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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

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Auswärtige Politik

Das deutsch-russische Abkommen -- Deutschlands Kampf um die offene Tür -- Stand
der Marokkoberhandlungen -- Stimmungsmache und Presse

Nachdem schon vor einigen Tagen französische und englische Blätter über den
Inhalt der deutsch-russischen Abmachungen, Persien betreffend, aus Petersburg zu
berichten wußten, wurde am Sonntag der Wortlaut des Abkommens in der
Norddeutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Überraschungen hat es nicht
gegeben. Der Vertrag legt nur dasjenige in schriftlicher Form, auch bezüglich
Persiens, fest, was seit Jahren den Inhalt der deutschen Auslandspolitik bildet:
das Prinzip der offenen Tür, für das die deutsche Diplomatie in China, Amerika
und Afrika mit Erfolg eingetreten ist, wird nun noch ein weiteres Mal auch für
Persien schriftlich anerkannt und unterstrichen. Darum bedeutet der Vertrag auch
durchaus keine Neuerung in den Grundlagen der deutsch-russischen Beziehungen
oder für den deutschen Aussuhrhandel- er faßt, wie gesagt, lediglich längst
bestehende Zustände in die Form eines kurzen Vertrages. Darum hat der Vertrag
an sich auch nicht so sehr eine Bedeutung für die handelspolitische Stellung
Deutschlands in Persien, als vielmehr für den weiteren Ausgleich in den diplomatischen
Beziehungen zu Nußland. Es ist bekannt, wie die russische Presse seit Jahren
eifersüchtig alle Schritte verfolgte, die seitens deutscher Kaufleute zur Ausbreitung
des Absatzes deutscher Waren unternommen wurden. Vielfach wurde es so dar-
gestellt, als wolle Deutschland festen Fuß im Kaukasus fassen und dort dem russischen
Einfluß Abbruch tun. Derartige Nachrichten stammten zum größten Teil aus
englischen Quellen, die mit vollem Bewußtsein die persönlichen Beziehungen zu
trüben strebten, die sich zwischen deutschen und russischen Diplomaten nur zu
leicht immer wieder zu knüpfen Pflegen. Bei der Nervosität, die in Rußland
seit zehn Jahren herrscht, wurden derartige Ausstreuungen selbst in amtlichen
Kreisen an der Newa ernster genommen, als sie es verdienten und die
englische Diplomatie vermochte im Trüben zu fischen. Naturgemäß entstand
hieraus um so eher eine Atmosphäre des Mißtrauens als der deutsche Handel
sich tatsächlich und allen Bemühungen des russischen Finanz- bezw. Handels¬
ministers zum Trotz in Persien ausbreitete. So kam es, daß es vor noch gar
nicht langer Zeit und selbst nach dem russisch-japanischen Kriege, den sich Deutsch¬
land doch in keiner Weise zu einem Vorstoß gegen Rußland zunutze gemacht hatte,
kaum möglich war. über persische Dinge in Petersburg zu sprechen, geschweige denn
SU verhandeln. Überall begegnete unsern Konsuln und Diplomaten Mißtrauen.
Dieses Mißtrauen beseitigt zu haben, das ist der wesentlichste Wert des neuen
Vertrages oder richtiger: der Wert der Verhandlungen, die mit dem Vertrage
ihr Ende erreicht haben. Während der Verhandlungen sind selbstverständlich alle
die Vorwürfe, die in Rußland gegen Deutschland erhoben wurden, zur Sprache
gekommen und es ist den deutschen Unterhändlern ein leichtes gewesen nach¬
zuweisen, worin deren Ursachen und Ursprung zu suchen sei. Und das^ scheint
mir das wichtigste Ergebnis der Verhandlungen zu sein. Der persische Schatten
'


Grenzboten III 1911 ^
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Das deutsch-russische Abkommen — Deutschlands Kampf um die offene Tür — Stand
der Marokkoberhandlungen — Stimmungsmache und Presse

Nachdem schon vor einigen Tagen französische und englische Blätter über den
Inhalt der deutsch-russischen Abmachungen, Persien betreffend, aus Petersburg zu
berichten wußten, wurde am Sonntag der Wortlaut des Abkommens in der
Norddeutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Überraschungen hat es nicht
gegeben. Der Vertrag legt nur dasjenige in schriftlicher Form, auch bezüglich
Persiens, fest, was seit Jahren den Inhalt der deutschen Auslandspolitik bildet:
das Prinzip der offenen Tür, für das die deutsche Diplomatie in China, Amerika
und Afrika mit Erfolg eingetreten ist, wird nun noch ein weiteres Mal auch für
Persien schriftlich anerkannt und unterstrichen. Darum bedeutet der Vertrag auch
durchaus keine Neuerung in den Grundlagen der deutsch-russischen Beziehungen
oder für den deutschen Aussuhrhandel- er faßt, wie gesagt, lediglich längst
bestehende Zustände in die Form eines kurzen Vertrages. Darum hat der Vertrag
an sich auch nicht so sehr eine Bedeutung für die handelspolitische Stellung
Deutschlands in Persien, als vielmehr für den weiteren Ausgleich in den diplomatischen
Beziehungen zu Nußland. Es ist bekannt, wie die russische Presse seit Jahren
eifersüchtig alle Schritte verfolgte, die seitens deutscher Kaufleute zur Ausbreitung
des Absatzes deutscher Waren unternommen wurden. Vielfach wurde es so dar-
gestellt, als wolle Deutschland festen Fuß im Kaukasus fassen und dort dem russischen
Einfluß Abbruch tun. Derartige Nachrichten stammten zum größten Teil aus
englischen Quellen, die mit vollem Bewußtsein die persönlichen Beziehungen zu
trüben strebten, die sich zwischen deutschen und russischen Diplomaten nur zu
leicht immer wieder zu knüpfen Pflegen. Bei der Nervosität, die in Rußland
seit zehn Jahren herrscht, wurden derartige Ausstreuungen selbst in amtlichen
Kreisen an der Newa ernster genommen, als sie es verdienten und die
englische Diplomatie vermochte im Trüben zu fischen. Naturgemäß entstand
hieraus um so eher eine Atmosphäre des Mißtrauens als der deutsche Handel
sich tatsächlich und allen Bemühungen des russischen Finanz- bezw. Handels¬
ministers zum Trotz in Persien ausbreitete. So kam es, daß es vor noch gar
nicht langer Zeit und selbst nach dem russisch-japanischen Kriege, den sich Deutsch¬
land doch in keiner Weise zu einem Vorstoß gegen Rußland zunutze gemacht hatte,
kaum möglich war. über persische Dinge in Petersburg zu sprechen, geschweige denn
SU verhandeln. Überall begegnete unsern Konsuln und Diplomaten Mißtrauen.
Dieses Mißtrauen beseitigt zu haben, das ist der wesentlichste Wert des neuen
Vertrages oder richtiger: der Wert der Verhandlungen, die mit dem Vertrage
ihr Ende erreicht haben. Während der Verhandlungen sind selbstverständlich alle
die Vorwürfe, die in Rußland gegen Deutschland erhoben wurden, zur Sprache
gekommen und es ist den deutschen Unterhändlern ein leichtes gewesen nach¬
zuweisen, worin deren Ursachen und Ursprung zu suchen sei. Und das^ scheint
mir das wichtigste Ergebnis der Verhandlungen zu sein. Der persische Schatten
'


Grenzboten III 1911 ^
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[0389] Reichsspiegel Reichsspiegel Auswärtige Politik Das deutsch-russische Abkommen — Deutschlands Kampf um die offene Tür — Stand der Marokkoberhandlungen — Stimmungsmache und Presse Nachdem schon vor einigen Tagen französische und englische Blätter über den Inhalt der deutsch-russischen Abmachungen, Persien betreffend, aus Petersburg zu berichten wußten, wurde am Sonntag der Wortlaut des Abkommens in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Überraschungen hat es nicht gegeben. Der Vertrag legt nur dasjenige in schriftlicher Form, auch bezüglich Persiens, fest, was seit Jahren den Inhalt der deutschen Auslandspolitik bildet: das Prinzip der offenen Tür, für das die deutsche Diplomatie in China, Amerika und Afrika mit Erfolg eingetreten ist, wird nun noch ein weiteres Mal auch für Persien schriftlich anerkannt und unterstrichen. Darum bedeutet der Vertrag auch durchaus keine Neuerung in den Grundlagen der deutsch-russischen Beziehungen oder für den deutschen Aussuhrhandel- er faßt, wie gesagt, lediglich längst bestehende Zustände in die Form eines kurzen Vertrages. Darum hat der Vertrag an sich auch nicht so sehr eine Bedeutung für die handelspolitische Stellung Deutschlands in Persien, als vielmehr für den weiteren Ausgleich in den diplomatischen Beziehungen zu Nußland. Es ist bekannt, wie die russische Presse seit Jahren eifersüchtig alle Schritte verfolgte, die seitens deutscher Kaufleute zur Ausbreitung des Absatzes deutscher Waren unternommen wurden. Vielfach wurde es so dar- gestellt, als wolle Deutschland festen Fuß im Kaukasus fassen und dort dem russischen Einfluß Abbruch tun. Derartige Nachrichten stammten zum größten Teil aus englischen Quellen, die mit vollem Bewußtsein die persönlichen Beziehungen zu trüben strebten, die sich zwischen deutschen und russischen Diplomaten nur zu leicht immer wieder zu knüpfen Pflegen. Bei der Nervosität, die in Rußland seit zehn Jahren herrscht, wurden derartige Ausstreuungen selbst in amtlichen Kreisen an der Newa ernster genommen, als sie es verdienten und die englische Diplomatie vermochte im Trüben zu fischen. Naturgemäß entstand hieraus um so eher eine Atmosphäre des Mißtrauens als der deutsche Handel sich tatsächlich und allen Bemühungen des russischen Finanz- bezw. Handels¬ ministers zum Trotz in Persien ausbreitete. So kam es, daß es vor noch gar nicht langer Zeit und selbst nach dem russisch-japanischen Kriege, den sich Deutsch¬ land doch in keiner Weise zu einem Vorstoß gegen Rußland zunutze gemacht hatte, kaum möglich war. über persische Dinge in Petersburg zu sprechen, geschweige denn SU verhandeln. Überall begegnete unsern Konsuln und Diplomaten Mißtrauen. Dieses Mißtrauen beseitigt zu haben, das ist der wesentlichste Wert des neuen Vertrages oder richtiger: der Wert der Verhandlungen, die mit dem Vertrage ihr Ende erreicht haben. Während der Verhandlungen sind selbstverständlich alle die Vorwürfe, die in Rußland gegen Deutschland erhoben wurden, zur Sprache gekommen und es ist den deutschen Unterhändlern ein leichtes gewesen nach¬ zuweisen, worin deren Ursachen und Ursprung zu suchen sei. Und das^ scheint mir das wichtigste Ergebnis der Verhandlungen zu sein. Der persische Schatten ' Grenzboten III 1911 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/389>, abgerufen am 29.12.2024.