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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Lebensvcrteuerung und ihre Bekämpfung

Verwaltung keine Erhöhung erfahren haben! Auch die Schutzzölle begünstigen
hauptsächlich die Industrie, die Landwirtschaft und den Handel.

Gegen den Wunsch, daß der Staat in den wirtschaftlichen Kämpfen seinen
Einfluß zugunsten der Schwachen geltend mache, sind auch grundsätzliche Bedenken
nicht zu erheben, denn schon jetzt greift er auf verschiedene Weise in das
Erwerbsleben seiner Angehörigen ein. Die Gewerbeordnung vertritt zwar den
Grundsatz der Gewerbefreiheit, macht aber zum Schutze des Publikums oder
einzelner Beteiligten den Beginn und Betrieb einer großen Zahl von Gewerben
von staatlicher Genehmigung persönlicher oder sachlicher Art abhängig. Auch
in den Kampf um die Preise greift der Staat schou jetzt unmittelbar ein. So
erläßt er z. B. Taxen für Personen, welche Wagen oder andere Transportmittel
öffentlich zum Gebrauch aufstellen und auf öffentlicher Straße ihre Dienste an¬
bieten, sowie für Apotheker, Ärzte, Bezirksschornsteinfeger, Feldmesser, Auktionatoren
und andere Gewerbetreibende. Mittelbar beeinflußt er die Preise, teils um sie
durch Schutzzölle und andere Maßnahmen (Kali, Diamanten) zum Vorteil der
deutschen Verkäufer auf angemessener Höhe zu erhalten, teils um sie zugunsten
der Verbraucher herabzudrücken.

Zunächst handelt es sich auch nur darum, durch eingehende Untersuchungen
über die Entstehung der Preise der wichtigsten Lebensbedürfnisse festzustellen,
inwieweit eine Teuerung vorliegt und wie sie zu bekämpfen sein würde.

Ausreichende Unterlagen für solche Ermittlungen sind so schwer zu beschaffen
und die Verarbeitung des Stoffes ist so mühsam und zeitraubend, daß -- wie
wir im Gegensatz zu der Schrift über "Die Not des höheren Mittelstandes"
annehmen -- ein privater Verein nicht imstande sein würde, die Aufgabe
gründlich und zugleich mit der notwendigen Beschleunigung zu erledigen. Hierfür
sprechen auch die Erfahrungen des "Vereins für exakte Wirtschaftsführung",
dessen Gründung und Wirken zwar mit großer Genugtuung zu begrüßen sind,
der aber mangels der erforderlichen Zahl von Arbeitskräften in absehbarer Zeit
kaum große Erfolge von praktischer Bedeutung auszuweisen haben wird. Es
bleibt deshalb nur übrig, daß die Negierung selbst sich der Aufgabe unterzieht,
was ihr auch insofern zum Nutzen gereichen würde, als sie durch eingehende
und in bestimmten Zeiträumen wiederholte Ermittlungen über die Preise der
wichtigsten Waren sicherer als auf den bisherigen amtlichen Wegen die für sie
unentbehrliche genaue Kenntnis von den wirtschaftlichen Verhältnissen der ver¬
schiedenen Klassen der Bevölkerung erlangen würde. In Preußen wäre das
Statistische Landesamt mit der Sammlung und Verarbeitung des Stoffes zu
betrauen, wodurch von vornherein eine sachgemäße und zuverlässige Ausführung
gewährleistet würde. Die an diese Feststellungen über die Preisbildung anzu¬
schließenden Untersuchungen über die Ermäßigung der Erzeugungskosten und der
Verkaufspreise hätten aber die Zentralbehörden (in Preußen die zuständigen Ministe¬
rien sür Landwirtschaft, der öffentlichen Arbeiten und für Handel und Gewerbe)
selbst in die Hand zu nehmen oder wenigstens zu leiten. Ihnen stehen in den


Die Lebensvcrteuerung und ihre Bekämpfung

Verwaltung keine Erhöhung erfahren haben! Auch die Schutzzölle begünstigen
hauptsächlich die Industrie, die Landwirtschaft und den Handel.

Gegen den Wunsch, daß der Staat in den wirtschaftlichen Kämpfen seinen
Einfluß zugunsten der Schwachen geltend mache, sind auch grundsätzliche Bedenken
nicht zu erheben, denn schon jetzt greift er auf verschiedene Weise in das
Erwerbsleben seiner Angehörigen ein. Die Gewerbeordnung vertritt zwar den
Grundsatz der Gewerbefreiheit, macht aber zum Schutze des Publikums oder
einzelner Beteiligten den Beginn und Betrieb einer großen Zahl von Gewerben
von staatlicher Genehmigung persönlicher oder sachlicher Art abhängig. Auch
in den Kampf um die Preise greift der Staat schou jetzt unmittelbar ein. So
erläßt er z. B. Taxen für Personen, welche Wagen oder andere Transportmittel
öffentlich zum Gebrauch aufstellen und auf öffentlicher Straße ihre Dienste an¬
bieten, sowie für Apotheker, Ärzte, Bezirksschornsteinfeger, Feldmesser, Auktionatoren
und andere Gewerbetreibende. Mittelbar beeinflußt er die Preise, teils um sie
durch Schutzzölle und andere Maßnahmen (Kali, Diamanten) zum Vorteil der
deutschen Verkäufer auf angemessener Höhe zu erhalten, teils um sie zugunsten
der Verbraucher herabzudrücken.

Zunächst handelt es sich auch nur darum, durch eingehende Untersuchungen
über die Entstehung der Preise der wichtigsten Lebensbedürfnisse festzustellen,
inwieweit eine Teuerung vorliegt und wie sie zu bekämpfen sein würde.

Ausreichende Unterlagen für solche Ermittlungen sind so schwer zu beschaffen
und die Verarbeitung des Stoffes ist so mühsam und zeitraubend, daß — wie
wir im Gegensatz zu der Schrift über „Die Not des höheren Mittelstandes"
annehmen — ein privater Verein nicht imstande sein würde, die Aufgabe
gründlich und zugleich mit der notwendigen Beschleunigung zu erledigen. Hierfür
sprechen auch die Erfahrungen des „Vereins für exakte Wirtschaftsführung",
dessen Gründung und Wirken zwar mit großer Genugtuung zu begrüßen sind,
der aber mangels der erforderlichen Zahl von Arbeitskräften in absehbarer Zeit
kaum große Erfolge von praktischer Bedeutung auszuweisen haben wird. Es
bleibt deshalb nur übrig, daß die Negierung selbst sich der Aufgabe unterzieht,
was ihr auch insofern zum Nutzen gereichen würde, als sie durch eingehende
und in bestimmten Zeiträumen wiederholte Ermittlungen über die Preise der
wichtigsten Waren sicherer als auf den bisherigen amtlichen Wegen die für sie
unentbehrliche genaue Kenntnis von den wirtschaftlichen Verhältnissen der ver¬
schiedenen Klassen der Bevölkerung erlangen würde. In Preußen wäre das
Statistische Landesamt mit der Sammlung und Verarbeitung des Stoffes zu
betrauen, wodurch von vornherein eine sachgemäße und zuverlässige Ausführung
gewährleistet würde. Die an diese Feststellungen über die Preisbildung anzu¬
schließenden Untersuchungen über die Ermäßigung der Erzeugungskosten und der
Verkaufspreise hätten aber die Zentralbehörden (in Preußen die zuständigen Ministe¬
rien sür Landwirtschaft, der öffentlichen Arbeiten und für Handel und Gewerbe)
selbst in die Hand zu nehmen oder wenigstens zu leiten. Ihnen stehen in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/113>, abgerufen am 09.01.2025.