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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

des Erbrechts verwirklicht werden müsse. -- Professor Dr. Hans Köppe erörtert
das Problem bei Gelegenheit einer Besprechung meiner Schrift "Erbrechts¬
reform". Er hält dafür, daß den darin enthaltenen Ausführungen, die er als
maßvoll bezeichnet, im ganzen durchaus zugestimmt werden könne. Die Erb¬
rechtsgrenze solle hinter den Geschwisterkindern errichtet werden. Der Einwand
von Dr. Gerloff sei hinfällig, daß die Einnahmenvermehrung des Reiches kein
sittlich berechtigtes Motiv zur Umgestaltung des Erbrechts sei. "Die Sache liegt
doch so, daß die Haltlosigkeit des Jntestaterbrechts der entfernteren Seiten¬
verwandten klar zutage liegt, mag man nun dabei ein Auge auf den Geld¬
bedarf des Reiches richten oder nicht. Greift das Reich hier nicht zu, so fällt
zugunsten der Aufrechterhaltung jenes Erbrechts dadurch kein Atom in die
Wagschale. Die Finanznot des Reiches ist nur die äußere Veranlassung und
der Anstoß, mit einen: Rechte aufzuräumen, das innerlich morsch und unhaltbar
geworden ist. Daß diese Beseitigung dem Reiche gerade jetzt finanziell
sehr gelegen kommt, spricht sicherlich nicht gegen ihre Ausführung." Obwohl
der Einwand damit vollkommen widerlegt ist, mag nebenher bemerkt werden,
daß meine Arbeiten über das Erbrecht des Reiches nicht nur durch die Not der
Finanzen hervorgerufen sind, denn der erste dieser Aufsätze erschien bereits im
Jahre 1893. -- Professor Dr. Max Sehring, der irrtümlich als ein Gegner
der Reformbestrebungen hingestellt war, ist dieser Verkennung seiner wissenschaft¬
lichen Überzeugung öffentlich entgegengetreten. Er gab in der Deutschen Tages¬
zeitung unter dem 10. Mai 1909 die Erklärung ab, daß er es stets als sehr
diskutabel und historisch begründet bezeichnet habe, das gesetzliche Erbrecht der
Blutsverwandten mit dein Grade abzuschließen, bei welchem ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit nicht mehr vorhanden sei. Von selbst versteht es sich, daß
Männer wie Adolf Wagner und Gustav v. Schmoller unbedingt für die Reform
des Erbrechts eintreten. Adolf Wagner hat es längst ausgesprochen, daß im
Jntestaterbrecht die sittliche, soziale und ökonomische Bedeutung der Familie
außerordentlich übertrieben werde mittels Festhaltung eines Erbrechts der "Familie"
bis zu den entferntesten Verwandten hin. Von diesem Standpunkte aus ist er
auch neuerdings in der "Steuergeschichte vom Altertum bis zur Gegenwart"
für die Vorlage über das Staatserbrecht mit Nachdruck eingetreten. Gustav
v. Schmoller endlich betont, das Erbrecht der Kinder werde überall als etwas
Gerechtes und Selbstverständliches angesehen, wo ein gesundes und kräftiges
Familienleben vorhanden sei, das Erbrecht entfernterer Seitenverwandten hin¬
gegen erscheine als ein Überlebsel aus der Zeit der alten Sippenverfafsuug.
Und er, der die Worte so zu wägen weiß, bekennt sich rückhaltlos zu dem Satze:
"Aus solchen Bewegungen ist der berechtigte Gedanke erwachsen, daß das Erb¬
recht der Seitenverwandten zu beseitigen sei."

So hat die Wissenschaft in ihren namhaftesten Vertretern in Übereinstimmung
mit der öffentlichen Meinung ihren Wahrspruch gefüllt. Sich darüber hinweg¬
setzen hieße Macht und Wert der geistigen Arbeit im politischen Leben der


Für das Erbrecht des Reiches

des Erbrechts verwirklicht werden müsse. — Professor Dr. Hans Köppe erörtert
das Problem bei Gelegenheit einer Besprechung meiner Schrift „Erbrechts¬
reform". Er hält dafür, daß den darin enthaltenen Ausführungen, die er als
maßvoll bezeichnet, im ganzen durchaus zugestimmt werden könne. Die Erb¬
rechtsgrenze solle hinter den Geschwisterkindern errichtet werden. Der Einwand
von Dr. Gerloff sei hinfällig, daß die Einnahmenvermehrung des Reiches kein
sittlich berechtigtes Motiv zur Umgestaltung des Erbrechts sei. „Die Sache liegt
doch so, daß die Haltlosigkeit des Jntestaterbrechts der entfernteren Seiten¬
verwandten klar zutage liegt, mag man nun dabei ein Auge auf den Geld¬
bedarf des Reiches richten oder nicht. Greift das Reich hier nicht zu, so fällt
zugunsten der Aufrechterhaltung jenes Erbrechts dadurch kein Atom in die
Wagschale. Die Finanznot des Reiches ist nur die äußere Veranlassung und
der Anstoß, mit einen: Rechte aufzuräumen, das innerlich morsch und unhaltbar
geworden ist. Daß diese Beseitigung dem Reiche gerade jetzt finanziell
sehr gelegen kommt, spricht sicherlich nicht gegen ihre Ausführung." Obwohl
der Einwand damit vollkommen widerlegt ist, mag nebenher bemerkt werden,
daß meine Arbeiten über das Erbrecht des Reiches nicht nur durch die Not der
Finanzen hervorgerufen sind, denn der erste dieser Aufsätze erschien bereits im
Jahre 1893. — Professor Dr. Max Sehring, der irrtümlich als ein Gegner
der Reformbestrebungen hingestellt war, ist dieser Verkennung seiner wissenschaft¬
lichen Überzeugung öffentlich entgegengetreten. Er gab in der Deutschen Tages¬
zeitung unter dem 10. Mai 1909 die Erklärung ab, daß er es stets als sehr
diskutabel und historisch begründet bezeichnet habe, das gesetzliche Erbrecht der
Blutsverwandten mit dein Grade abzuschließen, bei welchem ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit nicht mehr vorhanden sei. Von selbst versteht es sich, daß
Männer wie Adolf Wagner und Gustav v. Schmoller unbedingt für die Reform
des Erbrechts eintreten. Adolf Wagner hat es längst ausgesprochen, daß im
Jntestaterbrecht die sittliche, soziale und ökonomische Bedeutung der Familie
außerordentlich übertrieben werde mittels Festhaltung eines Erbrechts der „Familie"
bis zu den entferntesten Verwandten hin. Von diesem Standpunkte aus ist er
auch neuerdings in der „Steuergeschichte vom Altertum bis zur Gegenwart"
für die Vorlage über das Staatserbrecht mit Nachdruck eingetreten. Gustav
v. Schmoller endlich betont, das Erbrecht der Kinder werde überall als etwas
Gerechtes und Selbstverständliches angesehen, wo ein gesundes und kräftiges
Familienleben vorhanden sei, das Erbrecht entfernterer Seitenverwandten hin¬
gegen erscheine als ein Überlebsel aus der Zeit der alten Sippenverfafsuug.
Und er, der die Worte so zu wägen weiß, bekennt sich rückhaltlos zu dem Satze:
»Aus solchen Bewegungen ist der berechtigte Gedanke erwachsen, daß das Erb¬
recht der Seitenverwandten zu beseitigen sei."

So hat die Wissenschaft in ihren namhaftesten Vertretern in Übereinstimmung
mit der öffentlichen Meinung ihren Wahrspruch gefüllt. Sich darüber hinweg¬
setzen hieße Macht und Wert der geistigen Arbeit im politischen Leben der


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[0497] Für das Erbrecht des Reiches des Erbrechts verwirklicht werden müsse. — Professor Dr. Hans Köppe erörtert das Problem bei Gelegenheit einer Besprechung meiner Schrift „Erbrechts¬ reform". Er hält dafür, daß den darin enthaltenen Ausführungen, die er als maßvoll bezeichnet, im ganzen durchaus zugestimmt werden könne. Die Erb¬ rechtsgrenze solle hinter den Geschwisterkindern errichtet werden. Der Einwand von Dr. Gerloff sei hinfällig, daß die Einnahmenvermehrung des Reiches kein sittlich berechtigtes Motiv zur Umgestaltung des Erbrechts sei. „Die Sache liegt doch so, daß die Haltlosigkeit des Jntestaterbrechts der entfernteren Seiten¬ verwandten klar zutage liegt, mag man nun dabei ein Auge auf den Geld¬ bedarf des Reiches richten oder nicht. Greift das Reich hier nicht zu, so fällt zugunsten der Aufrechterhaltung jenes Erbrechts dadurch kein Atom in die Wagschale. Die Finanznot des Reiches ist nur die äußere Veranlassung und der Anstoß, mit einen: Rechte aufzuräumen, das innerlich morsch und unhaltbar geworden ist. Daß diese Beseitigung dem Reiche gerade jetzt finanziell sehr gelegen kommt, spricht sicherlich nicht gegen ihre Ausführung." Obwohl der Einwand damit vollkommen widerlegt ist, mag nebenher bemerkt werden, daß meine Arbeiten über das Erbrecht des Reiches nicht nur durch die Not der Finanzen hervorgerufen sind, denn der erste dieser Aufsätze erschien bereits im Jahre 1893. — Professor Dr. Max Sehring, der irrtümlich als ein Gegner der Reformbestrebungen hingestellt war, ist dieser Verkennung seiner wissenschaft¬ lichen Überzeugung öffentlich entgegengetreten. Er gab in der Deutschen Tages¬ zeitung unter dem 10. Mai 1909 die Erklärung ab, daß er es stets als sehr diskutabel und historisch begründet bezeichnet habe, das gesetzliche Erbrecht der Blutsverwandten mit dein Grade abzuschließen, bei welchem ein Gefühl der Zusammengehörigkeit nicht mehr vorhanden sei. Von selbst versteht es sich, daß Männer wie Adolf Wagner und Gustav v. Schmoller unbedingt für die Reform des Erbrechts eintreten. Adolf Wagner hat es längst ausgesprochen, daß im Jntestaterbrecht die sittliche, soziale und ökonomische Bedeutung der Familie außerordentlich übertrieben werde mittels Festhaltung eines Erbrechts der „Familie" bis zu den entferntesten Verwandten hin. Von diesem Standpunkte aus ist er auch neuerdings in der „Steuergeschichte vom Altertum bis zur Gegenwart" für die Vorlage über das Staatserbrecht mit Nachdruck eingetreten. Gustav v. Schmoller endlich betont, das Erbrecht der Kinder werde überall als etwas Gerechtes und Selbstverständliches angesehen, wo ein gesundes und kräftiges Familienleben vorhanden sei, das Erbrecht entfernterer Seitenverwandten hin¬ gegen erscheine als ein Überlebsel aus der Zeit der alten Sippenverfafsuug. Und er, der die Worte so zu wägen weiß, bekennt sich rückhaltlos zu dem Satze: »Aus solchen Bewegungen ist der berechtigte Gedanke erwachsen, daß das Erb¬ recht der Seitenverwandten zu beseitigen sei." So hat die Wissenschaft in ihren namhaftesten Vertretern in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung ihren Wahrspruch gefüllt. Sich darüber hinweg¬ setzen hieße Macht und Wert der geistigen Arbeit im politischen Leben der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/497>, abgerufen am 22.07.2024.