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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rassedienst

muß der Schatz ererbter, eingeborener Anlagen sich in mannigfacher Weise ver¬
ändert haben. In der Eizelle und der Samenzelle, aus deren Vereinigung ein
neuer Mensch entsteht, sind die organischen Erbanlagen enthalten, die es bedingen,
daß ein Lebewesen mit bestimmten eingeborenen Eigenschaften und Fähigkeiten
sich entwickelt. Was aus einem Menschen wird, hängt einerseits von den
ererbten, eingeborenen Anlagen, anderseits von den Einwirkungen ab, die in
gutem und schlechtem Sinne im Laufe des Lebens seine Entwicklun g beeinflussen.
Auch die seelische Leistungsfähigkeit eines Menschen ist zum Teil ererbt, zum Teil
in der Schule des Lebens gebildet. Wenn die Vererbung seelischer Faktoren
nicht so klar zutage liegt wie die mancher körperliche,: Umstände, so ist dies
durch die undurchsichtige Komplikation seelischer Leistungen, überhaupt durch die
Eigenart des Seelischen bedingt. Jedoch kann die Vererbung geistiger Tüchtigkeit
(Galton, Pearson, Sommer u. a.) und Undichtigkeit im ganzen nicht mehr
bezweifelt werden.

Die Veränderung der Erbanlagen in der tierisch - menschlichen Entwicklung
legt die Frage nahe, ob auch gegenwärtig und zukünftig die angeborenen seelischen
und körperlichen Fähigkeiten des Menschen andere, vollkommenere oder schlechtere
werden können. Untersuchen wir also die Bedingungen, unter denen das
"organische Erbgut" menschlicher Gesellschaften wertvoller oder schlechter wird!
Die Gunst oder Ungunst der äußeren Lebensbedingungen beeinflußt zwar die
körperliche und geistige Tüchtigkeit des einzelnen Menschen stark, erscheint aber
für die Rassenentwicklung weniger bedeutsam. Zwar schädigen Alkoholismus,
Syphilis u. tgi. die Erbanlagen der Nachkommenschaft empfindlich. Als Gegner
des Lamarckismus bestreitet Schallmayer aber, daß diesen schädlichen Wirkungen
gegenüber auch direkte günstige Beeinflussungen der Erbanlagen kommender
Geschlechter durch Besserungen der wirtschaftlichen Lage, durch leibliche, intellek¬
tuelle und sittliche Gymnastik der Jugend möglich sei. Die Not der Borzeit
und ihre unhygienischen Verhältnisse haben nicht zur Entartung geführt. Die
Selektion vermag auch unter ungünstigen Verhältnissen Rassehebung zu bewirken.
Je härter der Daseinskampf, um so mehr müssen die Untüchtigen und Schwachen
unterliegen und die Starken ausgelesen werden; auch der geistig hervorragend
Begabte wird in der Zeit der Not sich eher durchschlagen können.

Wir sagten schon, daß die Ablehnung des Lamarckismus, auf der Schall¬
mayers Überzeugungen zum Teil beruhen, zum mindesten unbewiesen ist. Auch
ist nicht anzunehmen, daß Ungunst der Lebensverhältnisse notwendig zur Rasse¬
hebung führt. Anpassung an ungünstige Verhältnisse ist nicht immer mit Rasse¬
hebung identisch. Die verkrüppelten Nadelhölzer, die an der Baumgrenze im
Gebirge der Ungunst der Lage trotzen, dürften kaum von Verbesserung der
Erbanlagen durch harte Lebensbedingungen Zeugnis geben. Wie dem aber auch
sein mag, Schallmayer selbst ist uicht der Meinung, daß niedrige wirtschaftliche
und soziale Lage der großen Mehrheit eines Volkes für seine Höherentwicklung
notwendig sei. Im allgemeinen sind gleiche änßere Lebensbedingungen für den


Rassedienst

muß der Schatz ererbter, eingeborener Anlagen sich in mannigfacher Weise ver¬
ändert haben. In der Eizelle und der Samenzelle, aus deren Vereinigung ein
neuer Mensch entsteht, sind die organischen Erbanlagen enthalten, die es bedingen,
daß ein Lebewesen mit bestimmten eingeborenen Eigenschaften und Fähigkeiten
sich entwickelt. Was aus einem Menschen wird, hängt einerseits von den
ererbten, eingeborenen Anlagen, anderseits von den Einwirkungen ab, die in
gutem und schlechtem Sinne im Laufe des Lebens seine Entwicklun g beeinflussen.
Auch die seelische Leistungsfähigkeit eines Menschen ist zum Teil ererbt, zum Teil
in der Schule des Lebens gebildet. Wenn die Vererbung seelischer Faktoren
nicht so klar zutage liegt wie die mancher körperliche,: Umstände, so ist dies
durch die undurchsichtige Komplikation seelischer Leistungen, überhaupt durch die
Eigenart des Seelischen bedingt. Jedoch kann die Vererbung geistiger Tüchtigkeit
(Galton, Pearson, Sommer u. a.) und Undichtigkeit im ganzen nicht mehr
bezweifelt werden.

Die Veränderung der Erbanlagen in der tierisch - menschlichen Entwicklung
legt die Frage nahe, ob auch gegenwärtig und zukünftig die angeborenen seelischen
und körperlichen Fähigkeiten des Menschen andere, vollkommenere oder schlechtere
werden können. Untersuchen wir also die Bedingungen, unter denen das
„organische Erbgut" menschlicher Gesellschaften wertvoller oder schlechter wird!
Die Gunst oder Ungunst der äußeren Lebensbedingungen beeinflußt zwar die
körperliche und geistige Tüchtigkeit des einzelnen Menschen stark, erscheint aber
für die Rassenentwicklung weniger bedeutsam. Zwar schädigen Alkoholismus,
Syphilis u. tgi. die Erbanlagen der Nachkommenschaft empfindlich. Als Gegner
des Lamarckismus bestreitet Schallmayer aber, daß diesen schädlichen Wirkungen
gegenüber auch direkte günstige Beeinflussungen der Erbanlagen kommender
Geschlechter durch Besserungen der wirtschaftlichen Lage, durch leibliche, intellek¬
tuelle und sittliche Gymnastik der Jugend möglich sei. Die Not der Borzeit
und ihre unhygienischen Verhältnisse haben nicht zur Entartung geführt. Die
Selektion vermag auch unter ungünstigen Verhältnissen Rassehebung zu bewirken.
Je härter der Daseinskampf, um so mehr müssen die Untüchtigen und Schwachen
unterliegen und die Starken ausgelesen werden; auch der geistig hervorragend
Begabte wird in der Zeit der Not sich eher durchschlagen können.

Wir sagten schon, daß die Ablehnung des Lamarckismus, auf der Schall¬
mayers Überzeugungen zum Teil beruhen, zum mindesten unbewiesen ist. Auch
ist nicht anzunehmen, daß Ungunst der Lebensverhältnisse notwendig zur Rasse¬
hebung führt. Anpassung an ungünstige Verhältnisse ist nicht immer mit Rasse¬
hebung identisch. Die verkrüppelten Nadelhölzer, die an der Baumgrenze im
Gebirge der Ungunst der Lage trotzen, dürften kaum von Verbesserung der
Erbanlagen durch harte Lebensbedingungen Zeugnis geben. Wie dem aber auch
sein mag, Schallmayer selbst ist uicht der Meinung, daß niedrige wirtschaftliche
und soziale Lage der großen Mehrheit eines Volkes für seine Höherentwicklung
notwendig sei. Im allgemeinen sind gleiche änßere Lebensbedingungen für den


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[0454] Rassedienst muß der Schatz ererbter, eingeborener Anlagen sich in mannigfacher Weise ver¬ ändert haben. In der Eizelle und der Samenzelle, aus deren Vereinigung ein neuer Mensch entsteht, sind die organischen Erbanlagen enthalten, die es bedingen, daß ein Lebewesen mit bestimmten eingeborenen Eigenschaften und Fähigkeiten sich entwickelt. Was aus einem Menschen wird, hängt einerseits von den ererbten, eingeborenen Anlagen, anderseits von den Einwirkungen ab, die in gutem und schlechtem Sinne im Laufe des Lebens seine Entwicklun g beeinflussen. Auch die seelische Leistungsfähigkeit eines Menschen ist zum Teil ererbt, zum Teil in der Schule des Lebens gebildet. Wenn die Vererbung seelischer Faktoren nicht so klar zutage liegt wie die mancher körperliche,: Umstände, so ist dies durch die undurchsichtige Komplikation seelischer Leistungen, überhaupt durch die Eigenart des Seelischen bedingt. Jedoch kann die Vererbung geistiger Tüchtigkeit (Galton, Pearson, Sommer u. a.) und Undichtigkeit im ganzen nicht mehr bezweifelt werden. Die Veränderung der Erbanlagen in der tierisch - menschlichen Entwicklung legt die Frage nahe, ob auch gegenwärtig und zukünftig die angeborenen seelischen und körperlichen Fähigkeiten des Menschen andere, vollkommenere oder schlechtere werden können. Untersuchen wir also die Bedingungen, unter denen das „organische Erbgut" menschlicher Gesellschaften wertvoller oder schlechter wird! Die Gunst oder Ungunst der äußeren Lebensbedingungen beeinflußt zwar die körperliche und geistige Tüchtigkeit des einzelnen Menschen stark, erscheint aber für die Rassenentwicklung weniger bedeutsam. Zwar schädigen Alkoholismus, Syphilis u. tgi. die Erbanlagen der Nachkommenschaft empfindlich. Als Gegner des Lamarckismus bestreitet Schallmayer aber, daß diesen schädlichen Wirkungen gegenüber auch direkte günstige Beeinflussungen der Erbanlagen kommender Geschlechter durch Besserungen der wirtschaftlichen Lage, durch leibliche, intellek¬ tuelle und sittliche Gymnastik der Jugend möglich sei. Die Not der Borzeit und ihre unhygienischen Verhältnisse haben nicht zur Entartung geführt. Die Selektion vermag auch unter ungünstigen Verhältnissen Rassehebung zu bewirken. Je härter der Daseinskampf, um so mehr müssen die Untüchtigen und Schwachen unterliegen und die Starken ausgelesen werden; auch der geistig hervorragend Begabte wird in der Zeit der Not sich eher durchschlagen können. Wir sagten schon, daß die Ablehnung des Lamarckismus, auf der Schall¬ mayers Überzeugungen zum Teil beruhen, zum mindesten unbewiesen ist. Auch ist nicht anzunehmen, daß Ungunst der Lebensverhältnisse notwendig zur Rasse¬ hebung führt. Anpassung an ungünstige Verhältnisse ist nicht immer mit Rasse¬ hebung identisch. Die verkrüppelten Nadelhölzer, die an der Baumgrenze im Gebirge der Ungunst der Lage trotzen, dürften kaum von Verbesserung der Erbanlagen durch harte Lebensbedingungen Zeugnis geben. Wie dem aber auch sein mag, Schallmayer selbst ist uicht der Meinung, daß niedrige wirtschaftliche und soziale Lage der großen Mehrheit eines Volkes für seine Höherentwicklung notwendig sei. Im allgemeinen sind gleiche änßere Lebensbedingungen für den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/454>, abgerufen am 22.07.2024.