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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Das deutsch-französische Grenzproblem

Das deutsch-französische Grenzproblem
von G, pfannsriel

inen: jeden Gebildeten sind die diplomatischen, militärischen und
parlamentarischen Ereignisse wohl bekannt, deren Ergebnis die
gegenwärtige deutsch-französische Grenzlinie gewesen ist. Nun
gibt es aber viele Millionen von zivilisierten Menschen -- und
"L^^Le zwar nicht nur jenseit des Wasgaues -- die behaupten, diese Grenze
sei nicht die wahre, von der Natur gegebene Völkerscheide zwischen germanischer und
gallischer Rasse. Als solche trage die Mutter Erde auf ihrer Oberfläche eine klipp
und klar gegebene, herrliche Linie, nämlich den Rheinstrom. Man braucht sich nur
mit einem Franzosen oder Altelsässer über die Möglichkeit einer endgültigen
Aussöhnung der beiden beteiligten Nationen zu unterhalten, und man wird bald
genug der Idee von der Rheingrenze begegnen, vorausgesetzt, daß die Ver¬
teidiger derselben von der freundschaftlichen Absicht des Gegners überzeugt sind.
Jener Gedanke beherrscht im Stillen das nationale und historische Gewissen
unserer französischen Nachbarn noch immer mit der zauberischen Kraft des Ruhmes
der republikanischen und napoleonischen Armeen, mit dem er historisch aufs
engste verbunden ist. Ost genug ist er in der Vergangenheit gefährlich geworden,
und er kann es leicht wieder werdenI

Zwar führen die Franzosen auch andere Gründe gegen die Billigkeit der
Versailles-Frankfurter Grenzbestimmung an: daß es früher eine deutsche Nation
im eigentlichen Sinne nicht gegeben habe; daß die linksrheinischen Länder durch
regelrechte, von ganz Europa anerkannte Verträge an Frankreich gekommen seien
und nur durch solche wieder losgetrennt werden dürften; daß die Bewohner der
Reichslande erst durch die große Revolution ein Nationalgefühl, und zwar das
französische, erhalten hätten; daß in einem zivilisierten Staat nur das Plebiszit
über eine Veränderung der Nationalität entscheiden dürfe. Aber diese Gründe
kommen erst in zweiter Linie. Sie setzen allerlei Tüfteleien voraus; es fehlt
ihnen das naive Merkmal des Naturwüchsigen und damit die Wucht des Natur¬
gesetzes, das ewig und unerschütterlich dasteht und jeden Übertreter früher oder
später zermalmt.

Dieser Gedanke, daß die natürliche Beschaffenheit der Erde bei dem Gang
der historischen Ereignisse ein gewichtiges Wort mitzureden habe, ist sehr richtig.
Unser Weltkörper ist nicht tot. Ist doch die schier unendliche Fülle und Mannig¬
faltigkeit der irdischen Lebensformen ein Erzeugnis von Sonnenkraft und Erde.
Es dürfte deshalb lohnend und interessant sein, das Problem der deutsch¬
französischen Grenzlinie einmal von der naturwissenschaftlichen Seite zu beleuchten,
um zu sehen, wieviel an der französischen Auffassung richtig ist und wieviel
als Wahn erscheint.

Zunächst möge ein physikalisches Beispiel das Wesen einer natürlichen
Grenze erläutern. Wenn der Physiker zwei Magnetpole in einiger Entfernung


Das deutsch-französische Grenzproblem

Das deutsch-französische Grenzproblem
von G, pfannsriel

inen: jeden Gebildeten sind die diplomatischen, militärischen und
parlamentarischen Ereignisse wohl bekannt, deren Ergebnis die
gegenwärtige deutsch-französische Grenzlinie gewesen ist. Nun
gibt es aber viele Millionen von zivilisierten Menschen — und
«L^^Le zwar nicht nur jenseit des Wasgaues — die behaupten, diese Grenze
sei nicht die wahre, von der Natur gegebene Völkerscheide zwischen germanischer und
gallischer Rasse. Als solche trage die Mutter Erde auf ihrer Oberfläche eine klipp
und klar gegebene, herrliche Linie, nämlich den Rheinstrom. Man braucht sich nur
mit einem Franzosen oder Altelsässer über die Möglichkeit einer endgültigen
Aussöhnung der beiden beteiligten Nationen zu unterhalten, und man wird bald
genug der Idee von der Rheingrenze begegnen, vorausgesetzt, daß die Ver¬
teidiger derselben von der freundschaftlichen Absicht des Gegners überzeugt sind.
Jener Gedanke beherrscht im Stillen das nationale und historische Gewissen
unserer französischen Nachbarn noch immer mit der zauberischen Kraft des Ruhmes
der republikanischen und napoleonischen Armeen, mit dem er historisch aufs
engste verbunden ist. Ost genug ist er in der Vergangenheit gefährlich geworden,
und er kann es leicht wieder werdenI

Zwar führen die Franzosen auch andere Gründe gegen die Billigkeit der
Versailles-Frankfurter Grenzbestimmung an: daß es früher eine deutsche Nation
im eigentlichen Sinne nicht gegeben habe; daß die linksrheinischen Länder durch
regelrechte, von ganz Europa anerkannte Verträge an Frankreich gekommen seien
und nur durch solche wieder losgetrennt werden dürften; daß die Bewohner der
Reichslande erst durch die große Revolution ein Nationalgefühl, und zwar das
französische, erhalten hätten; daß in einem zivilisierten Staat nur das Plebiszit
über eine Veränderung der Nationalität entscheiden dürfe. Aber diese Gründe
kommen erst in zweiter Linie. Sie setzen allerlei Tüfteleien voraus; es fehlt
ihnen das naive Merkmal des Naturwüchsigen und damit die Wucht des Natur¬
gesetzes, das ewig und unerschütterlich dasteht und jeden Übertreter früher oder
später zermalmt.

Dieser Gedanke, daß die natürliche Beschaffenheit der Erde bei dem Gang
der historischen Ereignisse ein gewichtiges Wort mitzureden habe, ist sehr richtig.
Unser Weltkörper ist nicht tot. Ist doch die schier unendliche Fülle und Mannig¬
faltigkeit der irdischen Lebensformen ein Erzeugnis von Sonnenkraft und Erde.
Es dürfte deshalb lohnend und interessant sein, das Problem der deutsch¬
französischen Grenzlinie einmal von der naturwissenschaftlichen Seite zu beleuchten,
um zu sehen, wieviel an der französischen Auffassung richtig ist und wieviel
als Wahn erscheint.

Zunächst möge ein physikalisches Beispiel das Wesen einer natürlichen
Grenze erläutern. Wenn der Physiker zwei Magnetpole in einiger Entfernung


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[0411] Das deutsch-französische Grenzproblem Das deutsch-französische Grenzproblem von G, pfannsriel inen: jeden Gebildeten sind die diplomatischen, militärischen und parlamentarischen Ereignisse wohl bekannt, deren Ergebnis die gegenwärtige deutsch-französische Grenzlinie gewesen ist. Nun gibt es aber viele Millionen von zivilisierten Menschen — und «L^^Le zwar nicht nur jenseit des Wasgaues — die behaupten, diese Grenze sei nicht die wahre, von der Natur gegebene Völkerscheide zwischen germanischer und gallischer Rasse. Als solche trage die Mutter Erde auf ihrer Oberfläche eine klipp und klar gegebene, herrliche Linie, nämlich den Rheinstrom. Man braucht sich nur mit einem Franzosen oder Altelsässer über die Möglichkeit einer endgültigen Aussöhnung der beiden beteiligten Nationen zu unterhalten, und man wird bald genug der Idee von der Rheingrenze begegnen, vorausgesetzt, daß die Ver¬ teidiger derselben von der freundschaftlichen Absicht des Gegners überzeugt sind. Jener Gedanke beherrscht im Stillen das nationale und historische Gewissen unserer französischen Nachbarn noch immer mit der zauberischen Kraft des Ruhmes der republikanischen und napoleonischen Armeen, mit dem er historisch aufs engste verbunden ist. Ost genug ist er in der Vergangenheit gefährlich geworden, und er kann es leicht wieder werdenI Zwar führen die Franzosen auch andere Gründe gegen die Billigkeit der Versailles-Frankfurter Grenzbestimmung an: daß es früher eine deutsche Nation im eigentlichen Sinne nicht gegeben habe; daß die linksrheinischen Länder durch regelrechte, von ganz Europa anerkannte Verträge an Frankreich gekommen seien und nur durch solche wieder losgetrennt werden dürften; daß die Bewohner der Reichslande erst durch die große Revolution ein Nationalgefühl, und zwar das französische, erhalten hätten; daß in einem zivilisierten Staat nur das Plebiszit über eine Veränderung der Nationalität entscheiden dürfe. Aber diese Gründe kommen erst in zweiter Linie. Sie setzen allerlei Tüfteleien voraus; es fehlt ihnen das naive Merkmal des Naturwüchsigen und damit die Wucht des Natur¬ gesetzes, das ewig und unerschütterlich dasteht und jeden Übertreter früher oder später zermalmt. Dieser Gedanke, daß die natürliche Beschaffenheit der Erde bei dem Gang der historischen Ereignisse ein gewichtiges Wort mitzureden habe, ist sehr richtig. Unser Weltkörper ist nicht tot. Ist doch die schier unendliche Fülle und Mannig¬ faltigkeit der irdischen Lebensformen ein Erzeugnis von Sonnenkraft und Erde. Es dürfte deshalb lohnend und interessant sein, das Problem der deutsch¬ französischen Grenzlinie einmal von der naturwissenschaftlichen Seite zu beleuchten, um zu sehen, wieviel an der französischen Auffassung richtig ist und wieviel als Wahn erscheint. Zunächst möge ein physikalisches Beispiel das Wesen einer natürlichen Grenze erläutern. Wenn der Physiker zwei Magnetpole in einiger Entfernung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/411>, abgerufen am 29.12.2024.