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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Bausteine der chinesischen Kultur

Bausteine der chinesischen Aultur
von lveilcmd Prof. Dr. Wilhelm Grube II.

Ich habe bei der Darstellung des Konfuzianismus mit keiner Silbe die religiösen
Ideen der Chinesen berücksichtigt, aus dem einfachen Grunde, weil die konfuzia¬
nischen Lehren dazu keinen Anlaß boten. Konfuzius selbst geht auf das Gebiet
des Übersinnlichen nicht ein, weil es für ihn eine tsrra incoMita war, die er
nie zu betreten wagte und der er stets mit geflissentlicher Scheu aus dem Wege
ging. Als ihn einmal sein Schüler Tsze-In fragt, wie man den Geistern dienen
solle, gibt er ihm die ausweichende Antwort: "Du weißt noch nicht, wie du
den Menschen dienen sollst, -- wie wolltest du da wissen können, wie man den
Geistern zu dienen habe?" Und in ähnlichem Sinne beantwortet er demselben
Jünger dessen Frage nach dem Tode mit den Worten: "Du kennst das Leben
noch nicht einmal, -- wie wolltest du den Tod kennen?"

Es ist daher wohl geradezu behauptet worden, die konfuzianische Moral
sei eine religionslose Moral; und je nach dem Standpunkt, den der Beurteiler
einnimmt, ist diese Eigentümlichkeit bald für einen Vorzug, bald für einen
Mangel erklärt worden.

Dagegen ist nun zunächst zu sagen, daß diese Auffassung doch nur scheinbar
berechtigt ist, weil sie nur das beachtet, was die Lehren des Konfuzius dem Wort¬
laute nach enthalten, dabei jedoch übersieht, was sie stillschweigend voraussetzen.

Allerdings ist es vollkommen richtig, daß Konfuzius in seinen Lehren und
Aussprüchen sich nie auf die Religion beruft: er redet nie von göttlichen Ge¬
boten und stellt auch für gute und böse Handlungen keine jenseitigen Belohnungen
und Strafen in Aussicht. Dieses Schweigen beweist jedoch nur, daß er sich für
seine Zwecke mit den: Diesseits begnügte, ohne viel nach dem Jenseits zu
fragen, -- nicht aber, daß er damit die Welt des Übersinnlichen und ein Fort¬
leben nach dem Tode leugnen wollte: vielmehr ist das Gegenteil so wahr¬
scheinlich, daß es sogar als sicher angenommen werden darf. Wie ich erwähnte,
ruht bereits die uralte chinesische Auffassung vom Herrscheramte als einem
Mandat des Himmels auf einer religiös-ethischen Grundlage, und da Konfuzius
sich in allem das Altertum zum Vorbilde genommen hatte, so wird wohl auch
ohne weiteres anzunehmen sein, daß er bei den religiösen Anschauungen des
Altertums keine Ausnahme gemacht habe. Daß er so streng an den über¬
lieferten Kultusformen festhielt, beweist vielmehr klar genug dasselbe auch für
den ihnen zugrunde liegenden Glauben. Es fragt sich also nur nocki: worin
bestand der Glaube der alten Chinesen?*)

Eine kodifizierte Sammlung religiöser Urkunden besitzt die chinesische Literatur
nicht, letztere trägt vielmehr einen ausschließlich profanen Charakter. Die einzige



") Genaueres über diesen Gegenstand bei Wilhelm Grube: Religion und Kultus der
Chinesen. Verlag bon Rudolf Haupt, Leipzig 1910. Preis 3 M,
GrenzSoten III 1911 20
Bausteine der chinesischen Kultur

Bausteine der chinesischen Aultur
von lveilcmd Prof. Dr. Wilhelm Grube II.

Ich habe bei der Darstellung des Konfuzianismus mit keiner Silbe die religiösen
Ideen der Chinesen berücksichtigt, aus dem einfachen Grunde, weil die konfuzia¬
nischen Lehren dazu keinen Anlaß boten. Konfuzius selbst geht auf das Gebiet
des Übersinnlichen nicht ein, weil es für ihn eine tsrra incoMita war, die er
nie zu betreten wagte und der er stets mit geflissentlicher Scheu aus dem Wege
ging. Als ihn einmal sein Schüler Tsze-In fragt, wie man den Geistern dienen
solle, gibt er ihm die ausweichende Antwort: „Du weißt noch nicht, wie du
den Menschen dienen sollst, — wie wolltest du da wissen können, wie man den
Geistern zu dienen habe?" Und in ähnlichem Sinne beantwortet er demselben
Jünger dessen Frage nach dem Tode mit den Worten: „Du kennst das Leben
noch nicht einmal, — wie wolltest du den Tod kennen?"

Es ist daher wohl geradezu behauptet worden, die konfuzianische Moral
sei eine religionslose Moral; und je nach dem Standpunkt, den der Beurteiler
einnimmt, ist diese Eigentümlichkeit bald für einen Vorzug, bald für einen
Mangel erklärt worden.

Dagegen ist nun zunächst zu sagen, daß diese Auffassung doch nur scheinbar
berechtigt ist, weil sie nur das beachtet, was die Lehren des Konfuzius dem Wort¬
laute nach enthalten, dabei jedoch übersieht, was sie stillschweigend voraussetzen.

Allerdings ist es vollkommen richtig, daß Konfuzius in seinen Lehren und
Aussprüchen sich nie auf die Religion beruft: er redet nie von göttlichen Ge¬
boten und stellt auch für gute und böse Handlungen keine jenseitigen Belohnungen
und Strafen in Aussicht. Dieses Schweigen beweist jedoch nur, daß er sich für
seine Zwecke mit den: Diesseits begnügte, ohne viel nach dem Jenseits zu
fragen, — nicht aber, daß er damit die Welt des Übersinnlichen und ein Fort¬
leben nach dem Tode leugnen wollte: vielmehr ist das Gegenteil so wahr¬
scheinlich, daß es sogar als sicher angenommen werden darf. Wie ich erwähnte,
ruht bereits die uralte chinesische Auffassung vom Herrscheramte als einem
Mandat des Himmels auf einer religiös-ethischen Grundlage, und da Konfuzius
sich in allem das Altertum zum Vorbilde genommen hatte, so wird wohl auch
ohne weiteres anzunehmen sein, daß er bei den religiösen Anschauungen des
Altertums keine Ausnahme gemacht habe. Daß er so streng an den über¬
lieferten Kultusformen festhielt, beweist vielmehr klar genug dasselbe auch für
den ihnen zugrunde liegenden Glauben. Es fragt sich also nur nocki: worin
bestand der Glaube der alten Chinesen?*)

Eine kodifizierte Sammlung religiöser Urkunden besitzt die chinesische Literatur
nicht, letztere trägt vielmehr einen ausschließlich profanen Charakter. Die einzige



") Genaueres über diesen Gegenstand bei Wilhelm Grube: Religion und Kultus der
Chinesen. Verlag bon Rudolf Haupt, Leipzig 1910. Preis 3 M,
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[0165] Bausteine der chinesischen Kultur Bausteine der chinesischen Aultur von lveilcmd Prof. Dr. Wilhelm Grube II. Ich habe bei der Darstellung des Konfuzianismus mit keiner Silbe die religiösen Ideen der Chinesen berücksichtigt, aus dem einfachen Grunde, weil die konfuzia¬ nischen Lehren dazu keinen Anlaß boten. Konfuzius selbst geht auf das Gebiet des Übersinnlichen nicht ein, weil es für ihn eine tsrra incoMita war, die er nie zu betreten wagte und der er stets mit geflissentlicher Scheu aus dem Wege ging. Als ihn einmal sein Schüler Tsze-In fragt, wie man den Geistern dienen solle, gibt er ihm die ausweichende Antwort: „Du weißt noch nicht, wie du den Menschen dienen sollst, — wie wolltest du da wissen können, wie man den Geistern zu dienen habe?" Und in ähnlichem Sinne beantwortet er demselben Jünger dessen Frage nach dem Tode mit den Worten: „Du kennst das Leben noch nicht einmal, — wie wolltest du den Tod kennen?" Es ist daher wohl geradezu behauptet worden, die konfuzianische Moral sei eine religionslose Moral; und je nach dem Standpunkt, den der Beurteiler einnimmt, ist diese Eigentümlichkeit bald für einen Vorzug, bald für einen Mangel erklärt worden. Dagegen ist nun zunächst zu sagen, daß diese Auffassung doch nur scheinbar berechtigt ist, weil sie nur das beachtet, was die Lehren des Konfuzius dem Wort¬ laute nach enthalten, dabei jedoch übersieht, was sie stillschweigend voraussetzen. Allerdings ist es vollkommen richtig, daß Konfuzius in seinen Lehren und Aussprüchen sich nie auf die Religion beruft: er redet nie von göttlichen Ge¬ boten und stellt auch für gute und böse Handlungen keine jenseitigen Belohnungen und Strafen in Aussicht. Dieses Schweigen beweist jedoch nur, daß er sich für seine Zwecke mit den: Diesseits begnügte, ohne viel nach dem Jenseits zu fragen, — nicht aber, daß er damit die Welt des Übersinnlichen und ein Fort¬ leben nach dem Tode leugnen wollte: vielmehr ist das Gegenteil so wahr¬ scheinlich, daß es sogar als sicher angenommen werden darf. Wie ich erwähnte, ruht bereits die uralte chinesische Auffassung vom Herrscheramte als einem Mandat des Himmels auf einer religiös-ethischen Grundlage, und da Konfuzius sich in allem das Altertum zum Vorbilde genommen hatte, so wird wohl auch ohne weiteres anzunehmen sein, daß er bei den religiösen Anschauungen des Altertums keine Ausnahme gemacht habe. Daß er so streng an den über¬ lieferten Kultusformen festhielt, beweist vielmehr klar genug dasselbe auch für den ihnen zugrunde liegenden Glauben. Es fragt sich also nur nocki: worin bestand der Glaube der alten Chinesen?*) Eine kodifizierte Sammlung religiöser Urkunden besitzt die chinesische Literatur nicht, letztere trägt vielmehr einen ausschließlich profanen Charakter. Die einzige ") Genaueres über diesen Gegenstand bei Wilhelm Grube: Religion und Kultus der Chinesen. Verlag bon Rudolf Haupt, Leipzig 1910. Preis 3 M, GrenzSoten III 1911 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/165>, abgerufen am 29.12.2024.