Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Für das Erbrecht des Reiches

Die Wissenschaft der Gegenwart setzt das Werk der dahingegangenen
Generation würdig sort. Ist doch die Lösung des Problems weit dringender
geworden, seitdem der deutsche Staat immer neue Aufgaben im Wohlfahrts¬
interesse der einzelnen und damit im Interesse der Gesamtheit auf sich genommen
hat, eine Entwicklung, die noch nicht zum Abschluß gekommen ist, in der wir noch
mitten inne stehen. -- Prof. Dr. I. Conrad erklärt in den Jahrbüchern für
Nationalökonomie und Statistik von 1908 eine Beschränkung des Erbrechts mit
Rücksicht auf die herrschende öffentliche Meinung nicht allein für gerechtfertigt,
sondern für absolut notwendig, und er begrüßt die neuere Bewegung in der
Literatur, die immer energischer diesen Schritt verlangt. Doch tadelt er mit
Recht an dem Regierungsentwurf über das Staatserbrecht, daß der Ertrag der
Reform zur Deckung laufender Ausgaben Verwendung finden sollte. So wenig
privatwirtschaftlich ein ererbtes Kapital zu laufenden Ausgaben benutzt werden
solle, so wenig erscheine es angebracht, wenn der Staat das ererbte Kapital
verbrauche, statt es als solches weiter zu verwerten. Deswegen empfiehlt
Conrad, wie dies stets von mir befürwortet wurde, die Einkünfte aus der
Reform in erster Linie zur Tilgung der Reichsschuld zu verwenden, was
denn von selbst infolge verminderter Zinszahlung schon die Finanzlage
der nächsten Rechnungsjahre günstig beeinflussen müsse. Zu deu ent¬
schiedenen Freunden einer Neuordnung des gesetzlichen Erbrechts zählt ferner
Prof. Dr. F. Bernhöft. Er verwirft die Ausdehnung des Verwandtenerbrechts
ins Grenzenlose ebensosehr vom wirtschaftlichen wie vom sittlichen Stand¬
punkte aus. "Gerade die übermäßige Ausdehnung des Erbrechts führt dazu,
dessen natürliche Grundlage zu verdunkeln und dessen innere Berechtigung über¬
haupt in Frage zu stellen, und es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß dies
bei der jetzigen politischen Lage gefährlicher ist als je. Das Erbrecht eines
ferneren Verwandten, der mit demi Erblasser in gar keinen persönlichen Be¬
ziehungen gestanden hat, der ihm vielleicht völlig unbekannt war und der seine
Verwandtschaft erst mühsam aus alten Kirchenbüchern nachweisen muß, ist geradezu
verwerflich. Ein Institut, das einen Pfeiler unserer Kultur bildet, wird auf
diese Weise zu einem Spiel für die Laune des Zufalls." In demselben
Werke ("Handwörterbuch der Staatswissenschaft", Band III) betont Professor
Dr. W. v. Blume, daß die Bedeutung, die der Familie im heutigen Rechts¬
system zukommt, eine Ausdehnung auf die entfernteren Verwandtschaftsgrade
nicht zu rechtfertigen vermag; der freigewordene Nachlaß müsse den: Gemein¬
wesen anheimfallen. Noch entschiedener verwirft er den mühelosem Gewinn
solcher Erbschaften in einer Besprechung der Regierungsvorlage von 1908 (Grenz¬
boten vom 4. März 1909). Er bezeichnet den Erbanspruch der entfernten
Verwandten als ein Recht, den: keine Pflicht gegenübersteht, einen Vorteil, der
durch keinerlei Opfer erkauft wird, ein Glücksspiel, das vom Recht begünstigt
wird. Und er weist ausdrücklich vom konservativen Standpunkt darauf hin,
daß der überaus gesunde Gedanke der Reform gerade im Interesse der Erhaltung


Für das Erbrecht des Reiches

Die Wissenschaft der Gegenwart setzt das Werk der dahingegangenen
Generation würdig sort. Ist doch die Lösung des Problems weit dringender
geworden, seitdem der deutsche Staat immer neue Aufgaben im Wohlfahrts¬
interesse der einzelnen und damit im Interesse der Gesamtheit auf sich genommen
hat, eine Entwicklung, die noch nicht zum Abschluß gekommen ist, in der wir noch
mitten inne stehen. — Prof. Dr. I. Conrad erklärt in den Jahrbüchern für
Nationalökonomie und Statistik von 1908 eine Beschränkung des Erbrechts mit
Rücksicht auf die herrschende öffentliche Meinung nicht allein für gerechtfertigt,
sondern für absolut notwendig, und er begrüßt die neuere Bewegung in der
Literatur, die immer energischer diesen Schritt verlangt. Doch tadelt er mit
Recht an dem Regierungsentwurf über das Staatserbrecht, daß der Ertrag der
Reform zur Deckung laufender Ausgaben Verwendung finden sollte. So wenig
privatwirtschaftlich ein ererbtes Kapital zu laufenden Ausgaben benutzt werden
solle, so wenig erscheine es angebracht, wenn der Staat das ererbte Kapital
verbrauche, statt es als solches weiter zu verwerten. Deswegen empfiehlt
Conrad, wie dies stets von mir befürwortet wurde, die Einkünfte aus der
Reform in erster Linie zur Tilgung der Reichsschuld zu verwenden, was
denn von selbst infolge verminderter Zinszahlung schon die Finanzlage
der nächsten Rechnungsjahre günstig beeinflussen müsse. Zu deu ent¬
schiedenen Freunden einer Neuordnung des gesetzlichen Erbrechts zählt ferner
Prof. Dr. F. Bernhöft. Er verwirft die Ausdehnung des Verwandtenerbrechts
ins Grenzenlose ebensosehr vom wirtschaftlichen wie vom sittlichen Stand¬
punkte aus. „Gerade die übermäßige Ausdehnung des Erbrechts führt dazu,
dessen natürliche Grundlage zu verdunkeln und dessen innere Berechtigung über¬
haupt in Frage zu stellen, und es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß dies
bei der jetzigen politischen Lage gefährlicher ist als je. Das Erbrecht eines
ferneren Verwandten, der mit demi Erblasser in gar keinen persönlichen Be¬
ziehungen gestanden hat, der ihm vielleicht völlig unbekannt war und der seine
Verwandtschaft erst mühsam aus alten Kirchenbüchern nachweisen muß, ist geradezu
verwerflich. Ein Institut, das einen Pfeiler unserer Kultur bildet, wird auf
diese Weise zu einem Spiel für die Laune des Zufalls." In demselben
Werke („Handwörterbuch der Staatswissenschaft", Band III) betont Professor
Dr. W. v. Blume, daß die Bedeutung, die der Familie im heutigen Rechts¬
system zukommt, eine Ausdehnung auf die entfernteren Verwandtschaftsgrade
nicht zu rechtfertigen vermag; der freigewordene Nachlaß müsse den: Gemein¬
wesen anheimfallen. Noch entschiedener verwirft er den mühelosem Gewinn
solcher Erbschaften in einer Besprechung der Regierungsvorlage von 1908 (Grenz¬
boten vom 4. März 1909). Er bezeichnet den Erbanspruch der entfernten
Verwandten als ein Recht, den: keine Pflicht gegenübersteht, einen Vorteil, der
durch keinerlei Opfer erkauft wird, ein Glücksspiel, das vom Recht begünstigt
wird. Und er weist ausdrücklich vom konservativen Standpunkt darauf hin,
daß der überaus gesunde Gedanke der Reform gerade im Interesse der Erhaltung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318779"/>
          <fw type="header" place="top"> Für das Erbrecht des Reiches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2177" next="#ID_2178"> Die Wissenschaft der Gegenwart setzt das Werk der dahingegangenen<lb/>
Generation würdig sort. Ist doch die Lösung des Problems weit dringender<lb/>
geworden, seitdem der deutsche Staat immer neue Aufgaben im Wohlfahrts¬<lb/>
interesse der einzelnen und damit im Interesse der Gesamtheit auf sich genommen<lb/>
hat, eine Entwicklung, die noch nicht zum Abschluß gekommen ist, in der wir noch<lb/>
mitten inne stehen. &#x2014; Prof. Dr. I. Conrad erklärt in den Jahrbüchern für<lb/>
Nationalökonomie und Statistik von 1908 eine Beschränkung des Erbrechts mit<lb/>
Rücksicht auf die herrschende öffentliche Meinung nicht allein für gerechtfertigt,<lb/>
sondern für absolut notwendig, und er begrüßt die neuere Bewegung in der<lb/>
Literatur, die immer energischer diesen Schritt verlangt. Doch tadelt er mit<lb/>
Recht an dem Regierungsentwurf über das Staatserbrecht, daß der Ertrag der<lb/>
Reform zur Deckung laufender Ausgaben Verwendung finden sollte. So wenig<lb/>
privatwirtschaftlich ein ererbtes Kapital zu laufenden Ausgaben benutzt werden<lb/>
solle, so wenig erscheine es angebracht, wenn der Staat das ererbte Kapital<lb/>
verbrauche, statt es als solches weiter zu verwerten. Deswegen empfiehlt<lb/>
Conrad, wie dies stets von mir befürwortet wurde, die Einkünfte aus der<lb/>
Reform in erster Linie zur Tilgung der Reichsschuld zu verwenden, was<lb/>
denn von selbst infolge verminderter Zinszahlung schon die Finanzlage<lb/>
der nächsten Rechnungsjahre günstig beeinflussen müsse. Zu deu ent¬<lb/>
schiedenen Freunden einer Neuordnung des gesetzlichen Erbrechts zählt ferner<lb/>
Prof. Dr. F. Bernhöft. Er verwirft die Ausdehnung des Verwandtenerbrechts<lb/>
ins Grenzenlose ebensosehr vom wirtschaftlichen wie vom sittlichen Stand¬<lb/>
punkte aus. &#x201E;Gerade die übermäßige Ausdehnung des Erbrechts führt dazu,<lb/>
dessen natürliche Grundlage zu verdunkeln und dessen innere Berechtigung über¬<lb/>
haupt in Frage zu stellen, und es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß dies<lb/>
bei der jetzigen politischen Lage gefährlicher ist als je. Das Erbrecht eines<lb/>
ferneren Verwandten, der mit demi Erblasser in gar keinen persönlichen Be¬<lb/>
ziehungen gestanden hat, der ihm vielleicht völlig unbekannt war und der seine<lb/>
Verwandtschaft erst mühsam aus alten Kirchenbüchern nachweisen muß, ist geradezu<lb/>
verwerflich. Ein Institut, das einen Pfeiler unserer Kultur bildet, wird auf<lb/>
diese Weise zu einem Spiel für die Laune des Zufalls." In demselben<lb/>
Werke (&#x201E;Handwörterbuch der Staatswissenschaft", Band III) betont Professor<lb/>
Dr. W. v. Blume, daß die Bedeutung, die der Familie im heutigen Rechts¬<lb/>
system zukommt, eine Ausdehnung auf die entfernteren Verwandtschaftsgrade<lb/>
nicht zu rechtfertigen vermag; der freigewordene Nachlaß müsse den: Gemein¬<lb/>
wesen anheimfallen. Noch entschiedener verwirft er den mühelosem Gewinn<lb/>
solcher Erbschaften in einer Besprechung der Regierungsvorlage von 1908 (Grenz¬<lb/>
boten vom 4. März 1909). Er bezeichnet den Erbanspruch der entfernten<lb/>
Verwandten als ein Recht, den: keine Pflicht gegenübersteht, einen Vorteil, der<lb/>
durch keinerlei Opfer erkauft wird, ein Glücksspiel, das vom Recht begünstigt<lb/>
wird. Und er weist ausdrücklich vom konservativen Standpunkt darauf hin,<lb/>
daß der überaus gesunde Gedanke der Reform gerade im Interesse der Erhaltung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] Für das Erbrecht des Reiches Die Wissenschaft der Gegenwart setzt das Werk der dahingegangenen Generation würdig sort. Ist doch die Lösung des Problems weit dringender geworden, seitdem der deutsche Staat immer neue Aufgaben im Wohlfahrts¬ interesse der einzelnen und damit im Interesse der Gesamtheit auf sich genommen hat, eine Entwicklung, die noch nicht zum Abschluß gekommen ist, in der wir noch mitten inne stehen. — Prof. Dr. I. Conrad erklärt in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik von 1908 eine Beschränkung des Erbrechts mit Rücksicht auf die herrschende öffentliche Meinung nicht allein für gerechtfertigt, sondern für absolut notwendig, und er begrüßt die neuere Bewegung in der Literatur, die immer energischer diesen Schritt verlangt. Doch tadelt er mit Recht an dem Regierungsentwurf über das Staatserbrecht, daß der Ertrag der Reform zur Deckung laufender Ausgaben Verwendung finden sollte. So wenig privatwirtschaftlich ein ererbtes Kapital zu laufenden Ausgaben benutzt werden solle, so wenig erscheine es angebracht, wenn der Staat das ererbte Kapital verbrauche, statt es als solches weiter zu verwerten. Deswegen empfiehlt Conrad, wie dies stets von mir befürwortet wurde, die Einkünfte aus der Reform in erster Linie zur Tilgung der Reichsschuld zu verwenden, was denn von selbst infolge verminderter Zinszahlung schon die Finanzlage der nächsten Rechnungsjahre günstig beeinflussen müsse. Zu deu ent¬ schiedenen Freunden einer Neuordnung des gesetzlichen Erbrechts zählt ferner Prof. Dr. F. Bernhöft. Er verwirft die Ausdehnung des Verwandtenerbrechts ins Grenzenlose ebensosehr vom wirtschaftlichen wie vom sittlichen Stand¬ punkte aus. „Gerade die übermäßige Ausdehnung des Erbrechts führt dazu, dessen natürliche Grundlage zu verdunkeln und dessen innere Berechtigung über¬ haupt in Frage zu stellen, und es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß dies bei der jetzigen politischen Lage gefährlicher ist als je. Das Erbrecht eines ferneren Verwandten, der mit demi Erblasser in gar keinen persönlichen Be¬ ziehungen gestanden hat, der ihm vielleicht völlig unbekannt war und der seine Verwandtschaft erst mühsam aus alten Kirchenbüchern nachweisen muß, ist geradezu verwerflich. Ein Institut, das einen Pfeiler unserer Kultur bildet, wird auf diese Weise zu einem Spiel für die Laune des Zufalls." In demselben Werke („Handwörterbuch der Staatswissenschaft", Band III) betont Professor Dr. W. v. Blume, daß die Bedeutung, die der Familie im heutigen Rechts¬ system zukommt, eine Ausdehnung auf die entfernteren Verwandtschaftsgrade nicht zu rechtfertigen vermag; der freigewordene Nachlaß müsse den: Gemein¬ wesen anheimfallen. Noch entschiedener verwirft er den mühelosem Gewinn solcher Erbschaften in einer Besprechung der Regierungsvorlage von 1908 (Grenz¬ boten vom 4. März 1909). Er bezeichnet den Erbanspruch der entfernten Verwandten als ein Recht, den: keine Pflicht gegenübersteht, einen Vorteil, der durch keinerlei Opfer erkauft wird, ein Glücksspiel, das vom Recht begünstigt wird. Und er weist ausdrücklich vom konservativen Standpunkt darauf hin, daß der überaus gesunde Gedanke der Reform gerade im Interesse der Erhaltung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/496>, abgerufen am 22.07.2024.