Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Fritz Anders Ein Vierteljahrhundert später mußte ich als Mitglied der "Grenzboten"- Ein paar Jahre später lernte ich den verehrten Mann persönlich kennen -- Merkwürdiger noch erschien mir, wie genau dieser Landpfarrer, der doch Fritz Anders Ein Vierteljahrhundert später mußte ich als Mitglied der „Grenzboten"- Ein paar Jahre später lernte ich den verehrten Mann persönlich kennen — Merkwürdiger noch erschien mir, wie genau dieser Landpfarrer, der doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318371"/> <fw type="header" place="top"> Fritz Anders</fw><lb/> <p xml:id="ID_386"> Ein Vierteljahrhundert später mußte ich als Mitglied der „Grenzboten"-<lb/> Redaktion die Korrespondenz mit den Mitarbeitern führen. Damals erschienen in<lb/> den grünen Heften noch die bekannten „Skizzen aus dem deutschen Volksleben",<lb/> deren Verfasser sich Fritz Anders nannte, aber in Wirklichkeit Max Allihn hieß<lb/> und irgendwo in einem Dorfe bei Halberstadt Pastor war. Ja — wo nur gleich?<lb/> Ich sah im „Kürschner" nach und fand die Adresse: Athenstedt bei Heudeber.<lb/> Athenstedt! In dieser Ortsbezeichnung schien mir ein tieferer Sinn zu liegen. Die<lb/> beiden ersten Silben mahnten an die Stadt der Pallas Athene, an die Hochburg<lb/> der Gelehrsamkeit und der philosophischen Weltbetrachtung, und die letzte Silbe,<lb/> das —stete? Das klang so gemütlich urdeutsch, so spezifisch „harzisch" und weckte<lb/> zugleich eine leise Erinnerung an Schöppenstedt und kleinstädtisches Philistertum.<lb/> Wahrhaftig: das war der rechte Wohnsitz für einen Mann, der mit einem<lb/> ungewöhnlich universellen Wissen das attische Salz eines überlegenen Humors<lb/> verband, und der auf der Suche nach Menschen das Licht seiner Diogeneslaterne<lb/> in die entlegensten Winkel deutscher Gassen, Häuser und Seelen fallen ließt Und<lb/> als ich nun die Liste seiner Bücher las, da stieß ich auch auf den Titel „Der<lb/> junge Gcnercilstab im Harz". Meine Freude über dieses Wiederfinden war groß<lb/> und nachhaltig, und der Brief, den ich an Max Allihn zu schreiben hatte, bekam<lb/> eine wärmere Note, die der Adressat nicht unbeachtet ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_387"> Ein paar Jahre später lernte ich den verehrten Mann persönlich kennen —<lb/> bei Johannes Grunows Begräbnis, wo er im Namen der „Grenzboten"-Mitarbeiter<lb/> und zugleich als einer der ältesten Freunde des Hauses Grunow am Sarge des<lb/> Dahingegangenen redete. Das Äußere Allihns entsprach vollkommen dem Bilde,<lb/> das ich mir von ihm gemacht hatte. Den Geistlichen verleugnete er nicht, aber<lb/> der Zwiespalt seines Wesens — wenn die Verbindung von tiefgründigen Wissen<lb/> und aristophanischem Sarkasmus so genannt werden barst — sprach sich in seinem<lb/> Antlitz aus. Eine hohe, schön gewölbte Stirn, kluge, kühlblickende Augen, deren<lb/> kritisch beobachtender Ausdruck durch die Gläser der Brille eher noch hervor¬<lb/> gehoben als gemildert wurde, und dazu ein Mund, dein man die Spottlust auf<lb/> den ersten Blick ansah. Bei dem Zusammensein, das der Trauerfeierlichkeit folgte,<lb/> kam ich mit Allihn in etwas nähere Berührung. Ich hatte dabei den Eindruck,<lb/> daß er nicht zu den milden, alles verzeihender Naturen gehörte. Seine Ansichten<lb/> verfocht er mit Temperament, ja mit einer gewissen Schärfe. In den Kämpfen<lb/> der Reformationszeit würde er seinen Mann gestellt haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_388" next="#ID_389"> Merkwürdiger noch erschien mir, wie genau dieser Landpfarrer, der doch<lb/> schon seit 1885 in dem entlegenen Dorfe lebte, mit dem Getriebe der großen Welt,<lb/> mit dem Stande der wissenschaftlichen Forschung und besonders mit den neuesten<lb/> Errungenschaften der Technik vertraut war. Dabei zeigte sich der Fünfundsechzig-<lb/> jährige als ein durch und durch moderner Mensch und keineswegs als ein I^natator<lb/> temporiL ÄLti. Seine geistige Beweglichkeit, sein wunderbares Gedächtnis und<lb/> eine bei Gelehrten sonst ungewöhnliche manuelle Geschicklichkeit brachten es mit<lb/> sich, daß ihm die Betätigung auf einem einzigen Gebiete nicht genügte. Er war<lb/> der geborene Erfinder, den es reizte, die theoretische Erkenntnis der Praxis dienstbar<lb/> zu machen. In einer eigenen Werkstatt beschäftigte er sich aus Liebhaberei mit<lb/> dem Orgelbau, und nach dem Urteile der Fachmänner hat er hier Hervorragendes<lb/> geleistet und, was das Wichtigste ist, seine Erfindungen ohne weiteres der All-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
Fritz Anders
Ein Vierteljahrhundert später mußte ich als Mitglied der „Grenzboten"-
Redaktion die Korrespondenz mit den Mitarbeitern führen. Damals erschienen in
den grünen Heften noch die bekannten „Skizzen aus dem deutschen Volksleben",
deren Verfasser sich Fritz Anders nannte, aber in Wirklichkeit Max Allihn hieß
und irgendwo in einem Dorfe bei Halberstadt Pastor war. Ja — wo nur gleich?
Ich sah im „Kürschner" nach und fand die Adresse: Athenstedt bei Heudeber.
Athenstedt! In dieser Ortsbezeichnung schien mir ein tieferer Sinn zu liegen. Die
beiden ersten Silben mahnten an die Stadt der Pallas Athene, an die Hochburg
der Gelehrsamkeit und der philosophischen Weltbetrachtung, und die letzte Silbe,
das —stete? Das klang so gemütlich urdeutsch, so spezifisch „harzisch" und weckte
zugleich eine leise Erinnerung an Schöppenstedt und kleinstädtisches Philistertum.
Wahrhaftig: das war der rechte Wohnsitz für einen Mann, der mit einem
ungewöhnlich universellen Wissen das attische Salz eines überlegenen Humors
verband, und der auf der Suche nach Menschen das Licht seiner Diogeneslaterne
in die entlegensten Winkel deutscher Gassen, Häuser und Seelen fallen ließt Und
als ich nun die Liste seiner Bücher las, da stieß ich auch auf den Titel „Der
junge Gcnercilstab im Harz". Meine Freude über dieses Wiederfinden war groß
und nachhaltig, und der Brief, den ich an Max Allihn zu schreiben hatte, bekam
eine wärmere Note, die der Adressat nicht unbeachtet ließ.
Ein paar Jahre später lernte ich den verehrten Mann persönlich kennen —
bei Johannes Grunows Begräbnis, wo er im Namen der „Grenzboten"-Mitarbeiter
und zugleich als einer der ältesten Freunde des Hauses Grunow am Sarge des
Dahingegangenen redete. Das Äußere Allihns entsprach vollkommen dem Bilde,
das ich mir von ihm gemacht hatte. Den Geistlichen verleugnete er nicht, aber
der Zwiespalt seines Wesens — wenn die Verbindung von tiefgründigen Wissen
und aristophanischem Sarkasmus so genannt werden barst — sprach sich in seinem
Antlitz aus. Eine hohe, schön gewölbte Stirn, kluge, kühlblickende Augen, deren
kritisch beobachtender Ausdruck durch die Gläser der Brille eher noch hervor¬
gehoben als gemildert wurde, und dazu ein Mund, dein man die Spottlust auf
den ersten Blick ansah. Bei dem Zusammensein, das der Trauerfeierlichkeit folgte,
kam ich mit Allihn in etwas nähere Berührung. Ich hatte dabei den Eindruck,
daß er nicht zu den milden, alles verzeihender Naturen gehörte. Seine Ansichten
verfocht er mit Temperament, ja mit einer gewissen Schärfe. In den Kämpfen
der Reformationszeit würde er seinen Mann gestellt haben.
Merkwürdiger noch erschien mir, wie genau dieser Landpfarrer, der doch
schon seit 1885 in dem entlegenen Dorfe lebte, mit dem Getriebe der großen Welt,
mit dem Stande der wissenschaftlichen Forschung und besonders mit den neuesten
Errungenschaften der Technik vertraut war. Dabei zeigte sich der Fünfundsechzig-
jährige als ein durch und durch moderner Mensch und keineswegs als ein I^natator
temporiL ÄLti. Seine geistige Beweglichkeit, sein wunderbares Gedächtnis und
eine bei Gelehrten sonst ungewöhnliche manuelle Geschicklichkeit brachten es mit
sich, daß ihm die Betätigung auf einem einzigen Gebiete nicht genügte. Er war
der geborene Erfinder, den es reizte, die theoretische Erkenntnis der Praxis dienstbar
zu machen. In einer eigenen Werkstatt beschäftigte er sich aus Liebhaberei mit
dem Orgelbau, und nach dem Urteile der Fachmänner hat er hier Hervorragendes
geleistet und, was das Wichtigste ist, seine Erfindungen ohne weiteres der All-
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