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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rassedienst

Die Sorge für das zukünftige Geschlecht bildet eine Erweiterung der Sorge
für die gegenwärtige Generation; beides ist nicht nur vereinbar, sondern gehört
zusammen, als Ausfluß desselben hilfsbereiten, unegoistischen, fürsorglichen Geistes.
Was die Eugenik für die Zukunft fordert, bedeutet keine Verleugnung der
sozialen Fürsorge und der hygienischen Bewahrung der gegenwärtigen Mensch¬
heit. Wie die Eugenik die Erfolge der Gegenwartsarbeit anerkennt, so fordert
sie Billigung und Unterstützung für ihre Zukunftsarbeit. Für die Bekämpfung
des Alkoholismus, der Geschlechtskrankheiten, der Malaria, der chronischen Ver¬
giftungen mit Blei, Quecksilber, Phosphor usw. müssen Gegenwartshygiene und
Eugenik in gleicher Weise eintreten.

Geistig-sittliche Tüchtigkeit, vereint mit leiblichen Vorzügen, gibt das Ideal
des Menschen, dem die Eugenik zustrebt. Zahlreiche Rassentheoretiker finden im
Anschluß an Gobineau in der "nordischen", germanischen oder nordarischen,
blonden Rasse den wertvollsten Menschentypus, den eigentlichen Träger der
Kultur, den geborenen Herrn der Welt, und leiten aus ihrer Überzeugung
politische Forderungen ab, die leider zuweilen keineswegs harmloser Natur sind.
Schallmayer wendet sich in scharfer Kritik gegen diese Richtung, insbesondere
gegen die Brutalität einzelner rassenpolitischer Bestrebungen. Es ist zweifelhaft,
ob nicht gerade (Unter-) Rassenmischung, wie sie ja bei uns oder in den Ver¬
einigten Staaten in weitesten? Umfang sich findet, vorteilhafter ist als Rassen-
reinheit. Übrigens ist es zurzeit praktisch-wissenschaftlich unmöglich, einen Durch¬
schnittstypus der seelischen Veranlagung einer Rasse hinreichend exakt festzustellen.
Auf die seelische, intellektuell-sittliche Veranlagung kommt es jedoch in allererster
Linie an.

Man darf vielleicht an diejenigen, die in der nordischen oder einer anderen
(der alpinen, mittelländischen usw.) Rasse die höchst beanlagte sehen, den Vor¬
schlag richten, einer engenischen Politik zuzustimmen, die schlechthin auf die Ver¬
breitung der wertvollsten Erbanlagen geht. Kommen diese der nordischen Rasse
zu. so wird sie dann von selbst infolge dieser Politik sich verbreiten und zu
der Stellung gelangen, die man als ihr natürliches Anrecht betrachtet. Diesen
Vorschlag zur Güte macht auch Ploetz.

Man kann zum Zwecke der Zuchtwahl einerseits die Begünstigung der
Vermehrung überdurchschnittlich beanlagter Personen erstreben (positive Zucht¬
wahl); anderseits kann man die Fortpflanzung von Personen mit fatalen Erb¬
anlagen beschränken bezw. verhindern (negative Zuchtwahl). In einzelnen
Unionstaaten gibt es Gesetze, welche Geisteskranken, Idioten usw. die Ehe
verbieten. Solche Eheverbote können vielleicht in Zukunft einmal eine größere
Rolle spielen. Wenn die staatliche Ehebewilligung Männern, die mit infektiösen
Geschlechtskrankheiten behaftet sind, versagt würde, so ergäbe das nicht nur
einen eugenischen Vorteil, sondern würde auch den Frauen einen Schutz gewähren,
den Humanität, Gerechtigkeit und Nützlichkeit fordern müssen. Aus ähnlichen
Gründen wäre fernerhin die staatliche Ehebewilligung Gewohnheitssäufern zu


Rassedienst

Die Sorge für das zukünftige Geschlecht bildet eine Erweiterung der Sorge
für die gegenwärtige Generation; beides ist nicht nur vereinbar, sondern gehört
zusammen, als Ausfluß desselben hilfsbereiten, unegoistischen, fürsorglichen Geistes.
Was die Eugenik für die Zukunft fordert, bedeutet keine Verleugnung der
sozialen Fürsorge und der hygienischen Bewahrung der gegenwärtigen Mensch¬
heit. Wie die Eugenik die Erfolge der Gegenwartsarbeit anerkennt, so fordert
sie Billigung und Unterstützung für ihre Zukunftsarbeit. Für die Bekämpfung
des Alkoholismus, der Geschlechtskrankheiten, der Malaria, der chronischen Ver¬
giftungen mit Blei, Quecksilber, Phosphor usw. müssen Gegenwartshygiene und
Eugenik in gleicher Weise eintreten.

Geistig-sittliche Tüchtigkeit, vereint mit leiblichen Vorzügen, gibt das Ideal
des Menschen, dem die Eugenik zustrebt. Zahlreiche Rassentheoretiker finden im
Anschluß an Gobineau in der „nordischen", germanischen oder nordarischen,
blonden Rasse den wertvollsten Menschentypus, den eigentlichen Träger der
Kultur, den geborenen Herrn der Welt, und leiten aus ihrer Überzeugung
politische Forderungen ab, die leider zuweilen keineswegs harmloser Natur sind.
Schallmayer wendet sich in scharfer Kritik gegen diese Richtung, insbesondere
gegen die Brutalität einzelner rassenpolitischer Bestrebungen. Es ist zweifelhaft,
ob nicht gerade (Unter-) Rassenmischung, wie sie ja bei uns oder in den Ver¬
einigten Staaten in weitesten? Umfang sich findet, vorteilhafter ist als Rassen-
reinheit. Übrigens ist es zurzeit praktisch-wissenschaftlich unmöglich, einen Durch¬
schnittstypus der seelischen Veranlagung einer Rasse hinreichend exakt festzustellen.
Auf die seelische, intellektuell-sittliche Veranlagung kommt es jedoch in allererster
Linie an.

Man darf vielleicht an diejenigen, die in der nordischen oder einer anderen
(der alpinen, mittelländischen usw.) Rasse die höchst beanlagte sehen, den Vor¬
schlag richten, einer engenischen Politik zuzustimmen, die schlechthin auf die Ver¬
breitung der wertvollsten Erbanlagen geht. Kommen diese der nordischen Rasse
zu. so wird sie dann von selbst infolge dieser Politik sich verbreiten und zu
der Stellung gelangen, die man als ihr natürliches Anrecht betrachtet. Diesen
Vorschlag zur Güte macht auch Ploetz.

Man kann zum Zwecke der Zuchtwahl einerseits die Begünstigung der
Vermehrung überdurchschnittlich beanlagter Personen erstreben (positive Zucht¬
wahl); anderseits kann man die Fortpflanzung von Personen mit fatalen Erb¬
anlagen beschränken bezw. verhindern (negative Zuchtwahl). In einzelnen
Unionstaaten gibt es Gesetze, welche Geisteskranken, Idioten usw. die Ehe
verbieten. Solche Eheverbote können vielleicht in Zukunft einmal eine größere
Rolle spielen. Wenn die staatliche Ehebewilligung Männern, die mit infektiösen
Geschlechtskrankheiten behaftet sind, versagt würde, so ergäbe das nicht nur
einen eugenischen Vorteil, sondern würde auch den Frauen einen Schutz gewähren,
den Humanität, Gerechtigkeit und Nützlichkeit fordern müssen. Aus ähnlichen
Gründen wäre fernerhin die staatliche Ehebewilligung Gewohnheitssäufern zu


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[0503] Rassedienst Die Sorge für das zukünftige Geschlecht bildet eine Erweiterung der Sorge für die gegenwärtige Generation; beides ist nicht nur vereinbar, sondern gehört zusammen, als Ausfluß desselben hilfsbereiten, unegoistischen, fürsorglichen Geistes. Was die Eugenik für die Zukunft fordert, bedeutet keine Verleugnung der sozialen Fürsorge und der hygienischen Bewahrung der gegenwärtigen Mensch¬ heit. Wie die Eugenik die Erfolge der Gegenwartsarbeit anerkennt, so fordert sie Billigung und Unterstützung für ihre Zukunftsarbeit. Für die Bekämpfung des Alkoholismus, der Geschlechtskrankheiten, der Malaria, der chronischen Ver¬ giftungen mit Blei, Quecksilber, Phosphor usw. müssen Gegenwartshygiene und Eugenik in gleicher Weise eintreten. Geistig-sittliche Tüchtigkeit, vereint mit leiblichen Vorzügen, gibt das Ideal des Menschen, dem die Eugenik zustrebt. Zahlreiche Rassentheoretiker finden im Anschluß an Gobineau in der „nordischen", germanischen oder nordarischen, blonden Rasse den wertvollsten Menschentypus, den eigentlichen Träger der Kultur, den geborenen Herrn der Welt, und leiten aus ihrer Überzeugung politische Forderungen ab, die leider zuweilen keineswegs harmloser Natur sind. Schallmayer wendet sich in scharfer Kritik gegen diese Richtung, insbesondere gegen die Brutalität einzelner rassenpolitischer Bestrebungen. Es ist zweifelhaft, ob nicht gerade (Unter-) Rassenmischung, wie sie ja bei uns oder in den Ver¬ einigten Staaten in weitesten? Umfang sich findet, vorteilhafter ist als Rassen- reinheit. Übrigens ist es zurzeit praktisch-wissenschaftlich unmöglich, einen Durch¬ schnittstypus der seelischen Veranlagung einer Rasse hinreichend exakt festzustellen. Auf die seelische, intellektuell-sittliche Veranlagung kommt es jedoch in allererster Linie an. Man darf vielleicht an diejenigen, die in der nordischen oder einer anderen (der alpinen, mittelländischen usw.) Rasse die höchst beanlagte sehen, den Vor¬ schlag richten, einer engenischen Politik zuzustimmen, die schlechthin auf die Ver¬ breitung der wertvollsten Erbanlagen geht. Kommen diese der nordischen Rasse zu. so wird sie dann von selbst infolge dieser Politik sich verbreiten und zu der Stellung gelangen, die man als ihr natürliches Anrecht betrachtet. Diesen Vorschlag zur Güte macht auch Ploetz. Man kann zum Zwecke der Zuchtwahl einerseits die Begünstigung der Vermehrung überdurchschnittlich beanlagter Personen erstreben (positive Zucht¬ wahl); anderseits kann man die Fortpflanzung von Personen mit fatalen Erb¬ anlagen beschränken bezw. verhindern (negative Zuchtwahl). In einzelnen Unionstaaten gibt es Gesetze, welche Geisteskranken, Idioten usw. die Ehe verbieten. Solche Eheverbote können vielleicht in Zukunft einmal eine größere Rolle spielen. Wenn die staatliche Ehebewilligung Männern, die mit infektiösen Geschlechtskrankheiten behaftet sind, versagt würde, so ergäbe das nicht nur einen eugenischen Vorteil, sondern würde auch den Frauen einen Schutz gewähren, den Humanität, Gerechtigkeit und Nützlichkeit fordern müssen. Aus ähnlichen Gründen wäre fernerhin die staatliche Ehebewilligung Gewohnheitssäufern zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/503>, abgerufen am 23.07.2024.