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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Vsfene Tür oder Interessensphäre?

das Bedenken, daß Persien für Deutschland ein "zweites Marokko" werden
könne. So ganz unbegründet war das Bedenken nicht, wie sich namentlich
später zeigte, als eine deutsche Großbank in die neutrale Zone Mittelpersiens
einen Gewährsmann zwecks Erkundung und Förderung der deutschen Interessen
entsandte und England ziemlich schroff erklärte, eine Ausbreitung deutscher
Interessen in Persien nicht dulden zu wollen.

Sogar schon vor dem russisch-englischen Abkommen hatte England es
unwillig aufgenommen, daß die Hamburg-Amerika-Linie den Versuch machte,
den direkten deutsch-persischen Warenaustausch durch eine nach dem Persischen
Golf gerichtete Schiffahrtslinie zu fördern. Dieser Warenaustausch war schon
seit geraumer Zeit durchaus kein geringer; doch gab die amtliche Handels¬
statistik davon keine Kunde, weil der ganze Handel durch englische Hände ging.
Es war England nicht genehm, die in der Tat bereits vorhandenen deutschen
Wirtschaftsinteressen in Persien ihrem ganzen Umfange nach durch das Auf¬
kommen eines direkten deutsch-persischen Handels bekannt werden zu lassen. Noch
weniger wollte England späterhin zugeben, daß etwa das deutsche Kapital Persien
durch eine Anleihe aus der politischen Verlegenheit helfen würde, da Englands
Absicht war, durch Kreditgewährung seinerseits die politische Abhängigkeit Persiens
zu verstärken. Auf den Persischen Meerbusen und seine Randländer Arabien
und Mesopotamien, geeignete Arbeitsfelder für indische Auswanderer, war Eng¬
lands Augenmerk schon lange gerichtet, wie zu wiederholten Malen durch englisches
Fußfassen an geeigneten Plätzen, gelegentlich auch durch das Verdrängen
konkurrierender Franzosen, weiter durch das Aufsetzen arabischer Stämme gegen
die türkische Herrschaft und endlich durch den Kampf gegen die Fortführung der
Bagdadbahn bis zum Persischen Meerbusen hinlänglich bekundet worden ist.

Was Marokko und Persien für uns Deutsche miteinander verbindet, das
ist das dem Vorgehen an beiden Stellen gleichmäßig zugrunde liegende politische
Prinzip -- das von England angenommen und sanktioniert ist --: das Prinzip
der Jnteressensphärenpolitik im Gegensatze zu dem der Politik der offenen Tür.
England hat Frankreich zugestanden, daß es Marokko als seine Interessensphäre
betrachten darf; es hat mit Rußland zusammen Persien in Interessensphären
aufgeteilt. England und seine neuen Verbündeten haben damit -- wenigstens
bis zu Deutschlands Verständigung mit Rußland in der persischen Frage --
zielbewußt eine Politik getrieben, die grundsätzlich der deutschen Politik entgegen-
gesetzt ist und sich in erster Linie auch praktisch gegen Deutschland richtet. Denn
wenn die offene Tür durch Befolgung der Jnteressensphärenpolitik irgendwo
Zugeschlagen wird -- sei es, wo es seil --, dann ist der am meisten betroffene
Wettbewerber doch naturgemäß derjenige, der durch seine garze wirtschaftliche
Expansion von Natur am meisten gezwungen ist, nach freier Betätigung auf
dem Weltmarkte zu trachten. Der deutsche Grundsatz der offenen Tür und die
Jnteressensphärenpolitik der Triple-Entente stehen einander unversöhnlich gegen¬
über -- ein Mittelding gibt es nicht, es sei denn die territorial verschiedene


Vsfene Tür oder Interessensphäre?

das Bedenken, daß Persien für Deutschland ein „zweites Marokko" werden
könne. So ganz unbegründet war das Bedenken nicht, wie sich namentlich
später zeigte, als eine deutsche Großbank in die neutrale Zone Mittelpersiens
einen Gewährsmann zwecks Erkundung und Förderung der deutschen Interessen
entsandte und England ziemlich schroff erklärte, eine Ausbreitung deutscher
Interessen in Persien nicht dulden zu wollen.

Sogar schon vor dem russisch-englischen Abkommen hatte England es
unwillig aufgenommen, daß die Hamburg-Amerika-Linie den Versuch machte,
den direkten deutsch-persischen Warenaustausch durch eine nach dem Persischen
Golf gerichtete Schiffahrtslinie zu fördern. Dieser Warenaustausch war schon
seit geraumer Zeit durchaus kein geringer; doch gab die amtliche Handels¬
statistik davon keine Kunde, weil der ganze Handel durch englische Hände ging.
Es war England nicht genehm, die in der Tat bereits vorhandenen deutschen
Wirtschaftsinteressen in Persien ihrem ganzen Umfange nach durch das Auf¬
kommen eines direkten deutsch-persischen Handels bekannt werden zu lassen. Noch
weniger wollte England späterhin zugeben, daß etwa das deutsche Kapital Persien
durch eine Anleihe aus der politischen Verlegenheit helfen würde, da Englands
Absicht war, durch Kreditgewährung seinerseits die politische Abhängigkeit Persiens
zu verstärken. Auf den Persischen Meerbusen und seine Randländer Arabien
und Mesopotamien, geeignete Arbeitsfelder für indische Auswanderer, war Eng¬
lands Augenmerk schon lange gerichtet, wie zu wiederholten Malen durch englisches
Fußfassen an geeigneten Plätzen, gelegentlich auch durch das Verdrängen
konkurrierender Franzosen, weiter durch das Aufsetzen arabischer Stämme gegen
die türkische Herrschaft und endlich durch den Kampf gegen die Fortführung der
Bagdadbahn bis zum Persischen Meerbusen hinlänglich bekundet worden ist.

Was Marokko und Persien für uns Deutsche miteinander verbindet, das
ist das dem Vorgehen an beiden Stellen gleichmäßig zugrunde liegende politische
Prinzip — das von England angenommen und sanktioniert ist —: das Prinzip
der Jnteressensphärenpolitik im Gegensatze zu dem der Politik der offenen Tür.
England hat Frankreich zugestanden, daß es Marokko als seine Interessensphäre
betrachten darf; es hat mit Rußland zusammen Persien in Interessensphären
aufgeteilt. England und seine neuen Verbündeten haben damit — wenigstens
bis zu Deutschlands Verständigung mit Rußland in der persischen Frage —
zielbewußt eine Politik getrieben, die grundsätzlich der deutschen Politik entgegen-
gesetzt ist und sich in erster Linie auch praktisch gegen Deutschland richtet. Denn
wenn die offene Tür durch Befolgung der Jnteressensphärenpolitik irgendwo
Zugeschlagen wird — sei es, wo es seil —, dann ist der am meisten betroffene
Wettbewerber doch naturgemäß derjenige, der durch seine garze wirtschaftliche
Expansion von Natur am meisten gezwungen ist, nach freier Betätigung auf
dem Weltmarkte zu trachten. Der deutsche Grundsatz der offenen Tür und die
Jnteressensphärenpolitik der Triple-Entente stehen einander unversöhnlich gegen¬
über — ein Mittelding gibt es nicht, es sei denn die territorial verschiedene


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[0447] Vsfene Tür oder Interessensphäre? das Bedenken, daß Persien für Deutschland ein „zweites Marokko" werden könne. So ganz unbegründet war das Bedenken nicht, wie sich namentlich später zeigte, als eine deutsche Großbank in die neutrale Zone Mittelpersiens einen Gewährsmann zwecks Erkundung und Förderung der deutschen Interessen entsandte und England ziemlich schroff erklärte, eine Ausbreitung deutscher Interessen in Persien nicht dulden zu wollen. Sogar schon vor dem russisch-englischen Abkommen hatte England es unwillig aufgenommen, daß die Hamburg-Amerika-Linie den Versuch machte, den direkten deutsch-persischen Warenaustausch durch eine nach dem Persischen Golf gerichtete Schiffahrtslinie zu fördern. Dieser Warenaustausch war schon seit geraumer Zeit durchaus kein geringer; doch gab die amtliche Handels¬ statistik davon keine Kunde, weil der ganze Handel durch englische Hände ging. Es war England nicht genehm, die in der Tat bereits vorhandenen deutschen Wirtschaftsinteressen in Persien ihrem ganzen Umfange nach durch das Auf¬ kommen eines direkten deutsch-persischen Handels bekannt werden zu lassen. Noch weniger wollte England späterhin zugeben, daß etwa das deutsche Kapital Persien durch eine Anleihe aus der politischen Verlegenheit helfen würde, da Englands Absicht war, durch Kreditgewährung seinerseits die politische Abhängigkeit Persiens zu verstärken. Auf den Persischen Meerbusen und seine Randländer Arabien und Mesopotamien, geeignete Arbeitsfelder für indische Auswanderer, war Eng¬ lands Augenmerk schon lange gerichtet, wie zu wiederholten Malen durch englisches Fußfassen an geeigneten Plätzen, gelegentlich auch durch das Verdrängen konkurrierender Franzosen, weiter durch das Aufsetzen arabischer Stämme gegen die türkische Herrschaft und endlich durch den Kampf gegen die Fortführung der Bagdadbahn bis zum Persischen Meerbusen hinlänglich bekundet worden ist. Was Marokko und Persien für uns Deutsche miteinander verbindet, das ist das dem Vorgehen an beiden Stellen gleichmäßig zugrunde liegende politische Prinzip — das von England angenommen und sanktioniert ist —: das Prinzip der Jnteressensphärenpolitik im Gegensatze zu dem der Politik der offenen Tür. England hat Frankreich zugestanden, daß es Marokko als seine Interessensphäre betrachten darf; es hat mit Rußland zusammen Persien in Interessensphären aufgeteilt. England und seine neuen Verbündeten haben damit — wenigstens bis zu Deutschlands Verständigung mit Rußland in der persischen Frage — zielbewußt eine Politik getrieben, die grundsätzlich der deutschen Politik entgegen- gesetzt ist und sich in erster Linie auch praktisch gegen Deutschland richtet. Denn wenn die offene Tür durch Befolgung der Jnteressensphärenpolitik irgendwo Zugeschlagen wird — sei es, wo es seil —, dann ist der am meisten betroffene Wettbewerber doch naturgemäß derjenige, der durch seine garze wirtschaftliche Expansion von Natur am meisten gezwungen ist, nach freier Betätigung auf dem Weltmarkte zu trachten. Der deutsche Grundsatz der offenen Tür und die Jnteressensphärenpolitik der Triple-Entente stehen einander unversöhnlich gegen¬ über — ein Mittelding gibt es nicht, es sei denn die territorial verschiedene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/447>, abgerufen am 22.07.2024.