Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Italienische Ausstellungsreise Es liegt mir fern, so weit zu gehen, daß ich mit Arthur Borns*) das natur¬ Italienische Ausstellungsreise von Felix Braun Turin Vorabend des Eröffnungstages war die Stadt von unablässig In der Frühe dann war sie plötzlich da. Wer zum Po kam, der sein sanft¬ *) Blätter für Volkskultur vom Is. Januar 1911.
Italienische Ausstellungsreise Es liegt mir fern, so weit zu gehen, daß ich mit Arthur Borns*) das natur¬ Italienische Ausstellungsreise von Felix Braun Turin Vorabend des Eröffnungstages war die Stadt von unablässig In der Frühe dann war sie plötzlich da. Wer zum Po kam, der sein sanft¬ *) Blätter für Volkskultur vom Is. Januar 1911.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319374"/> <fw type="header" place="top"> Italienische Ausstellungsreise</fw><lb/> <p xml:id="ID_2069"> Es liegt mir fern, so weit zu gehen, daß ich mit Arthur Borns*) das natur¬<lb/> wissenschaftliche Denken als das niedrig Wehende ansehe, weil die Erforschung des<lb/> Lebens einer Grille einfacher ist als die des menschlichen Lebens. Von einer<lb/> verschiedenen Wertung der Denkmethoden kann nicht die Rede sein. Aber unsere<lb/> Betrachtung dürfte doch gezeigt haben, daß die Ausdehnung der an der physischen<lb/> Welt gewonnenen Einsichten auf das außerphysische Wesen des Menschen nicht<lb/> ohne Gewaltsamkeiten abgeht, und vor allem nicht, ohne daß Tatsachen und<lb/> Gebiete unberücksichtigt bleiben, die den meisten Menschen und nicht den schlechtesten<lb/> wesentlich erscheinen. Für sie hat Ostwald der wahren Kultur, die nimmermehr<lb/> eine reine Verstandeskultur und niemals kosmopolitisch ist, nichts genommen. Sie<lb/> dürfen, selbst wenn Ostwalds suggestive Wirkung sich auf weite Kreise erstrecken<lb/> sollte, ruhig die Reaktion von der Zeit erwarten, nach Ostwalds eigenem Wort:<lb/> „Was Lichtenberg von der Medizin zu sagen pflegte: Neue Mittel heilen gut, —<lb/> das gilt auch in der Wissenschaft von neuen Theorien. Sie treten stets mit dem<lb/> Anspruch des Allheilmittels auf und werden auch als solche angenommen, bis<lb/> erst später die Ernüchterung folgt."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Italienische Ausstellungsreise<lb/><note type="byline"> von Felix Braun</note></head><lb/> <div n="2"> <head> Turin</head><lb/> <p xml:id="ID_2070"> Vorabend des Eröffnungstages war die Stadt von unablässig<lb/> 1 anfindenden Menschenscharen, stürmenden, läutenden, einherrollenden<lb/> Wagen, Pferdegetrabe und dem Geflatter der Flaggen und Fahnen<lb/> bis ins Abenteuerhafte erregt. Unaufhörlich ergossen sich rauschende<lb/> ^ Menschenzüge vom Bahnhof, von dessen lichtgrauer Fassade zier¬<lb/> licher Fahnenschmuck aufs reizvollste sich abhob, zu den Hotels und von hier,<lb/> entweder zurückgewiesen oder vom Übermaß der Preise abgeschreckt, in die Tiefe<lb/> der Stadt, die still und leer mit regelmäßigen Gassen dalag. Die Hauptstraßen,<lb/> breit, mit geraden Häuserzeilen, in den Farben von lichten, Grün, Gelb oder<lb/> Grau, mit den hellen Frühlingsbäumen und dem freudigen Zeichen der schönen<lb/> Trikolore, ließen, in der Beleuchtung des Abends, eher den Anschein einer fran¬<lb/> zösischen als das Bild einer italienischen Stadt empfinden. Die Ausstellung selbst<lb/> schien dem, der abends und nachts im Strom der Menge diese Straßen durch¬<lb/> schritt, versunken, längst vergessen, nie gewesen zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2071" next="#ID_2072"> In der Frühe dann war sie plötzlich da. Wer zum Po kam, der sein sanft¬<lb/> grünes Gewässer in breitem Bett ohne Laut dahintrieb, konnte fern am jenseitigen<lb/> Ufer eine Stadt aus Schnee gewahren, die im leisen Glanz des Morgenhimmels<lb/> wie eine Spiegelung, wie versperrt hinter zauberhaften Schranken, unbeweglich</p><lb/> <note xml:id="FID_24" place="foot"> *) Blätter für Volkskultur vom Is. Januar 1911.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0427]
Italienische Ausstellungsreise
Es liegt mir fern, so weit zu gehen, daß ich mit Arthur Borns*) das natur¬
wissenschaftliche Denken als das niedrig Wehende ansehe, weil die Erforschung des
Lebens einer Grille einfacher ist als die des menschlichen Lebens. Von einer
verschiedenen Wertung der Denkmethoden kann nicht die Rede sein. Aber unsere
Betrachtung dürfte doch gezeigt haben, daß die Ausdehnung der an der physischen
Welt gewonnenen Einsichten auf das außerphysische Wesen des Menschen nicht
ohne Gewaltsamkeiten abgeht, und vor allem nicht, ohne daß Tatsachen und
Gebiete unberücksichtigt bleiben, die den meisten Menschen und nicht den schlechtesten
wesentlich erscheinen. Für sie hat Ostwald der wahren Kultur, die nimmermehr
eine reine Verstandeskultur und niemals kosmopolitisch ist, nichts genommen. Sie
dürfen, selbst wenn Ostwalds suggestive Wirkung sich auf weite Kreise erstrecken
sollte, ruhig die Reaktion von der Zeit erwarten, nach Ostwalds eigenem Wort:
„Was Lichtenberg von der Medizin zu sagen pflegte: Neue Mittel heilen gut, —
das gilt auch in der Wissenschaft von neuen Theorien. Sie treten stets mit dem
Anspruch des Allheilmittels auf und werden auch als solche angenommen, bis
erst später die Ernüchterung folgt."
Italienische Ausstellungsreise
von Felix Braun
Turin
Vorabend des Eröffnungstages war die Stadt von unablässig
1 anfindenden Menschenscharen, stürmenden, läutenden, einherrollenden
Wagen, Pferdegetrabe und dem Geflatter der Flaggen und Fahnen
bis ins Abenteuerhafte erregt. Unaufhörlich ergossen sich rauschende
^ Menschenzüge vom Bahnhof, von dessen lichtgrauer Fassade zier¬
licher Fahnenschmuck aufs reizvollste sich abhob, zu den Hotels und von hier,
entweder zurückgewiesen oder vom Übermaß der Preise abgeschreckt, in die Tiefe
der Stadt, die still und leer mit regelmäßigen Gassen dalag. Die Hauptstraßen,
breit, mit geraden Häuserzeilen, in den Farben von lichten, Grün, Gelb oder
Grau, mit den hellen Frühlingsbäumen und dem freudigen Zeichen der schönen
Trikolore, ließen, in der Beleuchtung des Abends, eher den Anschein einer fran¬
zösischen als das Bild einer italienischen Stadt empfinden. Die Ausstellung selbst
schien dem, der abends und nachts im Strom der Menge diese Straßen durch¬
schritt, versunken, längst vergessen, nie gewesen zu sein.
In der Frühe dann war sie plötzlich da. Wer zum Po kam, der sein sanft¬
grünes Gewässer in breitem Bett ohne Laut dahintrieb, konnte fern am jenseitigen
Ufer eine Stadt aus Schnee gewahren, die im leisen Glanz des Morgenhimmels
wie eine Spiegelung, wie versperrt hinter zauberhaften Schranken, unbeweglich
*) Blätter für Volkskultur vom Is. Januar 1911.
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