grundlage der Humanität beruhende Freimauerei ist, so zeigt sich doch darin, daß die Gegner, die Streng- Kirchlichen sowohl wie die naturwissenschaftlich und sozial materialistisch Denkenden, in der Gedankenwelt und in der Organisation der Freimauerei einen Machtfaktor erblicken, dessen Zurückdrängung ihnen von Wert zu sein scheint. Und darin haben sie ganz recht; denn je eher es den Anhängern der kon¬ fessionellen und der naturalistischen Strömungen gelingt, jeden dritten Machtfaktor auszuschalten, um so eher können sie hoffen, den Gegner zu überflügeln und so auch die staatlichen Organe in ihren Dienst zu zwingen. Solange dagegen dieser dritte geistige Faktor bestehen bleibt, hat der Staat die Möglichkeit, sich freier zu bewegen und eine einseitige Vorherrschaft des Materialismus oder des Konfessio¬ nalismus zu verhindern. Daß die Freimauerei diesen entscheidenden Machtfaktor bildet, daß sie gleichsam das „Zünglein an der Wage" ist, weist Ludwig Keller in seiner glänzend und dabei doch recht einfach und allgemein verständlich geschriebenen Preisschrift nach"). Die Gegner der Freimauerei Pflegen ihre Einwände dahin zusammenzufassen, daß hier bloße Geheimniskrämerei, gegenseitige Protektion, Vereinsmeierei und ein Gefühlsdusel, der sich an harmlosen Symbolen ergötze, die bildenden Elemente seien, und wenn man den Logen noch weniger freundlich gesinnt ist, so ist auch wohl die Rede von dem „Kampfe gegen das Christentum", der durch die Frei¬ maurer entfesselt werde. Und doch sollte man wissen, daß es sich hier um eine Organisation handelt, die seit Jahrhunderten im geistigen Leben der abendländischen Nationen sehr deutliche Spuren hinterlassen hat, eine Organisation, die sich trotz heftigster Bekämpfung von außen und schwierigeren Verhältnissen im Inneren erhalten hat, obwohl sie keinen Zwang kennt, sondern rein auf dem Grundsatze der freien Vergesellschaftung aufgebaut ist. Ludwig Keller: „Die geistigen Grundlagen der Freimauerei und das öffentliche Leben." Jena, Eugen Diederichs,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/560>, abgerufen am 29.12.2024.