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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Aaiseridee

Bezwinger der Revolution, Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die
Satzungen der Republik Kaiser der Franzosen, von neuem das Reich Karls
des Großen erstehen zu lassen Miene machte und ein großer Teil deutscher
Fürsten im Rheinbund sich beutelüstern ihm anschloß, erklärte Kaiser Franz
der Zweite in der Akte vom 6. August 1806: "daß Wir das Band, welches
Uns bis jetzt an den Staatskörper des Deutschen Reichs gebunden hat, als
gelöst ansehen, daß Wir das Neichsoberhauptliche Amt und Würde durch die
Vereinigung der konföderierten rheinischen Stände als erloschen und Uns da¬
durch von allen übernommenen Pflichten gegen das Deutsche Reich losgezählt
betrachten, und die von wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und
geführte kaiserliche Negierung, wie hiemit geschieht, niederlegen".

Die Überzeugung, daß der Kaisername mit seiner politischen Machtstellung
untrennbar zusammenhänge, hat das Deutschtum nach 1806 niemals aufgegeben.
Als 1348 das deutsche Volk die politische Einigung der Einzelstaaten aus eigener
Kraft herzustellen versuchte, sah die von der Frankfurter Nationalversammlung
ausgearbeitete Reichsverfassung als Reichsoberhaupt einen "Kaiser der Deutschen"
vor. Aber Preußens König Friedrich Wilhelm der Vierte mußte damals die
Kaiserkrone ablehnen, weil im Frankfurter Parlament der mit dem Idole einer
deutschen Republik spielende Radikalismus dafür gesorgt hatte, daß dem "Kaiser
der Deutschen" kein sicherer Rechtsboden verblieb, nämlich selbst bei Verfassungs¬
änderungen nur ein suspensives Veto. Erst als der Kampf von 1870/71 an
allen deutschen Stämmen gemeinsam die Bluttaufe vollzogen, konnte sich das
prophetische Wort Friedrich Wilhelms des Vierten erfüllen: "Eine Kaiserkrone
kann nur auf dem Schlachtfelde errungen werden" -- ein Wort, an welches
der Großherzog von Baden König Wilhelm gerade beim Festmahle am
Neujahrstage 1871 erinnerte. Die deutsche Nation, die damals in allen ihren
Zweigen auf der Grundlage einer gleichartigen Kultur in Kunst und Wissenschaft,
in Handel und Wandel sich zu einem festgefügten Bundesstaat zusammenschloß,
bedürfte für die Aufgabe der Grenzwacht und der Sicherung des inneren
Reichsfriedens eines leitenden Oberhaupts, das ohne Kaisertitel in Wahrheit
nicht gut denkbar war. Es war Schicksalsnotwendigkeit, daß damals König
Wilhelm den Kaisertitel annahm und in seiner Proklamation vom 18. Januar 1871
das ihm und seinen Erben zugefallene Amt sachgemäß und in Übereinstimmung
mit der Reichsverfassung folgendermaßen umschrieb: "Wir übernehmen die
kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte
des Reichs und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unab¬
hängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu ver¬
teidigen." Die Erinnerung der Proklamation an die 1806 untergegangene
deutsche Kaiserwürde hatte dabei nur eine historisch-politische, nicht eine juristische
Bedeutung. Eine wahre Rechtsnachfolge des Kaisertums von 1871 in die 1806
erloschene Kaiserwürde hat gar nicht stattgefunden, und die deutsche Staatsrechts¬
wissenschaft stellt einen 1894 von einem Historiker (v. Nuville, "Das Deutsche


Die Aaiseridee

Bezwinger der Revolution, Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die
Satzungen der Republik Kaiser der Franzosen, von neuem das Reich Karls
des Großen erstehen zu lassen Miene machte und ein großer Teil deutscher
Fürsten im Rheinbund sich beutelüstern ihm anschloß, erklärte Kaiser Franz
der Zweite in der Akte vom 6. August 1806: „daß Wir das Band, welches
Uns bis jetzt an den Staatskörper des Deutschen Reichs gebunden hat, als
gelöst ansehen, daß Wir das Neichsoberhauptliche Amt und Würde durch die
Vereinigung der konföderierten rheinischen Stände als erloschen und Uns da¬
durch von allen übernommenen Pflichten gegen das Deutsche Reich losgezählt
betrachten, und die von wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und
geführte kaiserliche Negierung, wie hiemit geschieht, niederlegen".

Die Überzeugung, daß der Kaisername mit seiner politischen Machtstellung
untrennbar zusammenhänge, hat das Deutschtum nach 1806 niemals aufgegeben.
Als 1348 das deutsche Volk die politische Einigung der Einzelstaaten aus eigener
Kraft herzustellen versuchte, sah die von der Frankfurter Nationalversammlung
ausgearbeitete Reichsverfassung als Reichsoberhaupt einen „Kaiser der Deutschen"
vor. Aber Preußens König Friedrich Wilhelm der Vierte mußte damals die
Kaiserkrone ablehnen, weil im Frankfurter Parlament der mit dem Idole einer
deutschen Republik spielende Radikalismus dafür gesorgt hatte, daß dem „Kaiser
der Deutschen" kein sicherer Rechtsboden verblieb, nämlich selbst bei Verfassungs¬
änderungen nur ein suspensives Veto. Erst als der Kampf von 1870/71 an
allen deutschen Stämmen gemeinsam die Bluttaufe vollzogen, konnte sich das
prophetische Wort Friedrich Wilhelms des Vierten erfüllen: „Eine Kaiserkrone
kann nur auf dem Schlachtfelde errungen werden" — ein Wort, an welches
der Großherzog von Baden König Wilhelm gerade beim Festmahle am
Neujahrstage 1871 erinnerte. Die deutsche Nation, die damals in allen ihren
Zweigen auf der Grundlage einer gleichartigen Kultur in Kunst und Wissenschaft,
in Handel und Wandel sich zu einem festgefügten Bundesstaat zusammenschloß,
bedürfte für die Aufgabe der Grenzwacht und der Sicherung des inneren
Reichsfriedens eines leitenden Oberhaupts, das ohne Kaisertitel in Wahrheit
nicht gut denkbar war. Es war Schicksalsnotwendigkeit, daß damals König
Wilhelm den Kaisertitel annahm und in seiner Proklamation vom 18. Januar 1871
das ihm und seinen Erben zugefallene Amt sachgemäß und in Übereinstimmung
mit der Reichsverfassung folgendermaßen umschrieb: „Wir übernehmen die
kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte
des Reichs und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unab¬
hängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu ver¬
teidigen." Die Erinnerung der Proklamation an die 1806 untergegangene
deutsche Kaiserwürde hatte dabei nur eine historisch-politische, nicht eine juristische
Bedeutung. Eine wahre Rechtsnachfolge des Kaisertums von 1871 in die 1806
erloschene Kaiserwürde hat gar nicht stattgefunden, und die deutsche Staatsrechts¬
wissenschaft stellt einen 1894 von einem Historiker (v. Nuville, „Das Deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/466>, abgerufen am 03.07.2024.