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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Goethes Religion

Goethes Religion von Orof, Dr. Veto Pniower (Schluss

WH
^^W^Hnß Goethe in Deutschland für einen Heiden, mindestens für
irreligiös galt, wird durch eine Episode bestätigt, die erwähnt
zu werden verdient, weil sie ein unmittelbares Zeugnis von
Goethes religiöser Denkungsart bietet und von neuem seine
milde Toleranz erkennen läßt. Ich meine die vorübergehend
wieder aufgenommene Korrespondenz mit der Gräfin Auguste Stolberg. Man
weiß, daß er diese Schwester seiner Freunde niemals gesehen hat, ihr aber in
der Zeit, da er mit Lili Schönenrann verlobt und sein Herz von den wider¬
streitendsten Empfindungen gequält und zerrissen war, die vertrautesten Briefe
schrieb, Briefe, die mitten aus den: Erlebnis geschöpft, den Zustand seines
Gemütes mit wunderbarer Schärfe widerspiegeln. Diese Briefe sind, wenn
auch in Prosa geschrieben, im Grunde Gedichte. Ohne daß eine künstlerische
Absicht bezweckt ist, wirken sie in der Unmittelbarkeit und Stärke der wechsel¬
vollen Empfindungen, in dem reichen Detail, mit dein der Seelenzustand
unbewußt geschildert ist, durchaus poetisch. Nach der Übersiedlung Goethes nach
Weimar erlahmte sein Eifer, der Freundin zu beichten, nach und nach, und im
Jahre 1782 hörte er überhaupt auf, an sie zu schreiben. Da, nach vierzig Jahren,
nahm die pietistisch gewordene Gräfin den abgerissenen Faden auf und schrieb
an den Dichter, in der naiven Absicht, ihn zu bekehren d.h. ihm Frömmigkeit
im engen kirchlichen Sinne ans Herz zu legen. "Lieber, lieber Goethe," schreibt
sie, "suchen Sie den, der sich so gerne finden läßt. Glauben Sie auch an den,
an den wir unser Leben lang glaubten. . . O ich bitte, ich flehe Sie, lieber
Goethe, abzulassen von allein, was die Welt Kleines, Eitles, Irdisches und
Nichtgutes hat; Ihren Blick und Ihr Herz zum Ewigen zu wenden. Ihnen
ward viel gegeben, viel anvertraut. Wie hat es mich oft geschmerzt, wenn ich
in Ihren Schriften fand, wodurch Sie so leicht anderen Schaden zufügen! O
machen Sie das gut, weil es noch Zeit ist" usw.

Die gute Dame ahnte nicht, wie taktlos sie verfuhr, indem sie mit einigen
Federstrichen das gewaltige, vom Streben nach dem Höchsten erfüllte Lebenswerk
Goethes verdammte.

Goethe antwortete vornehm, rücksichtsvoll, mit olympischer Gelassenheit und
Bescheidenheit, keineswegs im Tone des Gekränkten, sondern eher in dem eines
Mitstrebenden. Und mit einer fast galanten Zartheit deutete er auf deu Ab¬
grund, der zwischen ihren Weltanschauungen gähnte. Auch er sprach vom Ewigen,
aber er nennt das Ewige, nicht den Ewigen. "Lange leben", antwortete er,
"heißt gar vieles überleben: geliebte, gehaßte, gleichgültige Menschen, König¬
reiche, Hauptstädte, ja Wälder und Bäume, die nur jugendlich gesäet und gepflanzt.
Wir überleben uns selbst und erkennen durchaus uoch dankbar, wenn uns auch


Goethes Religion

Goethes Religion von Orof, Dr. Veto Pniower (Schluss

WH
^^W^Hnß Goethe in Deutschland für einen Heiden, mindestens für
irreligiös galt, wird durch eine Episode bestätigt, die erwähnt
zu werden verdient, weil sie ein unmittelbares Zeugnis von
Goethes religiöser Denkungsart bietet und von neuem seine
milde Toleranz erkennen läßt. Ich meine die vorübergehend
wieder aufgenommene Korrespondenz mit der Gräfin Auguste Stolberg. Man
weiß, daß er diese Schwester seiner Freunde niemals gesehen hat, ihr aber in
der Zeit, da er mit Lili Schönenrann verlobt und sein Herz von den wider¬
streitendsten Empfindungen gequält und zerrissen war, die vertrautesten Briefe
schrieb, Briefe, die mitten aus den: Erlebnis geschöpft, den Zustand seines
Gemütes mit wunderbarer Schärfe widerspiegeln. Diese Briefe sind, wenn
auch in Prosa geschrieben, im Grunde Gedichte. Ohne daß eine künstlerische
Absicht bezweckt ist, wirken sie in der Unmittelbarkeit und Stärke der wechsel¬
vollen Empfindungen, in dem reichen Detail, mit dein der Seelenzustand
unbewußt geschildert ist, durchaus poetisch. Nach der Übersiedlung Goethes nach
Weimar erlahmte sein Eifer, der Freundin zu beichten, nach und nach, und im
Jahre 1782 hörte er überhaupt auf, an sie zu schreiben. Da, nach vierzig Jahren,
nahm die pietistisch gewordene Gräfin den abgerissenen Faden auf und schrieb
an den Dichter, in der naiven Absicht, ihn zu bekehren d.h. ihm Frömmigkeit
im engen kirchlichen Sinne ans Herz zu legen. „Lieber, lieber Goethe," schreibt
sie, „suchen Sie den, der sich so gerne finden läßt. Glauben Sie auch an den,
an den wir unser Leben lang glaubten. . . O ich bitte, ich flehe Sie, lieber
Goethe, abzulassen von allein, was die Welt Kleines, Eitles, Irdisches und
Nichtgutes hat; Ihren Blick und Ihr Herz zum Ewigen zu wenden. Ihnen
ward viel gegeben, viel anvertraut. Wie hat es mich oft geschmerzt, wenn ich
in Ihren Schriften fand, wodurch Sie so leicht anderen Schaden zufügen! O
machen Sie das gut, weil es noch Zeit ist" usw.

Die gute Dame ahnte nicht, wie taktlos sie verfuhr, indem sie mit einigen
Federstrichen das gewaltige, vom Streben nach dem Höchsten erfüllte Lebenswerk
Goethes verdammte.

Goethe antwortete vornehm, rücksichtsvoll, mit olympischer Gelassenheit und
Bescheidenheit, keineswegs im Tone des Gekränkten, sondern eher in dem eines
Mitstrebenden. Und mit einer fast galanten Zartheit deutete er auf deu Ab¬
grund, der zwischen ihren Weltanschauungen gähnte. Auch er sprach vom Ewigen,
aber er nennt das Ewige, nicht den Ewigen. „Lange leben", antwortete er,
"heißt gar vieles überleben: geliebte, gehaßte, gleichgültige Menschen, König¬
reiche, Hauptstädte, ja Wälder und Bäume, die nur jugendlich gesäet und gepflanzt.
Wir überleben uns selbst und erkennen durchaus uoch dankbar, wenn uns auch


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[0017] Goethes Religion Goethes Religion von Orof, Dr. Veto Pniower (Schluss WH ^^W^Hnß Goethe in Deutschland für einen Heiden, mindestens für irreligiös galt, wird durch eine Episode bestätigt, die erwähnt zu werden verdient, weil sie ein unmittelbares Zeugnis von Goethes religiöser Denkungsart bietet und von neuem seine milde Toleranz erkennen läßt. Ich meine die vorübergehend wieder aufgenommene Korrespondenz mit der Gräfin Auguste Stolberg. Man weiß, daß er diese Schwester seiner Freunde niemals gesehen hat, ihr aber in der Zeit, da er mit Lili Schönenrann verlobt und sein Herz von den wider¬ streitendsten Empfindungen gequält und zerrissen war, die vertrautesten Briefe schrieb, Briefe, die mitten aus den: Erlebnis geschöpft, den Zustand seines Gemütes mit wunderbarer Schärfe widerspiegeln. Diese Briefe sind, wenn auch in Prosa geschrieben, im Grunde Gedichte. Ohne daß eine künstlerische Absicht bezweckt ist, wirken sie in der Unmittelbarkeit und Stärke der wechsel¬ vollen Empfindungen, in dem reichen Detail, mit dein der Seelenzustand unbewußt geschildert ist, durchaus poetisch. Nach der Übersiedlung Goethes nach Weimar erlahmte sein Eifer, der Freundin zu beichten, nach und nach, und im Jahre 1782 hörte er überhaupt auf, an sie zu schreiben. Da, nach vierzig Jahren, nahm die pietistisch gewordene Gräfin den abgerissenen Faden auf und schrieb an den Dichter, in der naiven Absicht, ihn zu bekehren d.h. ihm Frömmigkeit im engen kirchlichen Sinne ans Herz zu legen. „Lieber, lieber Goethe," schreibt sie, „suchen Sie den, der sich so gerne finden läßt. Glauben Sie auch an den, an den wir unser Leben lang glaubten. . . O ich bitte, ich flehe Sie, lieber Goethe, abzulassen von allein, was die Welt Kleines, Eitles, Irdisches und Nichtgutes hat; Ihren Blick und Ihr Herz zum Ewigen zu wenden. Ihnen ward viel gegeben, viel anvertraut. Wie hat es mich oft geschmerzt, wenn ich in Ihren Schriften fand, wodurch Sie so leicht anderen Schaden zufügen! O machen Sie das gut, weil es noch Zeit ist" usw. Die gute Dame ahnte nicht, wie taktlos sie verfuhr, indem sie mit einigen Federstrichen das gewaltige, vom Streben nach dem Höchsten erfüllte Lebenswerk Goethes verdammte. Goethe antwortete vornehm, rücksichtsvoll, mit olympischer Gelassenheit und Bescheidenheit, keineswegs im Tone des Gekränkten, sondern eher in dem eines Mitstrebenden. Und mit einer fast galanten Zartheit deutete er auf deu Ab¬ grund, der zwischen ihren Weltanschauungen gähnte. Auch er sprach vom Ewigen, aber er nennt das Ewige, nicht den Ewigen. „Lange leben", antwortete er, "heißt gar vieles überleben: geliebte, gehaßte, gleichgültige Menschen, König¬ reiche, Hauptstädte, ja Wälder und Bäume, die nur jugendlich gesäet und gepflanzt. Wir überleben uns selbst und erkennen durchaus uoch dankbar, wenn uns auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/17>, abgerufen am 29.12.2024.