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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Naturcrkenntnis und Weltanschauung

ich darauf weiter eingehen will. Es läßt sich sogar überzeugend dartun, daß
nicht das besser entwickelte Gehirn den Menschen macht, sondern der Mensch sein
Gehirn so vervollkommnet, weil er mit einem selbstbewußten Willen begabt ist.

Der zweite Weg betrachtet das Psychische als etwas Gegebenes, das in
Gestalt des Empfindungsvermögens eine der lebenden Substanz ganz allgemein
zukommende Eigenschaft vorstellt. Ganz abgesehen davon, daß uns dadurch
über das Wesen des Seelischen nichts gesagt wird, erklärt die Hypothese
ebensowenig, wie die andere, den handgreiflichen Unterschied zwischen dem
seiner selbst bewußten, mit einem Willen begabten Menschen und dem
unvernünftigen Tier.

Der Grund, weshalb ich auf diese Dinge nicht näher einzugehen brauche,
ist aber der, daß wir es hier überhaupt nicht mehr mit Naturwissenschaft zu
tun haben, sondern mit naturphilosophischen Spekulationen. Was den Forschungs¬
ergebnissen der Naturwissenschaft ihr wohlverdientes Ansehen verleiht, ist ja doch
der Umstand, daß sie durch ein ganz unparteiisches, rein induktives Vorgehen
gewonnen sind. Wohl muß die Naturwissenschaft mit Hypothesen arbeiten, um
Zusammenhänge begreiflich zu machen, die noch nicht Kar zu durchschauen sind.
Sie muß aber daran festhalten, daß Hypothesen nur so lange einen Wert haben,
als sie wirklich geeignet sind, Tatsachen zu erklären. Auf dem von uns betrach¬
teten Gebiete mechanischer Weltanschauung aber ist man umgekehrt nicht davor
zurückgeschreckt, vielfach den Tatsachen Zwang anzutun, um die vorgefaßte
Meinung zu stützen. Es muß also ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß
solche Hypothesen, auch wenn sie aus dem Munde bedeutender Naturforscher
kommen, um nichts mehr bewiesen sind als philosophische Spekulationen über¬
haupt, d. h. sie sind, hart ausgedrückt, im wesentlichen Geschmacks- und
Glaubenssache.

Fragen wir uns nun rückblickend, was die gesteigerte Erkenntnis der Natur
uns für unsere Weltanschauung gebracht hat, so finden wir, daß sie die eine
Frage, die nach der Stellung des Menschen in der Welt, nur zum Teil beant¬
wortet hat. Sie hat ihn zwar räumlich aus dem Mittelpunkt der Welt hinweg¬
gerückt, sie hat seine körperliche Verwandtschaft mit den Tieren wenn auch nicht
bewiesen, so doch wahrscheinlich gemacht. Sie konnte uns aber nichts sagen
über die Hauptsache, warum der Mensch ein Mensch ist, durch Vernunft und
Willen hoch hinausgehoben über alles, was da kreucht und fleucht.

Ebenso steht es mit der anderen Frage, der nach dem Wesen der Welt.
Wohl hat die Naturerkenntnis mit dem Chaos aufgeräumt, als welches mittel¬
alterlichen Aberglauben die Welt erschien, hat uns die großen Gesetze gezeigt,
denen die größten wie die kleinsten Dinge, der Himmelskörper wie das Wasser¬
stoffatom gehorchen müssen, und so hat Weismann recht, wenn er sagt, die
Natur biete keinen Raum für die Launen eines Gottes. Aber Launenhaftigkeit
ist wohl auch das letzte, was wir mit dem Begriff Gott verbinden. Und wenn
es schon ein Zeichen von der Tätigkeit der Menschenhand ist, daß Ordnung in


Naturcrkenntnis und Weltanschauung

ich darauf weiter eingehen will. Es läßt sich sogar überzeugend dartun, daß
nicht das besser entwickelte Gehirn den Menschen macht, sondern der Mensch sein
Gehirn so vervollkommnet, weil er mit einem selbstbewußten Willen begabt ist.

Der zweite Weg betrachtet das Psychische als etwas Gegebenes, das in
Gestalt des Empfindungsvermögens eine der lebenden Substanz ganz allgemein
zukommende Eigenschaft vorstellt. Ganz abgesehen davon, daß uns dadurch
über das Wesen des Seelischen nichts gesagt wird, erklärt die Hypothese
ebensowenig, wie die andere, den handgreiflichen Unterschied zwischen dem
seiner selbst bewußten, mit einem Willen begabten Menschen und dem
unvernünftigen Tier.

Der Grund, weshalb ich auf diese Dinge nicht näher einzugehen brauche,
ist aber der, daß wir es hier überhaupt nicht mehr mit Naturwissenschaft zu
tun haben, sondern mit naturphilosophischen Spekulationen. Was den Forschungs¬
ergebnissen der Naturwissenschaft ihr wohlverdientes Ansehen verleiht, ist ja doch
der Umstand, daß sie durch ein ganz unparteiisches, rein induktives Vorgehen
gewonnen sind. Wohl muß die Naturwissenschaft mit Hypothesen arbeiten, um
Zusammenhänge begreiflich zu machen, die noch nicht Kar zu durchschauen sind.
Sie muß aber daran festhalten, daß Hypothesen nur so lange einen Wert haben,
als sie wirklich geeignet sind, Tatsachen zu erklären. Auf dem von uns betrach¬
teten Gebiete mechanischer Weltanschauung aber ist man umgekehrt nicht davor
zurückgeschreckt, vielfach den Tatsachen Zwang anzutun, um die vorgefaßte
Meinung zu stützen. Es muß also ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß
solche Hypothesen, auch wenn sie aus dem Munde bedeutender Naturforscher
kommen, um nichts mehr bewiesen sind als philosophische Spekulationen über¬
haupt, d. h. sie sind, hart ausgedrückt, im wesentlichen Geschmacks- und
Glaubenssache.

Fragen wir uns nun rückblickend, was die gesteigerte Erkenntnis der Natur
uns für unsere Weltanschauung gebracht hat, so finden wir, daß sie die eine
Frage, die nach der Stellung des Menschen in der Welt, nur zum Teil beant¬
wortet hat. Sie hat ihn zwar räumlich aus dem Mittelpunkt der Welt hinweg¬
gerückt, sie hat seine körperliche Verwandtschaft mit den Tieren wenn auch nicht
bewiesen, so doch wahrscheinlich gemacht. Sie konnte uns aber nichts sagen
über die Hauptsache, warum der Mensch ein Mensch ist, durch Vernunft und
Willen hoch hinausgehoben über alles, was da kreucht und fleucht.

Ebenso steht es mit der anderen Frage, der nach dem Wesen der Welt.
Wohl hat die Naturerkenntnis mit dem Chaos aufgeräumt, als welches mittel¬
alterlichen Aberglauben die Welt erschien, hat uns die großen Gesetze gezeigt,
denen die größten wie die kleinsten Dinge, der Himmelskörper wie das Wasser¬
stoffatom gehorchen müssen, und so hat Weismann recht, wenn er sagt, die
Natur biete keinen Raum für die Launen eines Gottes. Aber Launenhaftigkeit
ist wohl auch das letzte, was wir mit dem Begriff Gott verbinden. Und wenn
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[0079] Naturcrkenntnis und Weltanschauung ich darauf weiter eingehen will. Es läßt sich sogar überzeugend dartun, daß nicht das besser entwickelte Gehirn den Menschen macht, sondern der Mensch sein Gehirn so vervollkommnet, weil er mit einem selbstbewußten Willen begabt ist. Der zweite Weg betrachtet das Psychische als etwas Gegebenes, das in Gestalt des Empfindungsvermögens eine der lebenden Substanz ganz allgemein zukommende Eigenschaft vorstellt. Ganz abgesehen davon, daß uns dadurch über das Wesen des Seelischen nichts gesagt wird, erklärt die Hypothese ebensowenig, wie die andere, den handgreiflichen Unterschied zwischen dem seiner selbst bewußten, mit einem Willen begabten Menschen und dem unvernünftigen Tier. Der Grund, weshalb ich auf diese Dinge nicht näher einzugehen brauche, ist aber der, daß wir es hier überhaupt nicht mehr mit Naturwissenschaft zu tun haben, sondern mit naturphilosophischen Spekulationen. Was den Forschungs¬ ergebnissen der Naturwissenschaft ihr wohlverdientes Ansehen verleiht, ist ja doch der Umstand, daß sie durch ein ganz unparteiisches, rein induktives Vorgehen gewonnen sind. Wohl muß die Naturwissenschaft mit Hypothesen arbeiten, um Zusammenhänge begreiflich zu machen, die noch nicht Kar zu durchschauen sind. Sie muß aber daran festhalten, daß Hypothesen nur so lange einen Wert haben, als sie wirklich geeignet sind, Tatsachen zu erklären. Auf dem von uns betrach¬ teten Gebiete mechanischer Weltanschauung aber ist man umgekehrt nicht davor zurückgeschreckt, vielfach den Tatsachen Zwang anzutun, um die vorgefaßte Meinung zu stützen. Es muß also ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß solche Hypothesen, auch wenn sie aus dem Munde bedeutender Naturforscher kommen, um nichts mehr bewiesen sind als philosophische Spekulationen über¬ haupt, d. h. sie sind, hart ausgedrückt, im wesentlichen Geschmacks- und Glaubenssache. Fragen wir uns nun rückblickend, was die gesteigerte Erkenntnis der Natur uns für unsere Weltanschauung gebracht hat, so finden wir, daß sie die eine Frage, die nach der Stellung des Menschen in der Welt, nur zum Teil beant¬ wortet hat. Sie hat ihn zwar räumlich aus dem Mittelpunkt der Welt hinweg¬ gerückt, sie hat seine körperliche Verwandtschaft mit den Tieren wenn auch nicht bewiesen, so doch wahrscheinlich gemacht. Sie konnte uns aber nichts sagen über die Hauptsache, warum der Mensch ein Mensch ist, durch Vernunft und Willen hoch hinausgehoben über alles, was da kreucht und fleucht. Ebenso steht es mit der anderen Frage, der nach dem Wesen der Welt. Wohl hat die Naturerkenntnis mit dem Chaos aufgeräumt, als welches mittel¬ alterlichen Aberglauben die Welt erschien, hat uns die großen Gesetze gezeigt, denen die größten wie die kleinsten Dinge, der Himmelskörper wie das Wasser¬ stoffatom gehorchen müssen, und so hat Weismann recht, wenn er sagt, die Natur biete keinen Raum für die Launen eines Gottes. Aber Launenhaftigkeit ist wohl auch das letzte, was wir mit dem Begriff Gott verbinden. Und wenn es schon ein Zeichen von der Tätigkeit der Menschenhand ist, daß Ordnung in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/79>, abgerufen am 03.07.2024.