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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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pilatuswandcrungcn im sechzehnten Jahrhundert

bereits vor der Verhandlung bekundet, wie er aus schmutzigem Geiz das Leben
und die Gesundheit seiner Arbeiter aufs Spiel setzte. Morgen fällt er, und
über den Gefallenen schreitet der Siegeszug des Proletariats." Der Redner
mag dabei im besten Glauben, er mag sogar objektiv im Recht sein: die Leiden¬
schaft ist im politischen Kampfe durchaus am Platze, aber eben darum sind es
"Versammlungen aller Art" in der Rechtspflege nicht. Natürlich läßt sich unser
Thema ohne Mühe und nach Belieben variieren. Großindustrielle freilich würden
auf Volksversammlungen wohl verzichten, aber schwerlich auf entsprechende Auf¬
sätze in ihren Zeitungen, wenn ein bisher nicht niederzuzwingender Arbeiterführer
vor Gericht steht. Oder man denke sich eine Volksversammlung, einberufen von
einem antisemitischen Verein am Vorabend eines Prozesses gegen den Bankier
Levy, vom Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens vor der
Hauptverhandlung gegen einen antisemitischen Abgeordneten usw. -- jeder poli¬
tische und konfessionelle Gegensatz kommt hier in Betracht. Erwägt man weiter,
daß solche Versammlungen, wenn Kniemanns Ansicht durchdringt, kommen müssen --
denn eine soziale Gruppe wird schon einmal den Anfang machen, und dann folgt
alles nach --, so wird man wohl sagen: die Verhandlungen vor den Gerichten
sollen öffentlich, aber die Meinungen aller an ihnen Beteiligten sollen privat sein.




pilatuswanderungen im sechzehnten Jahrhundert
von Prof. Dr. Julius pistor

ange bevor sich zur Zeit der Frührenaissance die ersten Spuren
einer lebhaften Empfindung für die romantische Schönheit der
Bergwelt zeigten, waren zahlreiche hohe Gipfel bereits erklommen
worden. Wir kennen die Namen der ersten Besteiger nicht:
Hirten und Jäger, Köhler und Kräutersammler, Kristallsucher
und Schatzgräber und sonst allerlei armes Volk, das in Wald und Feld seiner
kümmerlichen Nahrung nachgeht, mochte schon früh der Zufall oder abergläubische
Neugierde hinauf in die Wildnis der Bergreviere geführt haben. Was diese
Leute Geheimnisvolles dort oben gesehen und erlebt haben wollten, das wurde
dann weiter erzählt und mit allerlei Zutaten ausgeschmückt, und allmählich
schlang sich ein reicher Kranz von Sagen und wunderbaren Geschichten um solche
Örtlichkeiten und erweckte auch in einzelnen geistlichen und weltlichen Herren
das Verlangen, mit eigenen Augen jene Wunder der Höhen zu schauen. Die
Namen dieser Besucher hat uns die Überlieferung hin und wieder aufbewahrt.
So erzählt Matthias v. Keinmal, der Kaplan Friedrichs des Ersten von der Pfalz,


pilatuswandcrungcn im sechzehnten Jahrhundert

bereits vor der Verhandlung bekundet, wie er aus schmutzigem Geiz das Leben
und die Gesundheit seiner Arbeiter aufs Spiel setzte. Morgen fällt er, und
über den Gefallenen schreitet der Siegeszug des Proletariats." Der Redner
mag dabei im besten Glauben, er mag sogar objektiv im Recht sein: die Leiden¬
schaft ist im politischen Kampfe durchaus am Platze, aber eben darum sind es
„Versammlungen aller Art" in der Rechtspflege nicht. Natürlich läßt sich unser
Thema ohne Mühe und nach Belieben variieren. Großindustrielle freilich würden
auf Volksversammlungen wohl verzichten, aber schwerlich auf entsprechende Auf¬
sätze in ihren Zeitungen, wenn ein bisher nicht niederzuzwingender Arbeiterführer
vor Gericht steht. Oder man denke sich eine Volksversammlung, einberufen von
einem antisemitischen Verein am Vorabend eines Prozesses gegen den Bankier
Levy, vom Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens vor der
Hauptverhandlung gegen einen antisemitischen Abgeordneten usw. — jeder poli¬
tische und konfessionelle Gegensatz kommt hier in Betracht. Erwägt man weiter,
daß solche Versammlungen, wenn Kniemanns Ansicht durchdringt, kommen müssen —
denn eine soziale Gruppe wird schon einmal den Anfang machen, und dann folgt
alles nach —, so wird man wohl sagen: die Verhandlungen vor den Gerichten
sollen öffentlich, aber die Meinungen aller an ihnen Beteiligten sollen privat sein.




pilatuswanderungen im sechzehnten Jahrhundert
von Prof. Dr. Julius pistor

ange bevor sich zur Zeit der Frührenaissance die ersten Spuren
einer lebhaften Empfindung für die romantische Schönheit der
Bergwelt zeigten, waren zahlreiche hohe Gipfel bereits erklommen
worden. Wir kennen die Namen der ersten Besteiger nicht:
Hirten und Jäger, Köhler und Kräutersammler, Kristallsucher
und Schatzgräber und sonst allerlei armes Volk, das in Wald und Feld seiner
kümmerlichen Nahrung nachgeht, mochte schon früh der Zufall oder abergläubische
Neugierde hinauf in die Wildnis der Bergreviere geführt haben. Was diese
Leute Geheimnisvolles dort oben gesehen und erlebt haben wollten, das wurde
dann weiter erzählt und mit allerlei Zutaten ausgeschmückt, und allmählich
schlang sich ein reicher Kranz von Sagen und wunderbaren Geschichten um solche
Örtlichkeiten und erweckte auch in einzelnen geistlichen und weltlichen Herren
das Verlangen, mit eigenen Augen jene Wunder der Höhen zu schauen. Die
Namen dieser Besucher hat uns die Überlieferung hin und wieder aufbewahrt.
So erzählt Matthias v. Keinmal, der Kaplan Friedrichs des Ersten von der Pfalz,


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[0226] pilatuswandcrungcn im sechzehnten Jahrhundert bereits vor der Verhandlung bekundet, wie er aus schmutzigem Geiz das Leben und die Gesundheit seiner Arbeiter aufs Spiel setzte. Morgen fällt er, und über den Gefallenen schreitet der Siegeszug des Proletariats." Der Redner mag dabei im besten Glauben, er mag sogar objektiv im Recht sein: die Leiden¬ schaft ist im politischen Kampfe durchaus am Platze, aber eben darum sind es „Versammlungen aller Art" in der Rechtspflege nicht. Natürlich läßt sich unser Thema ohne Mühe und nach Belieben variieren. Großindustrielle freilich würden auf Volksversammlungen wohl verzichten, aber schwerlich auf entsprechende Auf¬ sätze in ihren Zeitungen, wenn ein bisher nicht niederzuzwingender Arbeiterführer vor Gericht steht. Oder man denke sich eine Volksversammlung, einberufen von einem antisemitischen Verein am Vorabend eines Prozesses gegen den Bankier Levy, vom Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens vor der Hauptverhandlung gegen einen antisemitischen Abgeordneten usw. — jeder poli¬ tische und konfessionelle Gegensatz kommt hier in Betracht. Erwägt man weiter, daß solche Versammlungen, wenn Kniemanns Ansicht durchdringt, kommen müssen — denn eine soziale Gruppe wird schon einmal den Anfang machen, und dann folgt alles nach —, so wird man wohl sagen: die Verhandlungen vor den Gerichten sollen öffentlich, aber die Meinungen aller an ihnen Beteiligten sollen privat sein. pilatuswanderungen im sechzehnten Jahrhundert von Prof. Dr. Julius pistor ange bevor sich zur Zeit der Frührenaissance die ersten Spuren einer lebhaften Empfindung für die romantische Schönheit der Bergwelt zeigten, waren zahlreiche hohe Gipfel bereits erklommen worden. Wir kennen die Namen der ersten Besteiger nicht: Hirten und Jäger, Köhler und Kräutersammler, Kristallsucher und Schatzgräber und sonst allerlei armes Volk, das in Wald und Feld seiner kümmerlichen Nahrung nachgeht, mochte schon früh der Zufall oder abergläubische Neugierde hinauf in die Wildnis der Bergreviere geführt haben. Was diese Leute Geheimnisvolles dort oben gesehen und erlebt haben wollten, das wurde dann weiter erzählt und mit allerlei Zutaten ausgeschmückt, und allmählich schlang sich ein reicher Kranz von Sagen und wunderbaren Geschichten um solche Örtlichkeiten und erweckte auch in einzelnen geistlichen und weltlichen Herren das Verlangen, mit eigenen Augen jene Wunder der Höhen zu schauen. Die Namen dieser Besucher hat uns die Überlieferung hin und wieder aufbewahrt. So erzählt Matthias v. Keinmal, der Kaplan Friedrichs des Ersten von der Pfalz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/226>, abgerufen am 29.12.2024.