Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Storms Märchen

storms Märchen
Von N)> Müsiner

uns Märchen, eine dramatisierte Märchenszene und einige Gedichte:
Iman ahnt nicht, daß hinter einer so geringen Ernte aus den:
Märchenlande eine unaussprechlich tiefe Sehnsucht stand. Und doch
lebte in Storm jahrzehntelang der heiße Wunsch, Märchen zu
schreiben. Aus den Bekenntnissen seines Lebens erfahren wir,
daß er an aller Märchendichtung der Vergangenheit und Gegenwart das leb¬
hafteste Interesse hatte. Unter seinen Bücherschätzen besaß er eine auserlesene
Anzahl von Märchenautoren, unter denen Volksmärchen, Romantiker, Hauff und
Andersen eine Hauptstelle einnahmen. In seiner Jugend war er selbst eifriger
Märchen- und Sagensammler und legte mit Mommsen und Müllenhof den
Grund zur großen Müllenhofschen Sammlung "Sagen, Märchen und Lieder
der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg". Im Familienkreise las
und erzählte er meisterhaft Märchen, und mancher Freund (Erich Schmidt,
Fontane) durfte ihn in seiner unnachahmlichen Kunst bewundern, durch ein
Märchen, vor allem eine Spukgeschichte, alle seine Zuhörer zu fesseln. Dabei
hatte er ein feines Empfinden für das Echte im Märchenkunstwerk. Nur wenige
Meister bestanden vor seinem Urteil, ja, er fand scharfe Worte, wo er Absicht
und Stimmungsberechnung (wie bei Hackländer) witterte.

Seine eigenen Märchen sind nicht das Produkt eines willkürlichen Interesses.
1849 gelang ihm "Der kleine Häwelmann", zur Belustigung sür seine eigenen
Kinder, im nächsten Jahre "Hinzelmeier". Dann wartete er vierzehn Jahre
lang vergeblich, bis plötzlich, als er schon die Hoffnung aufgegeben hatte, zum
Märchen in ein näheres Verhältnis zu kommen, eine ganze Saat der schönsten
Märchenmotive in ihm aufkeimte. Innerhalb von zwölf Tagen schrieb er in
Heiligenstadt die "Negentrude" im Konzept und in der Reinschrift nieder. Nur
zwei Märchen freilich außer diesem wurden noch fertig. Der Tod nahm ihn?
die geliebte Frau Konstanze; das Ereignis legte sich lähmend auf diese Lichtseite
seiner Muse. Er hat später selbst in dem harten Schicksalsschläge den Grund
für das Versiegen des Märchenquells gesehen. Ob mit Recht? Sicher ist, daß
seine Dichtung durch den Verlust der teueren Lebensgefährtin beeinflußt wurde
Waren aber für den vorzeitigen Abschluß seiner Märchentätigkeit nicht auch
noch andere Ursachen wirksam?

Storm klagt im Vorwort zu seinen Märchen (Sämtliche Werke, Band 2.
Verlag von George Westermann, Braunschweig): "Das Märchen hat seinen
Kredit verloren; es ist die Werkstatt des Dilettantismus geworden, der seine
Pfuscherarbeit mit bunten Bildern überkleistert und in den zahllosen Jugend-
schriften einen lebhaften Markt damit eröffnet; das Wenige, was von echter
Meisterhand in dieser Dichtungsart geleistet ist, verschwindet in diesem Wüste."
Möricke rät gemütlich lächelnd einem kritischen Freunde:


Storms Märchen

storms Märchen
Von N)> Müsiner

uns Märchen, eine dramatisierte Märchenszene und einige Gedichte:
Iman ahnt nicht, daß hinter einer so geringen Ernte aus den:
Märchenlande eine unaussprechlich tiefe Sehnsucht stand. Und doch
lebte in Storm jahrzehntelang der heiße Wunsch, Märchen zu
schreiben. Aus den Bekenntnissen seines Lebens erfahren wir,
daß er an aller Märchendichtung der Vergangenheit und Gegenwart das leb¬
hafteste Interesse hatte. Unter seinen Bücherschätzen besaß er eine auserlesene
Anzahl von Märchenautoren, unter denen Volksmärchen, Romantiker, Hauff und
Andersen eine Hauptstelle einnahmen. In seiner Jugend war er selbst eifriger
Märchen- und Sagensammler und legte mit Mommsen und Müllenhof den
Grund zur großen Müllenhofschen Sammlung „Sagen, Märchen und Lieder
der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg". Im Familienkreise las
und erzählte er meisterhaft Märchen, und mancher Freund (Erich Schmidt,
Fontane) durfte ihn in seiner unnachahmlichen Kunst bewundern, durch ein
Märchen, vor allem eine Spukgeschichte, alle seine Zuhörer zu fesseln. Dabei
hatte er ein feines Empfinden für das Echte im Märchenkunstwerk. Nur wenige
Meister bestanden vor seinem Urteil, ja, er fand scharfe Worte, wo er Absicht
und Stimmungsberechnung (wie bei Hackländer) witterte.

Seine eigenen Märchen sind nicht das Produkt eines willkürlichen Interesses.
1849 gelang ihm „Der kleine Häwelmann", zur Belustigung sür seine eigenen
Kinder, im nächsten Jahre „Hinzelmeier". Dann wartete er vierzehn Jahre
lang vergeblich, bis plötzlich, als er schon die Hoffnung aufgegeben hatte, zum
Märchen in ein näheres Verhältnis zu kommen, eine ganze Saat der schönsten
Märchenmotive in ihm aufkeimte. Innerhalb von zwölf Tagen schrieb er in
Heiligenstadt die „Negentrude" im Konzept und in der Reinschrift nieder. Nur
zwei Märchen freilich außer diesem wurden noch fertig. Der Tod nahm ihn?
die geliebte Frau Konstanze; das Ereignis legte sich lähmend auf diese Lichtseite
seiner Muse. Er hat später selbst in dem harten Schicksalsschläge den Grund
für das Versiegen des Märchenquells gesehen. Ob mit Recht? Sicher ist, daß
seine Dichtung durch den Verlust der teueren Lebensgefährtin beeinflußt wurde
Waren aber für den vorzeitigen Abschluß seiner Märchentätigkeit nicht auch
noch andere Ursachen wirksam?

Storm klagt im Vorwort zu seinen Märchen (Sämtliche Werke, Band 2.
Verlag von George Westermann, Braunschweig): „Das Märchen hat seinen
Kredit verloren; es ist die Werkstatt des Dilettantismus geworden, der seine
Pfuscherarbeit mit bunten Bildern überkleistert und in den zahllosen Jugend-
schriften einen lebhaften Markt damit eröffnet; das Wenige, was von echter
Meisterhand in dieser Dichtungsart geleistet ist, verschwindet in diesem Wüste."
Möricke rät gemütlich lächelnd einem kritischen Freunde:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319215"/>
          <fw type="header" place="top"> Storms Märchen</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> storms Märchen<lb/><note type="byline"> Von N)&gt; Müsiner</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1535"> uns Märchen, eine dramatisierte Märchenszene und einige Gedichte:<lb/>
Iman ahnt nicht, daß hinter einer so geringen Ernte aus den:<lb/>
Märchenlande eine unaussprechlich tiefe Sehnsucht stand. Und doch<lb/>
lebte in Storm jahrzehntelang der heiße Wunsch, Märchen zu<lb/>
schreiben. Aus den Bekenntnissen seines Lebens erfahren wir,<lb/>
daß er an aller Märchendichtung der Vergangenheit und Gegenwart das leb¬<lb/>
hafteste Interesse hatte. Unter seinen Bücherschätzen besaß er eine auserlesene<lb/>
Anzahl von Märchenautoren, unter denen Volksmärchen, Romantiker, Hauff und<lb/>
Andersen eine Hauptstelle einnahmen. In seiner Jugend war er selbst eifriger<lb/>
Märchen- und Sagensammler und legte mit Mommsen und Müllenhof den<lb/>
Grund zur großen Müllenhofschen Sammlung &#x201E;Sagen, Märchen und Lieder<lb/>
der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg". Im Familienkreise las<lb/>
und erzählte er meisterhaft Märchen, und mancher Freund (Erich Schmidt,<lb/>
Fontane) durfte ihn in seiner unnachahmlichen Kunst bewundern, durch ein<lb/>
Märchen, vor allem eine Spukgeschichte, alle seine Zuhörer zu fesseln. Dabei<lb/>
hatte er ein feines Empfinden für das Echte im Märchenkunstwerk. Nur wenige<lb/>
Meister bestanden vor seinem Urteil, ja, er fand scharfe Worte, wo er Absicht<lb/>
und Stimmungsberechnung (wie bei Hackländer) witterte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1536"> Seine eigenen Märchen sind nicht das Produkt eines willkürlichen Interesses.<lb/>
1849 gelang ihm &#x201E;Der kleine Häwelmann", zur Belustigung sür seine eigenen<lb/>
Kinder, im nächsten Jahre &#x201E;Hinzelmeier". Dann wartete er vierzehn Jahre<lb/>
lang vergeblich, bis plötzlich, als er schon die Hoffnung aufgegeben hatte, zum<lb/>
Märchen in ein näheres Verhältnis zu kommen, eine ganze Saat der schönsten<lb/>
Märchenmotive in ihm aufkeimte. Innerhalb von zwölf Tagen schrieb er in<lb/>
Heiligenstadt die &#x201E;Negentrude" im Konzept und in der Reinschrift nieder. Nur<lb/>
zwei Märchen freilich außer diesem wurden noch fertig. Der Tod nahm ihn?<lb/>
die geliebte Frau Konstanze; das Ereignis legte sich lähmend auf diese Lichtseite<lb/>
seiner Muse. Er hat später selbst in dem harten Schicksalsschläge den Grund<lb/>
für das Versiegen des Märchenquells gesehen. Ob mit Recht? Sicher ist, daß<lb/>
seine Dichtung durch den Verlust der teueren Lebensgefährtin beeinflußt wurde<lb/>
Waren aber für den vorzeitigen Abschluß seiner Märchentätigkeit nicht auch<lb/>
noch andere Ursachen wirksam?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1537"> Storm klagt im Vorwort zu seinen Märchen (Sämtliche Werke, Band 2.<lb/>
Verlag von George Westermann, Braunschweig): &#x201E;Das Märchen hat seinen<lb/>
Kredit verloren; es ist die Werkstatt des Dilettantismus geworden, der seine<lb/>
Pfuscherarbeit mit bunten Bildern überkleistert und in den zahllosen Jugend-<lb/>
schriften einen lebhaften Markt damit eröffnet; das Wenige, was von echter<lb/>
Meisterhand in dieser Dichtungsart geleistet ist, verschwindet in diesem Wüste."<lb/>
Möricke rät gemütlich lächelnd einem kritischen Freunde:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0266] Storms Märchen storms Märchen Von N)> Müsiner uns Märchen, eine dramatisierte Märchenszene und einige Gedichte: Iman ahnt nicht, daß hinter einer so geringen Ernte aus den: Märchenlande eine unaussprechlich tiefe Sehnsucht stand. Und doch lebte in Storm jahrzehntelang der heiße Wunsch, Märchen zu schreiben. Aus den Bekenntnissen seines Lebens erfahren wir, daß er an aller Märchendichtung der Vergangenheit und Gegenwart das leb¬ hafteste Interesse hatte. Unter seinen Bücherschätzen besaß er eine auserlesene Anzahl von Märchenautoren, unter denen Volksmärchen, Romantiker, Hauff und Andersen eine Hauptstelle einnahmen. In seiner Jugend war er selbst eifriger Märchen- und Sagensammler und legte mit Mommsen und Müllenhof den Grund zur großen Müllenhofschen Sammlung „Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg". Im Familienkreise las und erzählte er meisterhaft Märchen, und mancher Freund (Erich Schmidt, Fontane) durfte ihn in seiner unnachahmlichen Kunst bewundern, durch ein Märchen, vor allem eine Spukgeschichte, alle seine Zuhörer zu fesseln. Dabei hatte er ein feines Empfinden für das Echte im Märchenkunstwerk. Nur wenige Meister bestanden vor seinem Urteil, ja, er fand scharfe Worte, wo er Absicht und Stimmungsberechnung (wie bei Hackländer) witterte. Seine eigenen Märchen sind nicht das Produkt eines willkürlichen Interesses. 1849 gelang ihm „Der kleine Häwelmann", zur Belustigung sür seine eigenen Kinder, im nächsten Jahre „Hinzelmeier". Dann wartete er vierzehn Jahre lang vergeblich, bis plötzlich, als er schon die Hoffnung aufgegeben hatte, zum Märchen in ein näheres Verhältnis zu kommen, eine ganze Saat der schönsten Märchenmotive in ihm aufkeimte. Innerhalb von zwölf Tagen schrieb er in Heiligenstadt die „Negentrude" im Konzept und in der Reinschrift nieder. Nur zwei Märchen freilich außer diesem wurden noch fertig. Der Tod nahm ihn? die geliebte Frau Konstanze; das Ereignis legte sich lähmend auf diese Lichtseite seiner Muse. Er hat später selbst in dem harten Schicksalsschläge den Grund für das Versiegen des Märchenquells gesehen. Ob mit Recht? Sicher ist, daß seine Dichtung durch den Verlust der teueren Lebensgefährtin beeinflußt wurde Waren aber für den vorzeitigen Abschluß seiner Märchentätigkeit nicht auch noch andere Ursachen wirksam? Storm klagt im Vorwort zu seinen Märchen (Sämtliche Werke, Band 2. Verlag von George Westermann, Braunschweig): „Das Märchen hat seinen Kredit verloren; es ist die Werkstatt des Dilettantismus geworden, der seine Pfuscherarbeit mit bunten Bildern überkleistert und in den zahllosen Jugend- schriften einen lebhaften Markt damit eröffnet; das Wenige, was von echter Meisterhand in dieser Dichtungsart geleistet ist, verschwindet in diesem Wüste." Möricke rät gemütlich lächelnd einem kritischen Freunde:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/266
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/266>, abgerufen am 29.12.2024.