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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rassedienst

Vetter Darwins und Fortbilduer des Darwinismus, Galton, wachte diese Frage
zu seiner Lebensaufgabe und untersuchte in eindringenden Studien, wie durch
Anwendung der Gesetze von Vererbung und Auslese eine Höherbildung des
Menschheitstypus erreichbar sei. Bei seinen Bestrebungen handelt es sich nicht
um die Vervollkommnung, welche man durch Erziehung bei einzelnen oder Völkern
erreichen mag, sondern um die Verbesserung der eingeborenen, ererbten und erb¬
lichen Anlagen der Menschen, um ihr "organisches Erbgut". So kann Galton
als der Vater der Eugenik gelten, der Wissenschaft von der Produktion eines
mit besseren seelischen und körperlichen Erbanlagen ausgestatteten Menschenschlages.

Der Gedanke der Eugenik ist auf Grund der darwinistischen Lehren sicherlich
in vielen voneinander unabhängigen Köpfen aufgetaucht. Er hat zunächst
langsam, in letzter Zeit vielleicht etwas schneller an Boden gewonnen, ist indes
bei uns noch nicht zu einem wirksamen Ferment im herrschenden politisch-sozialen
Denken und im öffentlichen Leben geworden. In: englisch sprechenden Kultur¬
kreis, insbesondere im praktisch entschlossenen Geiste des Nordamerikaners, hat
die Eugenik schneller Einfluß gewonnen. Der Sieg des ^Gedankens bei einer
Nation wird aber mit Notwendigkeit die anderen Völker dazu führen, ihm
gleichfalls Raum zu geben.

Schallmayer gehört zu den hervorragenden Vorkämpfern der Eugenik in
Teutschland, zu denen, die für ihre Ideale mit gediegenen wissenschaftlichen
Waffen kämpfen. Leider haben Unberufene die Anwendung des Auslese- und
Vererbungsgedankens auf ethische, soziale und politische Probleme durch unwissen¬
schaftliche und zum Teil abstoßende Pläne in Mißkredit gebracht. Um so wichtiger
erscheint es, den wertvollen Bearbeitungen des bedeutsamen Problems zu weitester
Wirksamkeit zu verhelfen. Dazu mag die vorliegende kritische Analyse des
Schallmayerschen Werkes über "Vererbung und Auslese in ihrer soziologischen
und politischen Bedeutung" (2. Auslage 1910) einen kleinen Beitrag liefern.

Eine kritische Einführung in Schallmayers Gedanken will ich versuchen;
denn wenn ich in vielen und wesentlichen Punkten Schallmayer freudig zustimme,
so kann ich doch nicht das ganze Werk ohne Kritik hinnehmen. Schon mit der
Darstellung der allgemein biologischen Grundlagen, der Mstammungs- und
Vererbungslehre, die in den ersten fünf Kapiteln gegeben wird, kann ich mich
nicht ganz einverstanden erklären.

Die Entwicklungslehre, die eine Abstammung kompliziert gebauter, hoch¬
stehender Leb< niesen von einfacheren, zuletzt ganz einfachen Organismen annimmt,
ist heute von fast allen Naturforschern als ivohlbegründete Theorie anerkannt.
Uneinig ist man in bezug auf die Art und Weise, wie die Entwicklung ver¬
laufen ist, und in bezug auf die Faktoren, die sie bewirkt haben. Darwin sah
in der natürlichen Zuchtwahl, ferner in den Lebensverhültnissen und in der
Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch die Umstände, die die Höherentwicklung
verursachten. Den direkten Einfluß der Leveusverhältnisse auf die Umbildung
der Lebewesen und insbesondere die stärkende Wirkung des Gebrauchs auf ein


Rassedienst

Vetter Darwins und Fortbilduer des Darwinismus, Galton, wachte diese Frage
zu seiner Lebensaufgabe und untersuchte in eindringenden Studien, wie durch
Anwendung der Gesetze von Vererbung und Auslese eine Höherbildung des
Menschheitstypus erreichbar sei. Bei seinen Bestrebungen handelt es sich nicht
um die Vervollkommnung, welche man durch Erziehung bei einzelnen oder Völkern
erreichen mag, sondern um die Verbesserung der eingeborenen, ererbten und erb¬
lichen Anlagen der Menschen, um ihr „organisches Erbgut". So kann Galton
als der Vater der Eugenik gelten, der Wissenschaft von der Produktion eines
mit besseren seelischen und körperlichen Erbanlagen ausgestatteten Menschenschlages.

Der Gedanke der Eugenik ist auf Grund der darwinistischen Lehren sicherlich
in vielen voneinander unabhängigen Köpfen aufgetaucht. Er hat zunächst
langsam, in letzter Zeit vielleicht etwas schneller an Boden gewonnen, ist indes
bei uns noch nicht zu einem wirksamen Ferment im herrschenden politisch-sozialen
Denken und im öffentlichen Leben geworden. In: englisch sprechenden Kultur¬
kreis, insbesondere im praktisch entschlossenen Geiste des Nordamerikaners, hat
die Eugenik schneller Einfluß gewonnen. Der Sieg des ^Gedankens bei einer
Nation wird aber mit Notwendigkeit die anderen Völker dazu führen, ihm
gleichfalls Raum zu geben.

Schallmayer gehört zu den hervorragenden Vorkämpfern der Eugenik in
Teutschland, zu denen, die für ihre Ideale mit gediegenen wissenschaftlichen
Waffen kämpfen. Leider haben Unberufene die Anwendung des Auslese- und
Vererbungsgedankens auf ethische, soziale und politische Probleme durch unwissen¬
schaftliche und zum Teil abstoßende Pläne in Mißkredit gebracht. Um so wichtiger
erscheint es, den wertvollen Bearbeitungen des bedeutsamen Problems zu weitester
Wirksamkeit zu verhelfen. Dazu mag die vorliegende kritische Analyse des
Schallmayerschen Werkes über „Vererbung und Auslese in ihrer soziologischen
und politischen Bedeutung" (2. Auslage 1910) einen kleinen Beitrag liefern.

Eine kritische Einführung in Schallmayers Gedanken will ich versuchen;
denn wenn ich in vielen und wesentlichen Punkten Schallmayer freudig zustimme,
so kann ich doch nicht das ganze Werk ohne Kritik hinnehmen. Schon mit der
Darstellung der allgemein biologischen Grundlagen, der Mstammungs- und
Vererbungslehre, die in den ersten fünf Kapiteln gegeben wird, kann ich mich
nicht ganz einverstanden erklären.

Die Entwicklungslehre, die eine Abstammung kompliziert gebauter, hoch¬
stehender Leb< niesen von einfacheren, zuletzt ganz einfachen Organismen annimmt,
ist heute von fast allen Naturforschern als ivohlbegründete Theorie anerkannt.
Uneinig ist man in bezug auf die Art und Weise, wie die Entwicklung ver¬
laufen ist, und in bezug auf die Faktoren, die sie bewirkt haben. Darwin sah
in der natürlichen Zuchtwahl, ferner in den Lebensverhültnissen und in der
Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch die Umstände, die die Höherentwicklung
verursachten. Den direkten Einfluß der Leveusverhältnisse auf die Umbildung
der Lebewesen und insbesondere die stärkende Wirkung des Gebrauchs auf ein


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[0452] Rassedienst Vetter Darwins und Fortbilduer des Darwinismus, Galton, wachte diese Frage zu seiner Lebensaufgabe und untersuchte in eindringenden Studien, wie durch Anwendung der Gesetze von Vererbung und Auslese eine Höherbildung des Menschheitstypus erreichbar sei. Bei seinen Bestrebungen handelt es sich nicht um die Vervollkommnung, welche man durch Erziehung bei einzelnen oder Völkern erreichen mag, sondern um die Verbesserung der eingeborenen, ererbten und erb¬ lichen Anlagen der Menschen, um ihr „organisches Erbgut". So kann Galton als der Vater der Eugenik gelten, der Wissenschaft von der Produktion eines mit besseren seelischen und körperlichen Erbanlagen ausgestatteten Menschenschlages. Der Gedanke der Eugenik ist auf Grund der darwinistischen Lehren sicherlich in vielen voneinander unabhängigen Köpfen aufgetaucht. Er hat zunächst langsam, in letzter Zeit vielleicht etwas schneller an Boden gewonnen, ist indes bei uns noch nicht zu einem wirksamen Ferment im herrschenden politisch-sozialen Denken und im öffentlichen Leben geworden. In: englisch sprechenden Kultur¬ kreis, insbesondere im praktisch entschlossenen Geiste des Nordamerikaners, hat die Eugenik schneller Einfluß gewonnen. Der Sieg des ^Gedankens bei einer Nation wird aber mit Notwendigkeit die anderen Völker dazu führen, ihm gleichfalls Raum zu geben. Schallmayer gehört zu den hervorragenden Vorkämpfern der Eugenik in Teutschland, zu denen, die für ihre Ideale mit gediegenen wissenschaftlichen Waffen kämpfen. Leider haben Unberufene die Anwendung des Auslese- und Vererbungsgedankens auf ethische, soziale und politische Probleme durch unwissen¬ schaftliche und zum Teil abstoßende Pläne in Mißkredit gebracht. Um so wichtiger erscheint es, den wertvollen Bearbeitungen des bedeutsamen Problems zu weitester Wirksamkeit zu verhelfen. Dazu mag die vorliegende kritische Analyse des Schallmayerschen Werkes über „Vererbung und Auslese in ihrer soziologischen und politischen Bedeutung" (2. Auslage 1910) einen kleinen Beitrag liefern. Eine kritische Einführung in Schallmayers Gedanken will ich versuchen; denn wenn ich in vielen und wesentlichen Punkten Schallmayer freudig zustimme, so kann ich doch nicht das ganze Werk ohne Kritik hinnehmen. Schon mit der Darstellung der allgemein biologischen Grundlagen, der Mstammungs- und Vererbungslehre, die in den ersten fünf Kapiteln gegeben wird, kann ich mich nicht ganz einverstanden erklären. Die Entwicklungslehre, die eine Abstammung kompliziert gebauter, hoch¬ stehender Leb< niesen von einfacheren, zuletzt ganz einfachen Organismen annimmt, ist heute von fast allen Naturforschern als ivohlbegründete Theorie anerkannt. Uneinig ist man in bezug auf die Art und Weise, wie die Entwicklung ver¬ laufen ist, und in bezug auf die Faktoren, die sie bewirkt haben. Darwin sah in der natürlichen Zuchtwahl, ferner in den Lebensverhültnissen und in der Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch die Umstände, die die Höherentwicklung verursachten. Den direkten Einfluß der Leveusverhältnisse auf die Umbildung der Lebewesen und insbesondere die stärkende Wirkung des Gebrauchs auf ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/452>, abgerufen am 22.07.2024.