Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] hinzuweisen, damit diejenigen, die sich Ariminalpädagogik Reforni, Umgestaltung istheute das Losungs¬ Ohne den Wert der Bestrebungen der neuen das Strnfrccht treten, und als solche sind sie Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] hinzuweisen, damit diejenigen, die sich Ariminalpädagogik Reforni, Umgestaltung istheute das Losungs¬ Ohne den Wert der Bestrebungen der neuen das Strnfrccht treten, und als solche sind sie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319095"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1113" prev="#ID_1112"> hinzuweisen, damit diejenigen, die sich<lb/> besserer Sachkunde rühmen können, auf Ab¬<lb/> hilfe sinnen. So habe auch ich mich für<lb/> verpflichtet gehalten, Zustände, die viel Un¬<lb/> heil gestiftet haben und noch größeres stiften<lb/> können, an die Öffentlichkeit zu bringen,<lb/> nicht als Reformator — denn zu dieser<lb/> Rolle fühle ich mich unfähig —, Wohl aber,<lb/> um auf andere einzuwirken, die zum Re¬<lb/> formieren berufen sind.</p> <note type="byline"> Prof. Dr. Gelo secat-</note> </div> <div n="2"> <head> Ariminalpädagogik</head> <p xml:id="ID_1114"> Reforni, Umgestaltung istheute das Losungs¬<lb/> wort, und tausend Hände tasten suchend in die<lb/> Weite von abertausend Möglichkeiten. Wo ein<lb/> Griff geschieht, stiebt es auf: Alles fällt und<lb/> bor uns breitet sich ein Neuland, das ver¬<lb/> spricht — nicht mehr. Neuland — wer kennt<lb/> die menschliche Seele? Täglich hören wir von<lb/> denen, die an der stillen Größe menschlich-<lb/> überindividueller Wertung verbluten. Fremd<lb/> sind sie uns in ihrer Not, die Rechtsbrecher,<lb/> aber durch unsere Zeit geht ein starker Wille<lb/> zu verstehen, und immer weitere Kreise werden<lb/> von ihn: ergriffen. Durch die Entwicklung<lb/> der Jugendgerichte und der Jugendfürsorge<lb/> sind in verstärktem Maße Laien zur Arbeit<lb/> am Verbrecherproblem berufen worden. Da<lb/> ist es gut, wenn sie einen Führer in das Land<lb/> menschlichen Irrens finden. F. W. Foerfter<lb/> weist in seinem Buche „Schuld und Sühne"<lb/> (C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München<lb/> 1911) den Suchenden den Weg. In gemein¬<lb/> verständlicher Weise beleuchtet er den Gegen¬<lb/> satz zwischen den Vertretern des strafrechtlichen<lb/> Sühneprinzips und den Wortführern der mo¬<lb/> dernen Humanität, die bloße Erziehung oder<lb/> Verwahrung des Verbrechers fordern, und<lb/> sucht ihn vom Standpunkt der Pädagogischen<lb/> Psychologie zum Ausgleich zu bringen, indem<lb/> er die Überwindung aller Einseitigkeiten durch<lb/> eine vertiefte Grundanschauung anstrebt.</p> <p xml:id="ID_1115" next="#ID_1116"> Ohne den Wert der Bestrebungen der neuen<lb/> Schule zu verkennen, teiltFoersterdie Meinung<lb/> derer, die jene ganze Reformarbeit für verfehlt<lb/> halten, sofern sie fremde Gesichtspunkte in dus<lb/> Strafrecht hineinträgt. Dieses muß aus seinem<lb/> eigenen Wesen und Geist reformiert werden, die<lb/> vorgeschlagenen „Behandlungen" des Rechts¬<lb/> brechers können als ergänzende Faktoren neben</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1116" prev="#ID_1115" next="#ID_1117"> das Strnfrccht treten, und als solche sind sie<lb/> willkommen zu heißen. Die Notwendigkeit<lb/> der Strafe läßt sich psychologisch folgender¬<lb/> maßen begründen: Nichts ist so sehr geeignet,<lb/> den Fehlbaren über den antisozialen Charakter<lb/> seiner Willensrichtung und seiner Tat auf¬<lb/> zuklären, als eine deutliche Kennzeichnung<lb/> ihres Abstandes von einem System fester, sitt¬<lb/> licher Normen. Die strafrechtliche Beurteilung<lb/> wird zu einem Mittel sittlicher Klärung, Weil<lb/> das Ich a»S seiner beschränkten Sphäre zur<lb/> Erkenntnis einer sozialen Gemeinschaft auf¬<lb/> gerüttelt wird. Wird der pädagogische Wert<lb/> der Strafe verkannt, so geschieht eS deshalb,<lb/> weil auch in der modernen Erziehung un¬<lb/> erbittliche und durchgreifende Forderungen oft<lb/> genug gestrichen werden und über dem Ver¬<lb/> stehen der kindlichen Seele ihr Emporziehen<lb/> zur Höhe der reifen Persönlichkeit in Ver¬<lb/> gessenheit gerät. Erziehen heißt aber nicht<lb/> nur Individualisieren, sondern auch Generali¬<lb/> sieren, d. h. die individuelle Einseitigkeit und<lb/> Impulsivität muß durch den unverrückbaren<lb/> Rechtswillen der sozialen Gemeinschaft ein¬<lb/> gedämmt werden. Die Anwendung fester<lb/> Normen bedeutet überdies stets einen'Appell<lb/> an das „Normale" im Menschen, während<lb/> die Einordnung einer strafbaren Handlung in<lb/> das Gebiet des Krankhaften unter Umständen<lb/> Widerstnndslosigkeit gegen verbrecherische An¬<lb/> triebe suggerieren kann. Schließlich muß man<lb/> sich auch darüber klar werden, daß selbst der<lb/> reife Mensch als Schutz gegen seine Begierden'<lb/> und Leidenschaften gelegentlich objektiv begrün¬<lb/> deter gefühlsbetonter Hemmnngsvorstellungen<lb/> bedarf, wenn auch die Autonomie des sittlichen<lb/> Tuns der zu erstrebende Zustand ist. Die<lb/> Strafe enthält aber neben hemmenden auch<lb/> fördernde Momente: sie vermag das oft zu¬<lb/> tage tretende subjektive Sühnebedürfnis zu<lb/> befriedigen und macht den Menschen Persön¬<lb/> lich, indem sie ihn als Aktivum und nicht<lb/> als Passionen behandelt. Foerfter spricht von<lb/> einem Recht des Rechtsbrechers, dessen Schutz<lb/> als ein Hauptmotiv vieler Grundsätze der<lb/> klassischen Strafrechtsschule bezeichnet werden<lb/> kann, wogegen das verbrecherische Individuum<lb/> unter dein Einfluß einseitig naturwissenschaft¬<lb/> licher Betrachtungsweise jedes Recht verliert:<lb/> der rücksichtslose Egoismus der Gesellschaft<lb/> waltet. schonungslose Ausscheidung nicht</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0146]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
hinzuweisen, damit diejenigen, die sich
besserer Sachkunde rühmen können, auf Ab¬
hilfe sinnen. So habe auch ich mich für
verpflichtet gehalten, Zustände, die viel Un¬
heil gestiftet haben und noch größeres stiften
können, an die Öffentlichkeit zu bringen,
nicht als Reformator — denn zu dieser
Rolle fühle ich mich unfähig —, Wohl aber,
um auf andere einzuwirken, die zum Re¬
formieren berufen sind.
Prof. Dr. Gelo secat- Ariminalpädagogik Reforni, Umgestaltung istheute das Losungs¬
wort, und tausend Hände tasten suchend in die
Weite von abertausend Möglichkeiten. Wo ein
Griff geschieht, stiebt es auf: Alles fällt und
bor uns breitet sich ein Neuland, das ver¬
spricht — nicht mehr. Neuland — wer kennt
die menschliche Seele? Täglich hören wir von
denen, die an der stillen Größe menschlich-
überindividueller Wertung verbluten. Fremd
sind sie uns in ihrer Not, die Rechtsbrecher,
aber durch unsere Zeit geht ein starker Wille
zu verstehen, und immer weitere Kreise werden
von ihn: ergriffen. Durch die Entwicklung
der Jugendgerichte und der Jugendfürsorge
sind in verstärktem Maße Laien zur Arbeit
am Verbrecherproblem berufen worden. Da
ist es gut, wenn sie einen Führer in das Land
menschlichen Irrens finden. F. W. Foerfter
weist in seinem Buche „Schuld und Sühne"
(C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München
1911) den Suchenden den Weg. In gemein¬
verständlicher Weise beleuchtet er den Gegen¬
satz zwischen den Vertretern des strafrechtlichen
Sühneprinzips und den Wortführern der mo¬
dernen Humanität, die bloße Erziehung oder
Verwahrung des Verbrechers fordern, und
sucht ihn vom Standpunkt der Pädagogischen
Psychologie zum Ausgleich zu bringen, indem
er die Überwindung aller Einseitigkeiten durch
eine vertiefte Grundanschauung anstrebt.
Ohne den Wert der Bestrebungen der neuen
Schule zu verkennen, teiltFoersterdie Meinung
derer, die jene ganze Reformarbeit für verfehlt
halten, sofern sie fremde Gesichtspunkte in dus
Strafrecht hineinträgt. Dieses muß aus seinem
eigenen Wesen und Geist reformiert werden, die
vorgeschlagenen „Behandlungen" des Rechts¬
brechers können als ergänzende Faktoren neben
das Strnfrccht treten, und als solche sind sie
willkommen zu heißen. Die Notwendigkeit
der Strafe läßt sich psychologisch folgender¬
maßen begründen: Nichts ist so sehr geeignet,
den Fehlbaren über den antisozialen Charakter
seiner Willensrichtung und seiner Tat auf¬
zuklären, als eine deutliche Kennzeichnung
ihres Abstandes von einem System fester, sitt¬
licher Normen. Die strafrechtliche Beurteilung
wird zu einem Mittel sittlicher Klärung, Weil
das Ich a»S seiner beschränkten Sphäre zur
Erkenntnis einer sozialen Gemeinschaft auf¬
gerüttelt wird. Wird der pädagogische Wert
der Strafe verkannt, so geschieht eS deshalb,
weil auch in der modernen Erziehung un¬
erbittliche und durchgreifende Forderungen oft
genug gestrichen werden und über dem Ver¬
stehen der kindlichen Seele ihr Emporziehen
zur Höhe der reifen Persönlichkeit in Ver¬
gessenheit gerät. Erziehen heißt aber nicht
nur Individualisieren, sondern auch Generali¬
sieren, d. h. die individuelle Einseitigkeit und
Impulsivität muß durch den unverrückbaren
Rechtswillen der sozialen Gemeinschaft ein¬
gedämmt werden. Die Anwendung fester
Normen bedeutet überdies stets einen'Appell
an das „Normale" im Menschen, während
die Einordnung einer strafbaren Handlung in
das Gebiet des Krankhaften unter Umständen
Widerstnndslosigkeit gegen verbrecherische An¬
triebe suggerieren kann. Schließlich muß man
sich auch darüber klar werden, daß selbst der
reife Mensch als Schutz gegen seine Begierden'
und Leidenschaften gelegentlich objektiv begrün¬
deter gefühlsbetonter Hemmnngsvorstellungen
bedarf, wenn auch die Autonomie des sittlichen
Tuns der zu erstrebende Zustand ist. Die
Strafe enthält aber neben hemmenden auch
fördernde Momente: sie vermag das oft zu¬
tage tretende subjektive Sühnebedürfnis zu
befriedigen und macht den Menschen Persön¬
lich, indem sie ihn als Aktivum und nicht
als Passionen behandelt. Foerfter spricht von
einem Recht des Rechtsbrechers, dessen Schutz
als ein Hauptmotiv vieler Grundsätze der
klassischen Strafrechtsschule bezeichnet werden
kann, wogegen das verbrecherische Individuum
unter dein Einfluß einseitig naturwissenschaft¬
licher Betrachtungsweise jedes Recht verliert:
der rücksichtslose Egoismus der Gesellschaft
waltet. schonungslose Ausscheidung nicht
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