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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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wiederherstellte und zugleich für das in diesem einheitlich zusammengeschlossene
Kulturgebiet für einige Jahrhunderte die Aufgabe der Grenzmacht besorgte.
Hatte der Vorläufer dieses Militärgewaltigen, der Diktator Cajus Julius Cäsar,
für sich die Stellung eines durch sich selbst zum Regiment berechtigten Monarchen
erstrebt und mußte er dabei dein eingewurzelten Königshaß der römischen Tra¬
dition erliegen, so wußten Oktavian und dessen weitere politische Erben sich ihre
Machtrollc rechtlich auf einem Umwege zu sichern. Sie begnügten sich mit
der Stellung eines von Senat und Volk berufenen Magistrats, in dessen Hand
die Machtvollkommenheiten der verschiedenen republikanischen Ämter durch künstliche
Häufung zusammenflossen und der dadurch erst mittelbar ein Princeps, ein "erster"
Bürger, wurde. Um dem Odium des Königsnamens zu entgehen, bedienten
Oktavian und seine politischen Erben zur Charakterisierung ihrer außerordent¬
lichen Stellung sich der beiden Prädikate Imperator und Augustus, die ihre
Träger, wenngleich sie formell Delegatare des souveränen Volkswillens blieben,
doch sowohl in bürgerlich-militärischer wie in religiöser Hinsicht als das eigentlich
führende Element deutlich genug erscheinen ließen. Den Besitz seiner Machtrolle
verbürgte aber dem Kaiser die Lebenslänglichkeit der ihm übertragenen Stellung
sowie der Rechtsgrundsatz, daß im ganzen Reich seine militärische Kommando¬
gewalt jeder anderen überlegen war. Da nach hergebrachten römischen Staats¬
recht ein Magistrat nur bei einem übergeordneten Beamten zur Verantwortung
gezogen werden durfte, schloß die Lebenslänglichkeit des Principals an sich eine
kriminelle Verfolgung des Princeps aus. Nur nach seinem Hinscheiden kam es
Zu einem Totengericht, in welchem die Verurteilung des Gedächtnisses (ciamnatio
memoriae) oder mindestens die Kassation der Amtshandlungen des Princeps
ausgesprochen werden konnte. Bei Verurteilung des Gedächtnisses traten die
Strafen eines Hochverräters ein: das ehrliche Begräbnis des Verurteilten und
die Trauer um ihn waren untersagt, seine Bildsäulen und sonstigen Ehrendenkmale
wurden beseitigt, sein Name durfte in Zukunft nicht mehr öffentlich genannt werden.
Trotz der prinzipiellen Lebenslänglichkeit seiner Stellung konnte aber auch der
lebende Kaiser dieselbe durch den nämlichen Volkswillen, der ihn erhoben, wieder
verlieren. Zunächst war es an dem Senat, die Entsetzung auszusprechen; aber
auch der im Willen des Heeres oder eines Heeresteils sich offenbarende Volks¬
wille war gemäß der nüchternen römischen Logik hierzu ausreichend, sofern er
sich nur durch das Recht des Stärkeren als der wahrhafte Wille der Gesamtheit
auswies. Der römische Principal, sagt Wommsen, war nicht bloß praktisch,
sondern auch theoretisch eine durch die rechtlich permanente Revolution temperierte
Herrscherstellung.

Auf eine audere rechtliche Basis wurde der römische Kaiserbegriff seit
Ausgang des dritten Jahrhunderts durch die diokletianisch-konstantinische Reform
gestellt. Aus einem Delegatar des souveränen Volkswillens wurde nun der
Kaiser nach orientalischem Vorbild formell ein durch sich selbst berechtigter
Monarch, welchem durch die Macht der Geschicke oder, wie es bald dafür heißt,


Grenzboten II 1911 57
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wiederherstellte und zugleich für das in diesem einheitlich zusammengeschlossene
Kulturgebiet für einige Jahrhunderte die Aufgabe der Grenzmacht besorgte.
Hatte der Vorläufer dieses Militärgewaltigen, der Diktator Cajus Julius Cäsar,
für sich die Stellung eines durch sich selbst zum Regiment berechtigten Monarchen
erstrebt und mußte er dabei dein eingewurzelten Königshaß der römischen Tra¬
dition erliegen, so wußten Oktavian und dessen weitere politische Erben sich ihre
Machtrollc rechtlich auf einem Umwege zu sichern. Sie begnügten sich mit
der Stellung eines von Senat und Volk berufenen Magistrats, in dessen Hand
die Machtvollkommenheiten der verschiedenen republikanischen Ämter durch künstliche
Häufung zusammenflossen und der dadurch erst mittelbar ein Princeps, ein „erster"
Bürger, wurde. Um dem Odium des Königsnamens zu entgehen, bedienten
Oktavian und seine politischen Erben zur Charakterisierung ihrer außerordent¬
lichen Stellung sich der beiden Prädikate Imperator und Augustus, die ihre
Träger, wenngleich sie formell Delegatare des souveränen Volkswillens blieben,
doch sowohl in bürgerlich-militärischer wie in religiöser Hinsicht als das eigentlich
führende Element deutlich genug erscheinen ließen. Den Besitz seiner Machtrolle
verbürgte aber dem Kaiser die Lebenslänglichkeit der ihm übertragenen Stellung
sowie der Rechtsgrundsatz, daß im ganzen Reich seine militärische Kommando¬
gewalt jeder anderen überlegen war. Da nach hergebrachten römischen Staats¬
recht ein Magistrat nur bei einem übergeordneten Beamten zur Verantwortung
gezogen werden durfte, schloß die Lebenslänglichkeit des Principals an sich eine
kriminelle Verfolgung des Princeps aus. Nur nach seinem Hinscheiden kam es
Zu einem Totengericht, in welchem die Verurteilung des Gedächtnisses (ciamnatio
memoriae) oder mindestens die Kassation der Amtshandlungen des Princeps
ausgesprochen werden konnte. Bei Verurteilung des Gedächtnisses traten die
Strafen eines Hochverräters ein: das ehrliche Begräbnis des Verurteilten und
die Trauer um ihn waren untersagt, seine Bildsäulen und sonstigen Ehrendenkmale
wurden beseitigt, sein Name durfte in Zukunft nicht mehr öffentlich genannt werden.
Trotz der prinzipiellen Lebenslänglichkeit seiner Stellung konnte aber auch der
lebende Kaiser dieselbe durch den nämlichen Volkswillen, der ihn erhoben, wieder
verlieren. Zunächst war es an dem Senat, die Entsetzung auszusprechen; aber
auch der im Willen des Heeres oder eines Heeresteils sich offenbarende Volks¬
wille war gemäß der nüchternen römischen Logik hierzu ausreichend, sofern er
sich nur durch das Recht des Stärkeren als der wahrhafte Wille der Gesamtheit
auswies. Der römische Principal, sagt Wommsen, war nicht bloß praktisch,
sondern auch theoretisch eine durch die rechtlich permanente Revolution temperierte
Herrscherstellung.

Auf eine audere rechtliche Basis wurde der römische Kaiserbegriff seit
Ausgang des dritten Jahrhunderts durch die diokletianisch-konstantinische Reform
gestellt. Aus einem Delegatar des souveränen Volkswillens wurde nun der
Kaiser nach orientalischem Vorbild formell ein durch sich selbst berechtigter
Monarch, welchem durch die Macht der Geschicke oder, wie es bald dafür heißt,


Grenzboten II 1911 57
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[0461] Die Uaiseridec wiederherstellte und zugleich für das in diesem einheitlich zusammengeschlossene Kulturgebiet für einige Jahrhunderte die Aufgabe der Grenzmacht besorgte. Hatte der Vorläufer dieses Militärgewaltigen, der Diktator Cajus Julius Cäsar, für sich die Stellung eines durch sich selbst zum Regiment berechtigten Monarchen erstrebt und mußte er dabei dein eingewurzelten Königshaß der römischen Tra¬ dition erliegen, so wußten Oktavian und dessen weitere politische Erben sich ihre Machtrollc rechtlich auf einem Umwege zu sichern. Sie begnügten sich mit der Stellung eines von Senat und Volk berufenen Magistrats, in dessen Hand die Machtvollkommenheiten der verschiedenen republikanischen Ämter durch künstliche Häufung zusammenflossen und der dadurch erst mittelbar ein Princeps, ein „erster" Bürger, wurde. Um dem Odium des Königsnamens zu entgehen, bedienten Oktavian und seine politischen Erben zur Charakterisierung ihrer außerordent¬ lichen Stellung sich der beiden Prädikate Imperator und Augustus, die ihre Träger, wenngleich sie formell Delegatare des souveränen Volkswillens blieben, doch sowohl in bürgerlich-militärischer wie in religiöser Hinsicht als das eigentlich führende Element deutlich genug erscheinen ließen. Den Besitz seiner Machtrolle verbürgte aber dem Kaiser die Lebenslänglichkeit der ihm übertragenen Stellung sowie der Rechtsgrundsatz, daß im ganzen Reich seine militärische Kommando¬ gewalt jeder anderen überlegen war. Da nach hergebrachten römischen Staats¬ recht ein Magistrat nur bei einem übergeordneten Beamten zur Verantwortung gezogen werden durfte, schloß die Lebenslänglichkeit des Principals an sich eine kriminelle Verfolgung des Princeps aus. Nur nach seinem Hinscheiden kam es Zu einem Totengericht, in welchem die Verurteilung des Gedächtnisses (ciamnatio memoriae) oder mindestens die Kassation der Amtshandlungen des Princeps ausgesprochen werden konnte. Bei Verurteilung des Gedächtnisses traten die Strafen eines Hochverräters ein: das ehrliche Begräbnis des Verurteilten und die Trauer um ihn waren untersagt, seine Bildsäulen und sonstigen Ehrendenkmale wurden beseitigt, sein Name durfte in Zukunft nicht mehr öffentlich genannt werden. Trotz der prinzipiellen Lebenslänglichkeit seiner Stellung konnte aber auch der lebende Kaiser dieselbe durch den nämlichen Volkswillen, der ihn erhoben, wieder verlieren. Zunächst war es an dem Senat, die Entsetzung auszusprechen; aber auch der im Willen des Heeres oder eines Heeresteils sich offenbarende Volks¬ wille war gemäß der nüchternen römischen Logik hierzu ausreichend, sofern er sich nur durch das Recht des Stärkeren als der wahrhafte Wille der Gesamtheit auswies. Der römische Principal, sagt Wommsen, war nicht bloß praktisch, sondern auch theoretisch eine durch die rechtlich permanente Revolution temperierte Herrscherstellung. Auf eine audere rechtliche Basis wurde der römische Kaiserbegriff seit Ausgang des dritten Jahrhunderts durch die diokletianisch-konstantinische Reform gestellt. Aus einem Delegatar des souveränen Volkswillens wurde nun der Kaiser nach orientalischem Vorbild formell ein durch sich selbst berechtigter Monarch, welchem durch die Macht der Geschicke oder, wie es bald dafür heißt, Grenzboten II 1911 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/461>, abgerufen am 23.07.2024.