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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Musik und Satire

vaterländischen Stoff zu wählen und in diesen: womöglich alles zu verweben,
was Ahnung, Glaube, Kontraste und Gefühle je bei anderen Nationen wirkten
und wirbelten. Hörst du, Publikum? schon rollt der Donner über unserem Haupte,
jetzt wird's gleich losgehen. (Er zieht sich erschöpft zurück und murmelt vor sich
im Abgehen:) Die verdammte Prosa wird einem so sauer, wenn man nun einmal
gewohnt ist, ein poetischer Hanswurst zu sein/ Allgemeine feierliche Stille, gespannte
Erwartung im Publikum!

Agnes Bernauerin,
romantisch-vaterländisches Tonspiel.
Personen: so viel Vonnöten.
Handlung: im Herzen von Deutschland.

Nachdem Verwandlung auf Verwandlung gefolgt, erscheint der Held, um in
echt opernmäßiger Sinnlosigkeit die .Handlung' zu beschließen:

Ist es hier der Kampf des Fremdländischen gegen das Nationale, so war
ein stets willkommener Stoff der Satire der Streit des Neuen gegen das Alt¬
hergebrachte. Ein originelles Dokument ist der 1701 gedruckte "seltnen UuLiLum
Oder Musicalischer Krieg, In welchem umbständlich erzehlet wird, wie die Königin
Compositio nebst ihrer Tochter Harmonia mit denen Hümpern und Stümpern
Serfallen____Von Johann Beehren, Fürstl. Sächß. Weißenfelsischen Concert-
Meistern".

Die kommende Generation hat sich allezeit über die absterbende hinweg¬
gesetzt, und die Geschichte der Kritik ist im Grunde "eine endlose Kette der
Verkennung des Neuen". Neben Weber haben besonders Berlioz und Wagner
dies bitter zu fühlen bekommen. Da man die inneren Werte nicht am Kern zu
treffen wußte, so begnügte man sich damit, auf Äußerlichkeiten, auf das Massen-
aufgebot der Mittel, auf den Lärm der Instrumente hinzuweisen. "Um Gottes
willen, ist denn Ihr Gatte taub geworden? -- Wie Sie sehen. Er hat darauf
bestanden, das Monstrekonzert von Berlioz zu besuchen." Wie wird Wagner als
Vernichter des Gehörs, als Kanonendonnerer der Musikschlachten hingestellt! Eine
Sanze Bibliothek satirischer Schmähschriften in diesem Sinne hat er herauf¬
beschworen.


Musik und Satire

vaterländischen Stoff zu wählen und in diesen: womöglich alles zu verweben,
was Ahnung, Glaube, Kontraste und Gefühle je bei anderen Nationen wirkten
und wirbelten. Hörst du, Publikum? schon rollt der Donner über unserem Haupte,
jetzt wird's gleich losgehen. (Er zieht sich erschöpft zurück und murmelt vor sich
im Abgehen:) Die verdammte Prosa wird einem so sauer, wenn man nun einmal
gewohnt ist, ein poetischer Hanswurst zu sein/ Allgemeine feierliche Stille, gespannte
Erwartung im Publikum!

Agnes Bernauerin,
romantisch-vaterländisches Tonspiel.
Personen: so viel Vonnöten.
Handlung: im Herzen von Deutschland.

Nachdem Verwandlung auf Verwandlung gefolgt, erscheint der Held, um in
echt opernmäßiger Sinnlosigkeit die .Handlung' zu beschließen:

Ist es hier der Kampf des Fremdländischen gegen das Nationale, so war
ein stets willkommener Stoff der Satire der Streit des Neuen gegen das Alt¬
hergebrachte. Ein originelles Dokument ist der 1701 gedruckte „seltnen UuLiLum
Oder Musicalischer Krieg, In welchem umbständlich erzehlet wird, wie die Königin
Compositio nebst ihrer Tochter Harmonia mit denen Hümpern und Stümpern
Serfallen____Von Johann Beehren, Fürstl. Sächß. Weißenfelsischen Concert-
Meistern".

Die kommende Generation hat sich allezeit über die absterbende hinweg¬
gesetzt, und die Geschichte der Kritik ist im Grunde „eine endlose Kette der
Verkennung des Neuen". Neben Weber haben besonders Berlioz und Wagner
dies bitter zu fühlen bekommen. Da man die inneren Werte nicht am Kern zu
treffen wußte, so begnügte man sich damit, auf Äußerlichkeiten, auf das Massen-
aufgebot der Mittel, auf den Lärm der Instrumente hinzuweisen. „Um Gottes
willen, ist denn Ihr Gatte taub geworden? — Wie Sie sehen. Er hat darauf
bestanden, das Monstrekonzert von Berlioz zu besuchen." Wie wird Wagner als
Vernichter des Gehörs, als Kanonendonnerer der Musikschlachten hingestellt! Eine
Sanze Bibliothek satirischer Schmähschriften in diesem Sinne hat er herauf¬
beschworen.


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[0569] Musik und Satire vaterländischen Stoff zu wählen und in diesen: womöglich alles zu verweben, was Ahnung, Glaube, Kontraste und Gefühle je bei anderen Nationen wirkten und wirbelten. Hörst du, Publikum? schon rollt der Donner über unserem Haupte, jetzt wird's gleich losgehen. (Er zieht sich erschöpft zurück und murmelt vor sich im Abgehen:) Die verdammte Prosa wird einem so sauer, wenn man nun einmal gewohnt ist, ein poetischer Hanswurst zu sein/ Allgemeine feierliche Stille, gespannte Erwartung im Publikum! Agnes Bernauerin, romantisch-vaterländisches Tonspiel. Personen: so viel Vonnöten. Handlung: im Herzen von Deutschland. Nachdem Verwandlung auf Verwandlung gefolgt, erscheint der Held, um in echt opernmäßiger Sinnlosigkeit die .Handlung' zu beschließen: Ist es hier der Kampf des Fremdländischen gegen das Nationale, so war ein stets willkommener Stoff der Satire der Streit des Neuen gegen das Alt¬ hergebrachte. Ein originelles Dokument ist der 1701 gedruckte „seltnen UuLiLum Oder Musicalischer Krieg, In welchem umbständlich erzehlet wird, wie die Königin Compositio nebst ihrer Tochter Harmonia mit denen Hümpern und Stümpern Serfallen____Von Johann Beehren, Fürstl. Sächß. Weißenfelsischen Concert- Meistern". Die kommende Generation hat sich allezeit über die absterbende hinweg¬ gesetzt, und die Geschichte der Kritik ist im Grunde „eine endlose Kette der Verkennung des Neuen". Neben Weber haben besonders Berlioz und Wagner dies bitter zu fühlen bekommen. Da man die inneren Werte nicht am Kern zu treffen wußte, so begnügte man sich damit, auf Äußerlichkeiten, auf das Massen- aufgebot der Mittel, auf den Lärm der Instrumente hinzuweisen. „Um Gottes willen, ist denn Ihr Gatte taub geworden? — Wie Sie sehen. Er hat darauf bestanden, das Monstrekonzert von Berlioz zu besuchen." Wie wird Wagner als Vernichter des Gehörs, als Kanonendonnerer der Musikschlachten hingestellt! Eine Sanze Bibliothek satirischer Schmähschriften in diesem Sinne hat er herauf¬ beschworen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/569>, abgerufen am 22.07.2024.